Früher war es ihr Job, Menschen zu fotografieren. Heute setzt sie sich als Sozialarbeiterin intensiv mit ihnen auseinander. Das befriedigt Silvia Muff weit mehr als ein gelungenes Bild.
EMOTION: Frau Muff, Sie waren zwölf Jahre lang Fotografin, bevor Sie sich beruflich neu orientierten. War die Fotografie damals Ihr Traumberuf?
Silvia Muff: Ja. Ich fotografierte schon als Kind. Zur Firmung wünschte ich mir statt der obligaten Uhr einen Fotoapparat. Ich lichtete alles Mögliche ab: Menschen, Tiere, Gegenstände, Landschaften. Später war dann die Porträt- und Hochzeitsfotografie meine Leidenschaft.
Viele Fotografen machen einen grossen Bogen um Hochzeiten. Auf Sie traf offensichtlich das Gegenteil zu?
Es berührte mich immer sehr, zwei Menschen in diesem einzigartigen und nicht wiederholbaren Moment zu begleiten. Mit vielen Brautpaaren habe ich heute noch Kontakt. Lustigerweise traf ich gerade heute Morgen im Zug einen ehemaligen Bräutigam.
Trotzdem haben Sie sich beruflich neu orientiert. Warum?
Der Moment, in dem mir klar wurde, dass mich die Person hinter dem Foto stärker interessierte als das Foto selbst. Ich begriff, dass es mir mehr gefiel, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich der Mensch wohlfühlt und sich entspannt fotografieren lässt, als das Resultat, nämlich ein gutes Porträt zu machen.
Und wann haben Sie entschieden, dass Sie beruflich wirklich umsatteln wollten?
Auf einem langen Spaziergang am Vierwaldstättersee mit einer Sozialarbeiterin. Ein Freund hatte dieses Treffen arrangiert. Während sie von ihrem Job erzählte, wusste ich: Das ist es! Als Sozialarbeiterin würde ich mich intensiv mit Menschen auseinandersetzen, sie begleiten und unterstützen können.
Wie haben Sie diesen Berufswunsch daraufhin verwirklicht?
Ich kündigte meine Stelle ins Blaue hinein und suchte mir eine Vorpraktikumsstelle in der Sozialarbeit. Damit es finanziell reichte, arbeitete ich nebenbei an der Kasse bei Migros. Weil ich keine Matura hatte, musste ich den Weg "Aufnahme sur Dossier" einschlagen, um an der Hochschule Luzern zugelassen zu werden. Dabei erstellt man eine Art Lebensdossier, was ziemlich happig ist, ein richtiger Seelenstriptease. Hinein kommen zum Beispiel schwierige Lebenssituationen, die man gemeistert hat, aber auch das Engagement in der Familie oder die Tätigkeit in einem Verein.
Und all das hatten Sie vorzuweisen?
Ja. Eine schwierige Ehe, die mich zwang, genau hinzuschauen und Lösungen zu suchen. Was auch zählte, war mein Vereinspräsidium für Nachwuchsfotografen sowie meine diversen Weiterbildungen wie etwa der Lehrmeisterkurs.
Inzwischen arbeiten Sie seit sieben Jahren als Sozialarbeiterin. Haben Sie das Umsatteln jemals bereut?
Nie. Menschen und ihre unterschiedlichen Denk- und Verhaltensmuster faszinieren mich: Jemand aus der Stadt denkt oft anders als ein Mensch vom Land, jemand aus einer Grossfamilie anders als ein Einzelkind, ein Schweizer wiederum anders als ein Afrikaner. Ein wichtiger Teil meiner Arbeit besteht darin, eine andere Perspektive einzunehmen und für die verschiedenen Verhaltensweisen und Wertvorstellungen Verständnis aufzubringen.
Was konnten Sie perönlich aus Ihrer schwierigen Ehe lernen?
Als ich mich von meinem Mann trennte, stand ich mit fast nichts da – ich hatte kein Geld, dafür Schulden. Einmal mehr wurde mir bewusst, wie wichtig Freunde sind. Und dass ich kaum materielle Dinge brauche, ich muss mich an nichts festhalten. Was ich auch gelernt habe: Das Leben ändert sich immer wieder. Es ist schön, wenn ich die Veränderung selbst herbeiführen kann, aber manchmal kommt sie eben auch von aussen. Wenige Dinge machen mir noch Angst. Es mag schwierige Zeiten geben, doch es kommen auch wieder gute.