Peter Wohlleben erzählt , warum die Nähe zur Natur glücklich macht. Der Film zum Bestseller "Das geheime Leben der Bäume" läuft seit Ende Januar im Kino.
Peter Wohlleben im Interview: Das geheime Leben der Bäume
Er schreibt Bestseller über Bäume, widmet ihnen künftig das Naturmagazin "WOHLLEBENS WELT" mit GEO bei Gruner+Jahr, kämpft für ihre Freiheit und bringt ihr geheimes Leben bald ins Kino. Wächst Peter Wohlleben die Arbeit mal über den Kopf, zieht es den Förster in die Wanne oder – na klar! – in den Wald
Peter Wohlleben schenkt uns einen neuen Blick auf alte Freunde, auf die Bäume. Er zeigt uns, dass im Wald erstaunliche Dinge passieren: Bäume pflegen – wenn man sie so wachsen lässt, wie sie es wollen – ihre Nachbarn. Und sie haben Gefühle. Wohlleben kämpft daher weltweit für die Rückkehr der Urwälder und betreut selbst einen solchen in der Eifel. Seine Liebeserklärung an den Wald, der Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ kommt jetzt als Film ins Kino.
EMOTION: Herr Wohlleben, seit wir uns zuletzt gesehen haben, wirken Sie ökologisch, politisch national und international.
Peter Wohlleben: Ich bin immer noch Förster, leite meine Waldakademie, aber unpolitisch zu sein, das passt einfach nicht mehr in die Zeit.
Werden Sie des Kommunizierens, Erklärens und Vermittelns von Natur an uns Städter nicht müde?
Ich muss es nicht tun. Weder mein privates Glück noch meine Finanzen hängen davon ab. Es macht einfach Spaß.
Berufswunsch Förster, noch immer ein Traumjob?
Ja, aber es fehlt in Deutschland definitiv der Studiengang der ökologischen Forstwirtschaft.
Die bestehende Forstwirtschaft kennen und kritisieren Sie seit Langem ...
Unsere staatliche Forstwirtschaft ist extrem veränderungsresistent. Nachhaltigkeit haben die wirklich nicht erfunden, und diese Haltung ist leider nicht mehr zeitgemäß.
Sie bemängeln die Monokulturen unserer plantagenartigen Wälder. Haben Sie Unterstützer für Ihren Ansatz, den Wald sich selbst zu überlassen?
Der Gegenwind bläst mir aus der Forstwirtschaft entgegen, an mir entzünden sich sozusagen forstliche Shitstorms. Ich tue mir jedoch nicht selber leid und veröde nicht emotional, denn auch ich habe ein Netzwerk und finde Unterstützung in der Bevölkerung.
Die Forstbetriebe sind aber die Eigentümer der Wälder?
Nein, wir alle sind die Eigentümer der Wälder. Und die Veränderungen kommen ja auch bereits schon von unten, aus den Waldbürgerinitiativen. Alleine ist man ein Querulant, zu fünft sind wir jedoch schon eine Bürgerinitiative!
Was genau macht eigentlich die Waldbürgerbewegung?
Wenn in der konventionellen Forstwirtschaft beim Thema Nachhaltigkeit der Anspruch und die Wirklichkeit auseinanderklaffen, dann legen die Bewegungen den Finger in die Wunde. Das ist Demokratie. Menschen übernehmen so direkt vor ihrer Haustür Verantwortung für ihren Wald.
Woher wissen Bürger*innen ohne Fach wissen, was gut für den Wald ist?
Das wissen wir nie ganz genau, das ist das Prinzip: try and error. Menschen können Fehler korrigieren. 2008 dachte auch ich, dass in unser Forsthaus eine CO2-neutrale Pellettheizung gehört. 14.000 Euro hat das Ding gekostet, aber ich habe sie wieder rausreißen lassen, denn sie war nicht CO2-neutral.
Korrektur erfordert Mut. Sie haben auch Ihr berufliches Ruder herum gerissen. Weil Sie in der klassischen Forstwirtschaft nicht zufrieden waren, haben Sie gekündigt.
Wenn du deine Unzufriedenheit nicht korrigierst, sondern resignierst, kommt dir deine Neugier abhanden. Ich will’s wissen. Ich will Dinge erleben, die ich noch nicht kenne. Deshalb habe ich auch beim Kinoprojekt „Das geheime Leben der Bäume“ zugesagt.
Gilt für Sie nach einem Burnout auch, sich nicht zu überfordern?
Ich muss sehen, was belastungsmäßig für mich vertretbar ist. Reisen, Interview anfragen, Lesungen – ich kann ganz schlecht Nein sagen. Das ist erziehungsbedingt. Meine Termine koordiniert da her nur noch meine Frau.
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Was heißt erziehungsbedingt?
Ich habe das Nein aberzogen bekommen, bin höflich, gefällig und funktioniere. Es ist mein anfälliger blinder Fleck, nicht gut auf mich zu achten.
Apropos: Ich hörte, die Badewanne ist Ihre Yogamatte, Ihr Ort zum Entspannen und Kraftschöpfen?
Unsere Wanne ist extrem klein, meine Knie ragen immer aus dem Wasser. Das Badezimmer hat nur drei Quadratmeter, doch es stimmt: Im warmen Wasser kann ich loslassen, kurz einnicken und so zur Ruhe kommen.
Ruhe finden Menschen auch im Wald. Tausende Male haben Sie schon einen Wald betreten, was empfinden Sie heute noch dabei?
Wenn ich Zeit habe, kann ich es wirklich genießen. Wie beim ersten Mal. Wenn Wind durch die Bäume rauscht, Blätter runtersegeln oder austreiben. Unser Forsthaus steht im Wald. Morgens trete ich vor die Tür, füttere die Pferde, meine Frau die Ziegen und egal ob es regnet, stürmt oder schneit, ich genieße die Natur.
„Wo der Wald so wachsen kann, wie er will, da ist er immer schön“
Peter WohllebenTweet
Ihre Lieblingsjahreszeit?
Ich mag sie alle. Nur von Februar bis März ist der Waldboden arg matschig, das nervt mich.
Wo liegt Ihr Lieblingswald?
Wo Wald wachsen kann, wie er will, da ist er immer schön. Ich mag den geschützten Urwald rund um meine Akademie in der Eifel. Ein alter Laubwald. Definitiv darf da für die nächsten Jahr zehnte kein Mensch Hand anlegen. Die Natur macht, was sie will. Herrlich.
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Selbst wenn Sie weg sind?
Sie, Frau Schäfer, können dort für vier Euro pro Quadratmeter ein Stück Wald pachten. Für die nächsten 50 Jahre darf dann keiner an Ihrem Bärbel-Schäfer-Wald die Motorsäge ansetzen. Ich hoffe natürlich, dass die Menschheit in 50 Jahren so schlau ist und weiß, dass der Wald sich selbst regenerieren kann und muss.
Haben Sie als Förster heute Angst vor der nahen Zukunft in Form der Trockenheit eines Sommers 2020?
Nur Baumplantagen leiden. Echtem Wald passiert nichts. Auch vor den zwei letzten, sehr heißen Sommern ist die Fichte bei uns bereits zu 57 Prozent von Sturmschäden und Käferbefall betroffen gewesen. Das Anpflanzen von Fichten in unseren Wäldern endet, mit Ansage, in einer Katastrophe. Der Klimawandel verschärft alles, aber mein Mitleid hält sich in Grenzen. Die staatliche Kontrollbehörde ist zugleich der größte Holzproduzent des Landes. Es wurden Fichten gepflanzt, weil sie schneller wachsen als andere Bäume. Dabei sollte in den Wäldern nicht die Holzerzeugung im Fokus stehen, sondern Schutz und Erholung der Natur.
Uns Deutschen ist in Lyrik und Literatur der Wald bekanntlich sehr nah. Zu gleich scheint es, als hätten wir uns von ihm entfernt ...
Waldluft beruhigt, sie senkt unseren Blutdruck, unser Körper reagiert biologisch auf Natur. Unsere Sinne sind voll funktionsfähig, wir nutzen und trainieren sie nur viel zu selten. Wann haben Sie zum Beispiel zuletzt an einem richtigem Waldboden gerochen?
Und wann haben Sie zuletzt welchen Sinn trainiert?
Mein Gehör. Und zwar auf die Rufe der Kraniche. Ich erahne ihre Laute mittlerweile durch geschlossene Scheiben so reflexartig, wie Städter zum Beispiel auch auf ihren eigenen Handyklingelton reagieren.
Warum machen Sie, was Sie machen, Herr Wohlleben?
Ich haben keinen Auftrag, ich bin auch kein verlängerter Biologieunterricht. Ich will den Menschen lediglich eine Wunderwelt eröffnen, mit der wir rücksichtsvoller umgehen müssen.
Wer oder was überrascht Sie noch?
Die Uni Bonn hat herausgefunden, dass Bäume bewusst Schmerz empfinden. Wenn wir ihre Wurzel zurückschneiden oder Tiere an ihnen nagen, produzieren sie schmerzlindernde Substanzen. Die von Menschen gesetzte Grenze zwischen Mensch, Tier und Pflanzen schwindet wieder. Darüber staune ich.
Was ist ein Baum für Sie?
So etwas wie ein Elefant. Deshalb fasse ich Bäume auch so gerne an, fühle ihre Rinde. Auch nicht heimische Bäume wie die Kiefer berühre ich gerne.
Können Bäume wirklich miteinander kommunizieren?
Schon Schirmakazien in Afrika haben sich gegenseitig vor Giraffenfraß gewarnt. Bäume sind lahm. Sie können weder wegrennen noch kämpfen, sie agieren passiv. Die Kommunikation ist für sie daher überlebenswichtig.
Sind Bäume soziale Wesen?
Evolution ist nicht das Überleben des Stärkeren. Der Passendste überlebt. Natur bedeutet immer Kooperation, und wer nicht kooperiert, der fliegt raus. Das ist Evolution. Wir Menschen vergessen oft, dass auch wir am besten im Miteinander überleben.
Und Bäume kümmern sich tatsächlich um ihren Nachwuchs?
Ja! Es gibt familiäre Verbindungen und aktive Fürsorge. In den Wurzelspitzen finden wir gehirnähnliche Strukturen. Der Mutterbaum kann den eigenen pflanzlichen Nachwuchs identifizieren, der dann bevorzugt mit einer Zuckerlösung versorgt wird.
Was haben Sie über den Faktor Zeit im Wald gelernt?
Ich habe Geduldigsein gelernt. Das Prinzip der Langsamkeit würde unserem hektischen Alltag auch guttun. Natur ist ein Prozess. Dieses ständige Wachsen und Vergehen muss man aushalten. Das Gute entsteht nur durchs Unterlassen. In der klassischen Forstwirtschaft trimmt man Bäume, indem man ihnen Licht verschafft, auf Schnellwachstum. Die Triebe verballern dadurch viel zu früh ihre kostbare Energie und werden so nur 200 Jahre alt.
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Kein Alter für einen Baum, oder?
500, 1000, 10 000 Jahre kann ein Baum alt werden. Die Forschung darüber steckt noch in den Kinderschuhen.
Unsere Generation ging auf AntiAKW Demos. Ich selbst war auch aktiv auf Demos gegen das Waldsterben. Der Wald ist noch da, der saure Regen hat ihn nicht gekillt. Waren die damaligen Einschätzungen falsch?
Nein. Wir waren damals richtig gut! Wir hatten doch auch damals schon die „Jute statt Plastik“-Haltung. Es gab endlich Entschwefelungsanlagen in der Industrie – eine kleine Energiewende! Dazu die Katalysatoren in den Autos: alles Ergebnisse unseres Drucks von der Straße. Ich hab mir 1986 einen Polo gekauft, damals mit dem Aufkleber „Jetzt schon mit KAT“. Es war natürlich ein ungeregelter Katalysator (lacht). Bürger haben protestiert und die Politik hat gehandelt, sonst wäre das Waldsterben damals wirklich gekommen.
„Es gibt familiäre Verbindungen und aktive Fürsorge unter Bäumen“
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Heute ist die Klimaschutz-Bewegung international und vernetzt.
Alles schon mal dagewesen vor einigen Jahrzehnten! Dazwischen gab es aber den Mauerfall. Damit war unsere Atomkriegsangst, mit der wir aufgewachsen sind, endlich vorbei. Für mich war der Kalte Krieg eine echte Bedrohung. Ich dachte damals, ich werde keine 40 Jahre alt. Aus dieser Angst heraus haben meine Frau und ich gesagt: zwei Kinder, nicht mehr! Ich habe mich sogar sterilisieren lassen. Über drei Jahrzehnte lang war die grüne Bewegung dann in den Hintergrund geraten.
Die Generation Greta nimmt unseren roten Faden aus den 1980erJahren also momentan wieder auf?
Ja. Der Klimawandel ist volle Pulle da, die Generation fordert nichts Neues, aber die jungen Leute erhöhen den Druck, und das ist schön. Es ist eben nicht die schlaffe HandyGeneration, sondern eine sehr politische Jugend.
Sind Sie dafür, das Wahlalter bei uns herabzusetzen?
Ich bin unbedingt dafür, das Wahlalter auf elf Jahre zu senken. Schon Grundschüler agieren bei der Fridays-for- future-Bewegung sehr engagiert. Spätestens auf einer weiterführenden Schule kannst du doch als Schüler politisch eine Haltung haben, mitdiskutieren. Ich bin mir sicher, nicht alle jungen Menschen wählen dasselbe wie ihre Eltern. Und seien wir mal ehrlich: Nicht bei allen Erwachsenen findet momentan eine Reflexion statt.
Herr Wohlleben, vielen Dank für unser Gespräch.