Eine Schülerin aus Tel Aviv befragt ihre Großmutter für ein Schulprojekt nach ihren Erfahrungen während des Holocaust. Sie hat in der Schule gelernt, was sie fragen soll, was sie erwarten kann.
Ausgewählt vom Netzwerk BücherFrauen, diesmal von Doris Hermanns, Antiquarin und Autorin.
Nava Semel: Und die Ratte lacht
Eine Schülerin aus Tel Aviv befragt ihre Großmutter für ein Schulprojekt nach ihren Erfahrungen während des Holocaust. Sie hat in der Schule gelernt, was sie fragen soll, was sie erwarten kann. Aber was ihr als einfache Hausaufgabe erscheint, erweist sich als fast unlösbare Aufgabe für die Überlebende, deren Geschichte so völlig anders ist, als das, was sich die Enkelin vorgestellt hat.
Die Großmutter meint, ihr das erlebte Grauen nicht zumuten zu können und erzählt ihr die Legende von der Ratte, die ihren Ursprung durchaus in dem von ihr Erlebten hat.
Die Enkelin ist viel zu sehr mit dem beschäftigt, was sie sich selber ausmalt, wie das Leben ihrer Großmutter gewesen sein könnte, als dass sie sich vorstellen könnte, dass es ganz anders war. Es spricht viel Unverständnis aus ihrem Bericht an ihre Lehrerin, vieles reimt sie sich zusammen. So meint sie, dass sie eigentlich gar keine Geschichte zu erzählen hat, hat ihre Großmutter doch überlebt und waren doch diejenigen, die sie als Jüdin versteckt hatten, sicher nette Menschen. Dass ihre Großmutter als Fünfjährige in eine Erdloch gesperrt wurde, das sie mit einer Ratte teilte, liegt völlig außerhalb ihrer Vorstellungswelt.
Ein großer Roman über Schweigen, über Erinnern, über (Un-)Verständnis und Geschichten erzählen, der in fünf Kapitel unterteilt ist, die zu sehr unterschiedlichen Zeiten spielen. Jedes wird mit einer sehr eigenen Stimme erzählt, aber der Ratten-Mythos steht in jedem im Zentrum. Neben den beiden Geschichten der Großmutter und der Enkelin gibt es die Gedichte über das Mädchen und die Ratte, die sich zehn Jahre später im Internet verbreiten, hundert Jahre später will eine Anthropologin den Mythos erforschen. Abgerundet wird der Roman mit dem Tagebuch des Priesters, der das Mädchen zu sich genommen hat, als die Bauernfamilie, bei der sie versteckt war, es loswerden wollte.
Ein sehr bewegender Roman, aus fünf sehr unterschiedlichen Perspektiven erzählt, der sprachlich und durch seine Form besticht.
Doris Hermanns, 52, geb. in Deutschland, lebt seit 1990 in Utrecht/Niederlande, wo sie als selbstständige Antiquarin arbeitet. Daneben ist sie als freie Journalistin tätig und schrieb zahlreiche Artikel und Buchbeiträge sowie diverse Kurzbiografien. Neueste Veröffentlichung: Meerkatzen, Meißel und das Mädchen Manuela. Die Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe. Sie ist Mitglied im Netzwerk der Bücherfrauen (www.buecherfrauen.de).
Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"