Total erschöpft und dann? Autorin Carola Kleinschmidt hat Menschen, die eine schlimme Erschöpfungskrise hinter sich haben, interviewt.
Erschöpft – und wie kommt man wieder in Schwung?
Wir leben in einer Gesellschaft, die sich zunehmend erschöpft fühlt. Das Gefühl, ausgelaugt zu sein, täglich Stress zu spüren, in einer bleiernden Müdigkeit festzustecken und die Angst, irgendwann im Burn-out zu landen, umtreibt viele von uns. Das positive Mindset-Training boomt, Coaches werden zu Gurus – wir sind selbst dafür verantwortlich, einen Weg aus dem Erschöpfungszustand zu finden. Aber wie funktioniert das?
Buchautorin Carola Kleinschmidt verrät im Interview, was Menschen, die vollkommen erschöpft sind, geholfen hat.
EMOTION.DE: Hat sich eigentlich die gesellschaftliche Sicht auf das Thema Burn-out in den letzten Jahren verändert?
Carola Kleinschmidt: Im Groben nein. Es ist ja inzwischen ein gesellschaftlich ganz akzeptiertes Phänomen. Man sagt: "Das passiert eben. Menschen brennen aus. Menschen verausgaben sich im Job." Was sich verändert hat, ist, dass sich immer mehr Unternehmen darum kümmern, indem sie Seminare anbieten oder Module wie "Gesundes Führen" für die Führungskräfte. Also in den Unternehmen wird das Thema ein Stück weit mehr ernstgenommen.
... und auch anerkannt von den Vorgesetzten?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich gebe ja viele Seminare für Führungskräfte und muss sagen: Wenn ich im Seminar aufdrösele – was Stress, was Erschöpfung ist – dann gehen ihnen die Augen auf. Erst, wenn wir so richtig ins Thema einsteigen, erkennen die Führungskräfte, dass sie das Gefühl der Überlastung selbst ebenfalls kennen. Und, dass es eben nicht darum geht, Sachen objektiv zu werten.
Sie haben in Ihren langjährigen Recherchen mit Betroffenen und auch Experten über Burn-out gesprochen. War es schwer, Menschen zu finden, die offen über ihre Krise sprechen wollten?
Das war letztlich leichter als gedacht. Fast alle, die ich gefragt habe, haben sich quasi sofort bereiterklärt, dazu etwas zu erzählen. Und dann war es sehr erstaunlich, dass ganz viele gesagt haben: "Ich stehe dazu und brauche auch keine Anonymität." Zwar haben der Verlag und ich uns letztlich für eine Anonymisierung für alle entschieden, aber für bestimmt die Hälfte der Befragten wäre das gar nicht nötig gewesen.
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Gehen die Meinungen von Betroffenen und Experten in manchen Aspekten auseinander?
Nein, so kann man das nicht sagen. Natürlich gibt es Psychiater, die in erster Linie zu Tabletten gegen die Depression greifen und erst danach sehen, ob vielleicht eine Psychotherapie nötig ist. Dann gibt es Betroffene, die sagen: "Ich bin doch einfach erschöpft und nicht krank. Ich will meine Depression nicht mit Tabletten bekämpfen." In diesem Fall gehen die Meinungen auseinander. Aber letztlich zählt, dass ein Betroffener einen Experten findet, der ihn auf seinem eigenen Weg unterstützt.
Ihr Buch "Burn-out und dann?" zeichnet die Erfahrungen verschiedener Typen von Menschen auf: die Aktionistischen, die Multitasker, die Alleinerziehenden, die Helfenden und die Perfektionisten. Finden beispielsweise Eltern andere Wege aus einer Erschöpfungskrise als ein Einzelkämpfer oder warum diese Aufteilung?
Das ist eine gute Frage. Darüber habe ich lange nachgedacht. Von der Beschreibung her ist Burn-out ja keine Erkrankung, sondern eine Vielfalt von Symptomen, die mit einer dauerhaften Überlastung durch Stress zu tun haben. Die einen bekommen davon einen Tinnitus, die anderen einen Bandscheibenvorfall, die nächsten eine Depression. Daher habe ich zuerst überlegt, es nach diesen Anzeichen aufzuteilen. Aber die Menschen, die ich getroffen habe, fühlten sich natürlich ihrer gesellschaftlichen Gruppe zugehörig. Meine Einteilung spiegelt daher im Prinzip die Gruppen wider, die immer wieder als Risikogruppen beschrieben werden.
Was sind das für alternative Wege aus der Krise?
Es gibt Menschen, die im Laufe der Zeit merken, dass ihnen die Medizin nicht hilft, dass sie etwas in ihrem Leben ganz grundlegend falsch machen. Und sie stellen fest, dass ihnen dabei eigentlich nur Selbsterkenntnis helfen kann.
Ein Beispiel: Eine Frau hatte einen Frisörsalon, ihren Traumberuf, und merkte auf einmal, dass ihre Beine nicht mehr konnten. Sie hat an ein Zeichen gedacht: Irgendetwas will mir das sagen und ich möchte wissen was. Deswegen hat sie sich auf's Sofa gelegt und gewartet, was innerlich mit ihr passiert. Irgendwann ist sie darauf gekommen, dass sie sich mal mit sich selbst beschäftigen soll. Sie war immer durch ihr Leben gerannt – darum die Beine – und hat ihren Mann gestanden. Dabei war sie aber vor vielen inneren Themen davongelaufen.
Das ist ein alternativer Weg, wenn jemand entscheidet: Ich schau mir jetzt einfach an, was das Symptom mir sagen will.
Sie schreiben, dass eine Änderung der inneren Haltung wichtiger ist, als die der äußeren Umstände. Liegen die Gründe für ein Burn-out also im persönlichen und nicht im Arbeitsumfeld?
Es spielt auf jeden Fall beides zusammen. In einem Unternehmen, in dem die Führungskultur sehr von Leistungsdruck geprägt ist, müssten, wenn es eine rein äußerliche Sache wäre, alle krank werden. So ist es aber nicht. Die innere Einstellung spielt auch eine Rolle. Es gibt einfach Persönlichkeitsstrukturen, bei denen ein Anspruch von außen, auf sehr fruchtbaren Boden fällt. Solche Leute tendieren eher dazu, sich aufzureiben. Manchen fehlt auch so etwas wie eine Notbremse.
Warum fehlt so eine Bremse?
In therapeutischen Zusammenhängen wird immer wieder klar, dass das mit der Kindheit zu tun hat. Jemand hat zum Beispiel schon als Kind erfahren: Wenn ich mit meiner Familie zurechtkommen will, ist es am besten, wenn ich die Position der Helfenden einnehme. Als Erwachsene hat diese Person dann nicht gemerkt, dass sie mit dem Helfen immer noch versucht, das verzweifelte Kind zu schützen, das sie mal war.
Einfach in die Klinik gehen oder sich eine Auszeit gönnen und Kraft schöpfen, dann aber genauso weitermachen wie vorher – das funktioniert nicht.
Carola Kleinschmidt, Expertin für Burn-out-PräventionTweet
Sind Menschen, die eine Erschöpfungskrise einmal komplett überstanden haben hinterher immer noch genauso gefährdet?
Manche sagen, sie fühlen sich immer weiter gefährdet. Deshalb machen sie mit ganz großer Akribie ihre Übungen. Sie sind, denke ich, nicht unbedingt mehr gefährdet, haben sich aber etwas aufgebaut, um sich zu schützen. Wichtig ist: Unter denen, die die Krise gut überstanden haben, gibt es keinen, der sein Leben nicht ganz grundlegend verändert hat. Einfach in die Klinik gehen oder sich eine Auszeit gönnen und Kraft schöpfen, dann aber genauso weitermachen wie vorher – das funktioniert nicht.
Lässt sich ein Burn-out vollkommen rückstandslos überwinden?
Ein Burn-out hat ja etwas Prozesshaftes. Es gibt Menschen, die sagen "Ich habe ein Burn-out", weil sie zum Beispiel an ihren Schlafproblemen merken, dass ihnen alles zu viel ist. Sie verändern etwas und fühlen sich wieder gut. Wenn man aber wirklich eine starke Depression, einen Bandscheibenvorfall oder einen Tinnitus hat, wird es immer unwahrscheinlicher, das Ganze rücksstandslos zu überstehen. Aber die Menschen sagen, dass sie der Sache nicht böse sind. Wenn sie seit einer Krise bei Stress Kopfschmerzen bekommen, sehen sie es eher als wichtiges Warnsignal an. Das ist ein bisschen wie mit einer Narbe: Sie verheilt zwar, verschwindet aber nicht völlig.
Wie lässt sich denn ein Rückfall vermeiden?
Wichtig ist, ernst zu nehmen, was man in der Krise gelernt hat. Nämlich: Ich bin ein Mensch, der Pausen braucht und ich will nicht, dass mein ganzes Selbstwertgefühl durch meine Arbeit entsteht. Ich will Beziehungen und kümmere mich darum.
Wenn man diese Erkenntnisse wieder fallen lässt, sobald es einem besser geht, dann ist, glaube ich, die Rückfallquote unheimlich hoch. Man sollte vielmehr das, was man über sich in der Krisegelernt hat, zu seinem neuen Lebensstil machen.
Gibt es aus Ihrer Sicht typische Fehlannahmen über Burn-out, die besser verschwinden sollten?
Eine ist, dass es nur von der Arbeit kommt. Burn-out wird ja fast immer in Verbindung mit dem Job genannt. Aber oft ist er nur der Tropfen auf dem heißen Stein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Familie zum Beispiel ist ein ähnlich empfindlicher Punkt. Umgekehrt finde ich die Annahme falsch, dass der Job gar nichts damit zu tun hat. Dass das nicht stimmt, zeigt sich beispielsweise in Abteilungen, in denen die Führungskräfte eine gute Kommunikationskultur haben. Dort gibt es weniger Burn-out-Fälle.
Ein weiteres Vorurteil ist, dass man immer gebrannt haben muss, bevor man ausbrennt. Dabei kann auch eine Kassiererin, die vielleicht gar nicht in ihrem Job aufgeht, ausbrennen – einfach deshalb, weil sie ihn gut machen und Geld damit verdienen will.
Carola Kleinschmidt ist Diplombiologin, Journalistin sowie Expertin und Rednerin zum Thema Burn-out-Prävention. Zur "psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt" hat sie bereits mehrere Bücher geschrieben, u. a. den Bestseller "Bevor der Job krank macht" sowie seinen Nachfolger "Das hält keiner bis zur Rente durch".
Weitere Informationen zur Autorin: www.carolakleinschmidt.de.