Nach 18 Jahren als Teamplayerin wagte sich die Komikerin Regula Esposito solo auf die Bühne. Als sie da zum ersten Mal allein stand, hatte sie den "Gagg i de Hose" und das Bühnenbild voller Spickzettel – nur ihre Lesebrille hatte sie vergessen ...
EMOTION: Frau Esposito, seit wann bedeutet die Bühne Ihr Leben?
Regula Esposito: Theater und Musik spiele ich, seit ich denken kann. emotion: Dennoch haben Sie zuerst Hochbauzeichnerin gelernt. Warum? Regula Esposito: Mein Vater hat mich dazu überredet.
Und weshalb haben Sie sich überreden lassen?
Als es um die Berufswahl ging, habe ich zu meinen Eltern gesagt: "Ich bin emanzipiert. Ich will nicht heiraten, will nicht Hausfrau sein. Ich werde Künstlerin."
Das klingt doch sehr entschieden.
Ja, aber mein Vater sagte: "Als Künstlerin kannst du nicht selbstständig sein. Du musst jemanden haben, der Geld nach Hause bringt. Um selbstständig zu sein, musst du eine anständige Lehre machen und einen richtigen Beruf lernen." Insgeheim hoffte mein Vater, dass ich später einmal sein Architekturbüro übernehmen würde.
Und so war die Ausbildung ganz umsonst?
Nein. Vielleicht ist meine Ausbildung sogar daran schuld, dass aus mir keine verträumte Künstlerin wurde, sondern eine mit Organisationstalent, die wirtschaftlich denkt. So gesehen ist die Hochbauzeichner-Lehre tatsächlich eine solide Basis.
Sie waren 18 Jahre mit dem Frauen-Quartett Acapickels auf Tournee. Seit 2010 treten Sie als Helga Schneider solo auf. Haben Sie je daran gezweifelt, auch allein erfolgreich sein zu können?
Ehrlich gesagt, hatte ich den "Gagg i de Hose". Als Quartett waren wir energetisch aufeinander eingespielt. Nun stand ich plötzlich allein auf der Bühne. Ich wusste zwar, wie man eine anständige Show macht und dass ich nicht bei null anfange. Aber ob die Chemie mit dem Publikum auch solo funktionieren würde, darauf konnte ich nur hoffen. Doch um das herauszufinden, musste ich erst mal allein auf der Bühne stehen.
Wovor haben Sie sich am meisten gefürchtet?
Ich hatte Panik, den Text zu vergessen. Während der Premiere waren deshalb die Rückwände des Bühnenbildes mit Spickzetteln verklebt. Darauf hatte ich schwierige Textstellen notiert. Dummerweise habe ich die Zettel mit meiner Lesebrille geschrieben. Bei den Auftritten trage ich aber eine Brille ohne Gläser ...
... und konnten Ihre Spickzettel nicht lesen?
Genau!
Hätten Sie sie denn gebraucht?
Ja, einmal.
Was haben Sie in dem Moment getan?
Galant improvisiert.
War die Premiere Ihres Soloprogramms für Sie ein Aha-Moment?
Ja, denn ich spürte, es funktioniert auch, wenn ich allein auf der Bühne stehe. Das war genial. Ich hatte das Gefühl, wenn alles stimmt, ist es ein bisschen wie Surfen. Ich mache eine Welle, und wenn das Publikum darauf anspringt, kommt die Welle wieder zu mir zurück. Und gemeinsam schaukeln wir uns hoch. Vor der Pause sollte die Welle besonders gross sein, und am Ende des Abends will ich einen Brecher erleben.
Was brauchen Sie, um Ihre Programme zu schreiben?
Ich sage besser, was ich nicht brauche. An schönen Orten kann ich nicht schreiben. Am produktivsten bin ich unter Stress in meinem Büro, wo ich keine Aussicht habe.
Wie wissen Sie, ob ein Witz beim Publikum ankommt?
Das hat zu 50 Prozent mit Erfahrung zu tun und zu 50 Prozent mit Ausprobieren.
Wo probieren Sie Ihre Witze aus?
Zum Beispiel während eines Essens mit Freun- dinnen und Freunden. Wenn ich in einer solchen Situation ein Wortspiel in die Runde werfe und jemand komisch guckt, weiss ich, dass es nicht funktioniert.
Dann sind Sie allerdings auch nicht im richtigen Outfit: Machen Schminke und Perücke das Spiel leichter?
Ja. Meine Figur ist mein Werkzeug. Meine Büh- nenfigur Helga Schneider funktioniert wie ein dreidimensionaler Comic. Helga hat Carte blanche, naiv zu sein. Nicht zuletzt deshalb, weil sie eine verletzliche Plaudertasche ist.
Was lieben Sie am Beruf der Komikerin?
Ich habe das Privileg, mit "Seich mache" Geld zu verdienen. Seit mehr als 20 Jahren lachen die Leute über meine Witze.
Was wäre, wenn das Publikum ab morgen nicht mehr über Helgas Witze lachen würde?
Darüber sollte man als Künstlerin besser nicht nachdenken. Wenn man sich dauernd fragt, was schiefgehen könnte, setzt man nichts um, denn das Risiko, dass etwas nicht klappt, ist in unserem Beruf hoch. Immerhin könnte ich Regie führen oder ein Buch schreiben.
Als Regisseurin haben Sie ja bereits gearbeitet.
Das hat mir auch gefallen, aber noch lieber stehe ich auf der Bühne. Das ist sozusagen mein Kerngeschäft.
Und wann schreiben Sie ein Buch?
Ich bin seit bald zehn Jahren dabei.
Sagen Sie uns, worum es geht?
Um ein Thema, das mich privat seit Längerem begleitet. Mehr möchte ich nicht verraten.
Wann erscheint das Buch?
Keine Ahnung, ob das Buch je erscheinen wird. Vielleicht brauche ich das Schreiben einfach für mich selbst als private Psychohygiene.
Die Zürcherin Regula Esposito, 47, ist auf der Bühne Helga Schneider. Sie war Mitglied des Frauen-Quartetts Acapickels. Seit 2010 ist sie solo unterwegs – zurzeit mit dem Programm „Hellness“. Die Komikerin lebt in Zürich. www.helgaschneider.ch