Sebastian Schlösser ist erfolgreicher Theaterregisseur. Er schläft wenig, trinkt viel und dreht immer mehr auf … bis er überdreht, im Bademantel durch Berlin läuft. Er hat eine "bipolare Störung", umgangssprachlich: manisch-depressiv. Aus der Psychiatrie schreibt er Briefe an seinen Sohn.
Ausgewählt vom Netzwerk BücherFrauen, diesmal von Imke Voigtländer, 41, hauptberufliche Redakteurin für das Mitgliedermagazin der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer und freie Rezensentin. Die ausgebildete Journalistin unterrichtet außerdem in der Erwachsenenbildung.
Sebastian Schlösser: "Lieber Matz, Dein Papa hat 'ne Meise"
Schlösser weist sich selbst ein. Die Briefe sind "für später", damit sein Sohn Max einmal versteht, was mit seinem Vater los war. Es sind Erklärungsversuche und hilflose Entschuldigungen, Zeugnisse eines zunächst verzweifelten Kampfes mit den eigenen überbordenden Gefühlen und dann eines unter Medikamenten immer klarer werdenden Blickes auf das eigene Leben mit der Krankheit.
Die Briefe sind Momentaufnahmen. Nicht nur inhaltlich, auch stilistisch werden die Phasen des Kampfes gegen die "Meise" - so nennt Schlösser die Krankheit - deutlich. Sind die ersten Briefe sprunghaft und geprägt von einer oberflächlichen Abwehrhaltung gegenüber dem Klinikalltag, folgt ein detaillierter, teilweise unbeteiligt wirkender Rückblick auf das eigene Leben. Erst in den letzten Briefen, als "die Meise" durch Medikamente "langsamer" wird, beginnt eine erneut schmerzhafte, aber ruhige, in die Zukunft gerichtete Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen - und denen der Menschen, die Schlösser durch seine gehetzte und egozentrische Lebensweise verletzt hat.
Das Buch überzeugt nicht nur durch die für eine Autobiografie ungewöhnliche Briefform und die Offenheit im Umgang mit der Krankheit, sondern auch durch die Worte, die das schwer Erklärbare in Bilder fassen. Da sind die Depressiven, die wirken, als habe man ihnen "den Stöpsel aus dem Herz gezogen", und wenn Schlösser die Psychiatriepatienten als Erwachsene beschreibt, "die nicht mehr Kindsein spielen dürfen", zeigt das auch den Verlust, der mitschwingt, wenn die Krankheit ruhig gestellt wird.
Lesenswert - auch weil es Betroffenen und deren Freunden Mut macht.
Imke Voigtländer (41) ist hauptberuflich Redakteurin für das Mitgliedermagazin der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer (IHK). Nebenberuflich schreibt die ausgebildete Journalistin Buchrezensionen, hauptsächlich im Bereich Kinder- und Jugendliteratur, und unterrichtet in der Erwachsenenbildung (PR und Text). Imke Voigtländer lebt mit ihrem Mann in Oldenburg. Sie ist Mitglied im Netzwerk der Bücherfrauen (www.buecherfrauen.de).
Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"