Der Roman erzählt eine fast schmerzhaft realistische Familiengeschichte aus dem Deutschland der 60er Jahre. Eisern schweigen die Erwachsenen über das, was während des Krieges und danach geschah.
Ausgewählt vom Netzwerk BücherFrauen, diesmal von der Lektorin und Literaturübersetzerin Uta Rupprecht.
Heike Kühn: "Schlangentöchter"
Heike Kühns Erstling führt uns mitten hinein in die graueste und muffigste Epoche der deutschen Bundesrepublik - die sechziger Jahre, als Nationalsozialismus und Krieg schon lange vorbei, aber keineswegs vergessen sind. In den Familien spricht man nicht darüber, was damals geschehen ist, eisern schweigen die Erwachsenen über Schuld, Scham und Schmerz. Was vorherrscht, ist Starre; jeder Bruch der Fassade, jede Abweichung von der Norm wird mit strenger Missachtung gestraft.
Die Ängslichkeit überwinden
Kein Wunder, dass die Frauen der Familie Alles striktes Stillschweigen bewahren über die Tatsache, dass die meisten ihrer Töchter mit einem Schlangenschwanz auf die Welt kommen und eine enge Verbindung zur Geisterwelt haben. Das lästige Schwänzchen macht die Mädchen ohnehin zu Außerseiterinnen, das gilt insbesondere für die kleine Tonie. Sie hat ihren Schlangenschwanz kurz nach der Geburt durch einen Unfall verloren, und nun spukt der Schwanz als Geist herum und ist wild entschlossen, Tonie "Lust aufs Leben" zu machen und ihr die anerzogene ängstliche Zurückhaltung zu nehmen.
Eine sehr lebendige Sprache macht das Buch eindrücklich
Wie Tonie sich mit seiner Hilfe – und der einiger kluger Ahninnen – mühsam und schmerzlich aus der familiären Misere herauskämpft und ihrer Schlangennatur schließlich den gebührenden Raum geben kann, das schildert Heike Kühn in eindrücklichen, bilderreichen Szenen. Großartig ist ihre lebendige und sehr bewegliche Sprache, die sich allen Figuren, auch den skurrilsten, geschmeidig anzupassen vermag. Hinter den Ereignissen tönt in diesem Roman ein Chor aus vielen Stimmen, und der Leser vernimmt jede einzelne von ihnen, er kennt die Gedanken aller, ob Mensch oder Geist.
Am Schluss dieser fantasievollen und zugleich sehr realistischen Geschichte tritt die Wahrheit ans Licht, das Schweigen löst sich. Und neben dem Verborgenen werden auch einige veritable Überraschungen sichtbar.
Uta Rupprecht, 55, arbeitete nach dem Germanistikstudium mehrere Jahre lang als Übersetzerin von Literatur und Sachbüchern aus dem Englischen. Von 1996 bis 2009 war sie als Belletristiklektorin beim Heyne Verlag in München und den Ullstein Buchverlagen in Berlin beschäftigt und ist seit 2009 in ihrer Heimat München freiberuflich tätig. 2011/12 absolvierte sie den Aufbaustudiengang Literarisches Übersetzen an der Universität München.
Uta Rupprecht
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Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"
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