Stress und Work-Life-Balance? Unnötig! Entweder man arbeitet gern oder nicht, findet Rosmarie Michel. Die Zürcher Unternehmerin und Frauenförderin ist gerade 80 Jahre alt geworden - und gefragter dennje.
EMOTION: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Was fühlt man, wenn man 80 wird?
Rosmarie Michel: Eine unwahrscheinliche Dankbarkeit. Auch gegenüber meiner Herkunft. Meine Eltern waren ausserordentlich liberal und haben mir viele Türen geöffnet. Ich hatte immer den Schutz eines festen Gefüges. Ich musste niemandem schönreden. Diese Unabhängigkeit gab mir grosse Kraft.
Sind Sie im Alter radikaler oder milder geworden?
Weder noch. Weiser bin ich geworden – hoffe ich zumindest. Aber ich habe mich im Grunde meines Wesens nie geändert. Man weiss, was man von mir erwarten kann. Ich bin zuverlässig. So wurde ich erzogen. Unser Leben bestand aus drei Prinzipien: An erster Stelle stand die Familie, auch Onkel und Tanten, denen es nicht so gut ging. An zweiter Stelle kamen unsere Mitarbeiter, die uns immer sehr nahestanden, und die Kunden. Dann kam lange nichts. Persönliche Bedürfnisse waren nicht so relevant.
Wie haben Sie das als Kind und Mädchen erlebt?
Aufs Allerschönste. Mir standen alle Möglichkeiten offen. Ich musste nicht ins Geschäft. Aber ich hatte Freude daran und wusste, schon meine Vorfahren waren hier. Egal welche Arbeit ich sah, ich machte sie. Daneben war ich eine sehr verwöhnte Tochter. Zum Französischlernen schickte man mich in ein Mädchenpensionat in der Westschweiz, im angrenzenden Bubenpensionat war der Schah von Persien. Ich hatte immer Zugang zu allen sozialen Schichten. Im Altstadtquartier, wo ich wohne, erzählten mir die Prostituierten schon früh ihr Schicksal. Die Bereitschaft zuzuhören und nicht nur selbst zu reden, habe ich von meiner Familie. Noch heute lachen mich meine Freunde aus, wenn ich ein Taxi nehme und am Ende der Fahrt über das halbe Leben des Fahrers Bescheid weiss. Ich interessiere mich für die Menschen. Das hat mir den Weg sehr geebnet.
Wer hat Sie besonders gefördert?
Meine Mutter. Wenn sie mich mit etwas beauftragte und ich fragte, wie das geht, antwortete sie mir stets: Das kannst du ja schauen. Man zweifelte nie an meinen Fähigkeiten.
Hat Sie das zur Führungspersönlichkeit gemacht?
Es ist eher so, dass ich ein Führungsgen besitze, gepaart mit Humor, das hilft. Schon meine Kinderschwester, die ich sehr liebte, machte immer, was ich wollte, obwohl ich das nie von ihr verlangte. Bei der Führung ging es mir stets um die Sache. Persönliche Eitelkeit ist grauenvoll und hinderlich bei allem, was man erreichen möchte.
Sie sind eine Macherin, aber Sie liessen in Ihrem Leben immer alles auf sich zukommen. Sie haben sich nie um eines Ihrer zahlreichen Ämter beworben.
Das, was ich gerade tat, tat ich möglichst gut. Daraus ergab sich immer das nächste. Ich weiss nicht, ob Aktivismus etwas Positives ist. Wir hätten heute möglicherweise weniger Schwierigkeiten mit der Finanzkrise, wenn die Leute nicht so aktiv gewesen wären. In meiner Schulzeit vermittelten uns die Lehrer ein anderes Weltbild. Sie erschlossen uns das kulturelle und geistige Umfeld in einer Grosszügigkeit, die mir geblieben ist. In meinem ganzen Leben, auch wenn ich es noch so streng hatte, war ich nie ohne Literatur und Musik. Diese Werte versuche ich meinen Grossnichten und -neffen weiterzugeben. So wie gute Tischmanieren. Sie machen das Leben so viel einfacher.
Was war die grösste Krise Ihres Lebens?
Die gibt’s so nicht. Aber einen Aha-Mo- ment: Man muss keine Angst vor dem Alter haben. Noch nie war mein Marktwert so hoch wie in den letzten fünf Jahren, seit ich im Ruhestand bin. Die Wertschätzung ge- genüber den Älteren, Erfahrenen ist enorm gestiegen.
Rosmarie Michel, 80, war bis 2006 Besitzerin der Confiserie Schurter, VR in diversen Firmen und Weltpräsidentin der Business & Professional Women. 2007 erschien "Rosmarie Michel. Leadership mit Bodenhaftung" von Monique Siegel (OF Verlag).