Wenn andere Hilfe brauchen sind wir da – klar! Aber selbst Hilfe annehmen? Das vermeiden wir häufig. Warum eigentlich?
Hilfe annehmen? Können wir irgendwie nicht
Eine Bekannte von mir fährt ihre Schwiegermutter regelmäßig zum Friseur, eigentlich ist es ihre Ex-Schwiegermutter, die Scheidung liegt schon ein paar Jahre zurück. Mit ihrem kleinen Mini ist meine Bekannte überhaupt der Fahrdienst im Freundeskreis. „If you need me, call me no matter where you are“ – das Fahren entspanne sie, sagt sie, und sie ist immer zur Stelle. Als sie vor Kurzem eine Designlampe aus dem Büro nach Hause transportieren wollte, hat sie jedoch einen professionellen Service bestellt, weil das Ding nicht in ihr Auto passte. Jemand anderen fragen? Ach, nein, lieber niemanden behelligen – ich hätte es vielleicht genauso gemacht.
Selbst Hilfe anbieten? Kein Problem!
Es ist schon seltsam. Benötigt jemand unsere Unterstützung, kein Problem! „Klar, kann ich Lena morgen Nachmittag mit von der Schule abholen!“ Wir fahren Umwege, befüllen Buffets, denken an alles. Und wir tun das gern. Aber selbst um Hilfe bitten? Da müssten wir uns ja bedürftig zeigen.
Angst vor Abhängigkeit, Enttäuschung oder Schwäche
Was löst es in uns aus, wenn uns jemand Hilfe anbietet? Empfinden wir das als Signal: Allein schaffst du es wohl nicht! Oder lesen wir es als: Du musst nicht alles allein schaffen. Drängt vielleicht Wut nach oben, weil wir uns abhängig fühlen? Oder haben wir Angst, dass unser Ruf nach Hilfe ungehört verhallt? Dann doch lieber gleich den Kram selbst machen, statt enttäuscht zu werden. Oder halten wir uns für zu unwichtig, um anderen Umstände zu machen? Sorgen wir uns, aus der Rolle der starken Alles-im-Griff-Haberin zu fallen und Schwäche zu zeigen?
Wir können nicht alles alleine schaffen
Dabei ist es etwas Wunderbares zu erfahren: Mir wird geholfen. Und eigentlich wissen wir auch, es ist eine Illusion, zu glauben, wir könnten allein klarkommen. Wir sind Beziehungswesen. Es tut gut, anderen zu vertrauen, auf andere bauen zu können. Unterstützung und Zuspruch im richtigen Moment regen inneres Wachstum an und vermitteln ein Gefühl des Gehaltenseins. Die Resilienzforschung geht davon aus, dass die verlässliche Unterstützung von mindestens einem Menschen wesentlich dazu beiträgt, dass wir Krisen erfolgreich(er) bewältigen.
Helfen fühlt sich viel besser an, als sich helfen zu lassen
Warum fühlt sich das Helfen dann trotzdem meist so viel besser an, als selbst Unterstützung zu bekommen? Warum halten wir selbst oft (zu) lange durch, bevor wir uns an andere wenden? Helfen ist eine feine Sache. In verschiedenen Studien wurden bei freiwillig Helfenden und ehrenamtlich Engagierten vielfältige positive Effekte auf die Gesundheit beobachtet. Das Immunsystem wird vom Gutsein offensichtlich gepusht, Stress abgebaut. Selbstloses Verhalten löst im Gehirn ähnliche Wohlgefühle aus wie gutes Essen oder Sex, fand Naomi Eisenberger, Sozialpsychologin an der University of California, heraus. Die Überzeugung, es ist gut, wichtig und richtig, was ich tue, die Verbundenheit mit anderen Menschen, die Selbstwirksamkeit – all das kann man sich als eine Art Energieriegel für die Seele vorstellen.
Selbstloses Verhalten löst im Gehirn ähnliche Wohlgefühle aus wie gutes Essen oder Sex. Gönn das Gefühl doch mal den anderen.
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Übertriebene Fürsorglichkeit belastet
Mit dem begeisterten Engagement für andere, gerade im nahen sozialen Umfeld, ist manchmal auch unbewusst die Hoffnung verbunden, dadurch die Kontrolle über die Gefühle der anderen zu erlangen. Nach dem Motto: „Wenn ich hilfreich bin, werden die anderen mich mögen, und ich kann sie an mich binden.“ Dabei ist häufiger das Gegenteil der Fall. Übertriebene Fürsorglichkeit führt eher zu Beziehungskonflikten, die beide Seiten belasten.
Lies auch: Helfersyndrom – warum die Sucht zu helfen uns schaden kann
Nur wer eigene Grenzen setzt kann wirklich Hilfe leisten
Ohne die grundsätzliche Fähigkeit Nein zu sagen, bleibt unser Ja zur Unterstützung eine wackelige Angelegenheit. Denn gute Hilfe braucht nicht nur die Bereitschaft, selbstlos für andere da zu sein – sondern genauso die Fähigkeit, eigene Grenzen ernst zu nehmen und dem Gegenüber auch mal eine Enttäuschung zuzumuten. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer hat diese psychosozialen Verstrickungen in seinem Klassiker „Hilflose Helfer“ beschrieben und dabei den Begriff „Helfersyndrom“ geprägt.
Helfen wir anderen nur, um uns selbst besser zu fühlen?
Möglicherweise ist das auch einer der Gründe, warum wir Hilfe nicht so gern annehmen. Unterstützung ist manchmal gar nicht selbstlos, sondern mit handfesten Ansprüchen verbunden. Das Perfide daran: Die Höhe der Kosten bleibt unklar. Wir können nicht offen wie bei einer Dienstleistung über den Preis verhandeln, sondern es entwickelt sich eine unausgesprochene Dynamik aus Dankbarkeit und Schuld.
Helfen befriedigt narzisstische Bedürfnisse
Das kann extreme Ausmaße annehmen. Die New Yorker Gestalttherapeutin Elinor Greenberg hat das mit „White Knight Narcissist“ umschrieben. Gemeint sind damit die Held*innen und Weltverbesser*innen, die damit ihre narzisstischen Bedürfnisse stillen. Das Wohl der Hilfsbedürftigen interessiert die Edle Ritterschaft erst an zweiter Stelle. Sie wollen für ihre Hilfsbereitschaft und Generosität Dank erfahren, bewundert und für etwas Besonderes gehalten werden. Goethe hat das diffuse Unwohlsein, das dabei beim Gegenüber aufkommen kann, in einen Satz gefasst: „So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.“ Es fühlt sich einfach nicht gut an, für die Selbsterhöhung anderer benutzt zu werden.
"Aber ich muss doch irgendetwas tun können"
Aber auch wer gut auf Applaus und große Dankbarkeit verzichten kann, hat beim Helfen mitunter Motive, die mehr mit ihm oder ihr selbst als mit dem Gegenüber zu tun haben. Ein Grund für gute Ratschläge könnte zum Beispiel sein, dass die Sorgen der anderen ein Thema berühren, das mit einem selbst zu tun hat. Und mit der tatkräftigen Unterstützung werden vor allem eigene Ohnmachtsgefühle bekämpft. Da wird zum Beispiel die Freundin, die ihren Job verloren hat, mit Stellenangeboten oder Ideen für Weiterbildungs-Workshops überschüttet. Dabei nutzt die Freundin die Zeit vielleicht ganz bewusst, um sich in Ruhe klar zu werden, was sie sich für die Zukunft wünscht. Sie kommt mit dem unsicheren Nicht-mehr-das-Alte-noch-nicht-das-Neue-Gefühl bestens klar. Im Gegensatz zu uns! So gesehen könnte eher die Freundin uns helfen als wir ihr – mit einer entspannten Haltung der Ungewissheit gegenüber, die uns schmerzlich fehlt.
Die Starke zu spielen hilft am Ende niemandem
Aber die eigene Schwäche wahrzunehmen und auch schwierige Gefühle zuzulassen, das gelingt uns vielleicht gerade nicht. Also gehen wir lieber auf Nummer sicher, spielen lieber die starke Helferin – anstatt um Hilfe zu bitten, die uns womöglich guttun würde.
Hilfe schafft Augenhöhe
Wer oft in dieser Logik agiert, steckt bald immer tiefer drin, hat eine Untersuchung gezeigt. Die US-Psychologin Vicki S. Helgeson fand heraus: Wer keine Unterstützung sucht, keine Hilfe annimmt, bringt die Hilfsbereitschaft bei anderen zum Versiegen. Eine Erklärung könnte sein: Man wird eben als „stark“ wahrgenommen, als eine Person, die keine Unterstützung benötigt. Eine andere könnte jedoch lauten: Zum Gleichgewicht des Gebens und Nehmens gehört eben auch das Nehmen. Die Hilfe eines anderen Menschen anzunehmen, ist auch ein Geschenk, das wir dem Helfenden machen. Wenn wir immer nur geben, aber nie nehmen, sind wir in der Wahrnehmung der anderen möglicherweise keine „Beziehungspartner*innen“ auf Augenhöhe. Etwas ist in Unwucht geraten. Bestimmt hätte sich eine Menge Leute gefreut, der Freundin mit dem Mini endlich auch mal einen Gefallen tun zu können, indem sie ihre Designlampe von A nach B fahren.
Müssen wir verletzlich sein, um zu helfen?
Die alten Griechen meinten, nur ein verwundeter Arzt könne wirklich heilen. Heißt: Wer selbst Schmerzen und Hilflosigkeit kennt, hat ein Gespür für das, was jemand anders braucht. Die eigene Verletzlichkeit erst befähigt zur Hilfe. Hilfe annehmen, Hilfe geben: Ist das eine ohne das andere gar nicht zu haben? „In traditionellen Medizinsystemen, wie etwa dem Schamanismus, wurde die Berufung, Autorität und Wirksamkeit von Heilern oft mit deren eigener Verwundung in Zusammenhang und durch diese legitimiert. Die Wunde wurde nicht als Zeichen von Verletzbarkeit und Scheitern verstanden, sondern vielmehr als ein Hinweis auf bestandene Prüfungen und erlangtes Wissen“, schreiben die Therapeuten Liane Hofmann und Christian Roesler.
Wir müssen das Leben nicht allein bewältigen. Wir waren nie dazu bestimmt.
Brené Brown, SozialpsychologinTweet
Hilfsbedürftig zu sein ist keine Schwäche
Vielleicht ist es gut, sich gelegentlich an den alten Mythos zu erinnern und in der eigenen Hilfsbedürftigkeit weniger den Makel zu sehen, sondern die Stärke darin zu erahnen? Die Sozialpsychologin Brené Brown steht seit ihrem TED-Talk "Die Macht der Verletzlichkeit" für diese Sichtweise. Fast 50 Millionen Mal wurde der Talk gesehen. In ihrem neuen Podcast "Unlocking Us" stellt sie aktuelle Forschungsergebnisse dazu vor und spricht mit Menschen, die dazu etwas zu sagen haben. Browns Credo: "Wir müssen das Leben nicht allein bewältigen. Wir waren nie dazu bestimmt." So einfach, so schwierig. Aber zusammen könnten wir das ja hinbekommen.
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