Romane, die so sinnlich sind, sind selten: Claudie Gallays Roman "Die Brandungswelle" ist man als Leserin von der ersten Seite an ausgeliefert - seinen melancholischen wie seinen stürmischen Momenten.
Ausgewählt vom Netzwerk BücherFrauen, diesmal von der Lektorin und Publizistin Susanne Krones
Claudia Gallay: Die Brandungswelle
Nur wenige wohnen hier am Ende der Welt und Fremde werden von Einheimischen misstrauisch beäugt. Wer hier lebt, lässt sich darauf ein, dass das Leben von der Natur bestimmt wird, von Wind und Wetter und den Gezeiten. Die Ich-Erzählerin, die sich nach dem Tod ihres Geliebten in La Hague vor sich selbst versteckt, ergibt sich dem Ort, dem ihre Sinne ausgeliefert sind. Umgeben von einem Wind, der das Begehren bloß legt, läuft sie allein auf steilen Wege, die man nicht zu zweit gehen könnte. Ihre Lippen, abwechselnd nass und brennend heiß, vergessen, sich nach dem zu sehen, was sie verloren haben.
Die Strategie scheint aufzugehen - bis Lambert in den Ort kommt, der seine Eltern und seinen Bruder vor vierzig Jahren bei einem Bootsunglück verloren hat und nun zurückgekommen ist, um das dramatische Unglück von damals aufzuklären. Sie, die glaubt, nicht mehr lieben zu können, die schlecht schläft und sich in ihren Laken oder ihren Träumen verfängt, beginnt sich zu öffnen. Noch immer ist die Erinnerung an den Geliebten wie eine Nadel, die tief in ihrem Fleisch steckt. Manchmal vergisst sie ihn. "Und dann genügt eine Bewegung, eine falsche Regung, und der Schmerz kommt zurück, heftig."
Indem sie sich Lambert öffnet, begreift sie, dass sie andere Hände lieben, einen anderen Körper begehren kann. Sie erobert sich zurück, was der Tod ihr geraubt hat. Und ist am Ende, wie Lambert, bereit, in die Welt der Menschen zurückzukehren. Wie Claudie Gallay diesen Prozess schildert, ist meisterhaft. Ihr ist ein Roman gelungen, der in seiner Wucht dem offenen Meer gleicht, das La Hague im Nordwesten der Normandie umspült, den Ort von dem man sagt, der Wind sei dort manchmal so stark, dass er den Schmetterlingen die Flügel fortreiße.
Dr. Susanne Krones, 34, ist Verlagslektorin (Luchterhand Literaturverlag), Autorin (Wallstein, dtv) und Literaturwissenschaftlerin. Sie lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität und der Universität Regensburg, ist Vertrauensdozentin der Friedrich-Ebert-Stiftung und zweite Vorsitzende des Netzwerks BücherFrauen.
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Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"
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