Depression ist eine ernstzunehmende psychische Krankheit. Chemische Antidepressiva müssen aber nicht gleich die Lösung sein. Es gibt Alternativen, dem Stimmungstief entgegenzuwirken.
Antidepressiva: Natürliche Alternativen
In dem vor Kurzem erschienenen Ratgeber "Natürliche Antidepressiva. Sanfte Wege aus dem Stimmungstief" erklärt Dr. med. Eberhard J. Wormer nicht nur Grundlagen, sondern schildert auch eine Vielzahl an natürlichen Antidepressiva und alternativen Behandlungen für Menschen mit Symptomen einer Depression. Wir haben ihn zu diesem Thema befragt.
EMOTION.DE: Depressive Verstimmungen gehören zu den häufigsten psychischen Befindlichkeitsstörungen. Was kann sie auslösen?
Dr. med. Eberhard J. Wormer: Stress und Trauma beispielsweise. Die Weltgesundheitsorganisation bezeichnete Stress als die Seuche des 21. Jahrhunderts. Unter Stress ist alles zu verstehen, was abnorme Belastungszustände verursacht. Jeder derartige Zustand beeinflusst die Balance des Wohlfühlhormons Serotonin ungünstig – und schon trübt sich die Stimmung. Das kann eine Erkältung sein, starkes Übergewicht, anhaltender Ärger zuhause oder beruflich oder hoher Leistungsdruck. Trauma dagegen ist ein anderes Wort für Verletzung. Jede körperliche oder psychische Wunde verursacht depressive Stimmungen – ein Unfall, eine Operation, Missbrauchserfahrung oder der Verlust geliebter Menschen. Wunden sollten abheilen. Depression ist Teil des Heilprozesses – normalerweise. Problematisch wird es dann, wenn die gedrückte Stimmung zum Dauerzustand wird oder die chronische Stressbelastung nicht mehr wahrgenommen wird.
Besonders Frauen sollen von depressiver Verstimmung betroffen sein. Warum?
Es gibt spezifisch weibliche Faktoren für Stimmungsstörungen. Hierzu gehören etwa die hochkomplexen Funktionen des Hormonnetzwerks. Zum Beispiel erhöht sich die Anfälligkeit für Depressionen durch Menstruation (prämenstruelles Syndrom), die Antibabypille, im Wochenbett (Babyblues) und in den Wechseljahren. Die Balance der Sexualhormone ist in all diesen Zuständen verändert. Zudem wird der Grad der Belastung, der Frauen in postmodernen Zeiten ausgesetzt sind, oft unterschätzt. Sie sollen sich um die Familie und die Kinder kümmern und zusätzlich beruflich aktiv sein. Das macht Frauen doppelt stressanfällig und begünstigt depressive Verstimmungen, wenn Entspannung und Erholung fehlen.
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Der Grad der Belastung, der Frauen in postmodernen Zeiten ausgesetzt sind, wird oft unterschätzt.
Dr. med. Eberhard J. WormerTweet
In Ihrem Buch beschreiben Sie Sexualhormone als natürliche Antidepressiva? Wie können diese Frauen helfen?
Das balancierte Zusammenspiel der Sexualhormone ist ein Gesundheitsfaktor. In den bereits genannten unterschiedlichen Lebensphasen der Frau kommt es immer wieder zu dramatischen Veränderungen dieser Balance. Die wichtigsten Gegenspieler-Hormone sind Östrogen und Progesteron. Man weiß heute, dass Östrogenwirkungen den Wirkungen von Antidepressiva ähneln. Manche Frauen profitieren von einer Sexualhormongabe, andere nicht. Östrogen (plus Progesteron) können Beschwerden des prämenstruellen Syndroms bessern. Östrogen-Pflaster plus Progesteron-Pille erwiesen sich in Studien als wirksames antidepressives Mittel gegen Babyblues. Frauen, die in den Wechseljahren an starken Beschwerden und depressiven Verstimmungen leiden, profitieren von Östrogen-Progesteron-Kombinationen, wenn alternative Mittel versagen. Wird die Hormontherapie unter ärztlicher Kontrolle und zeitlich begrenzt durchgeführt, sollten sie vor Risiken geschützt sein.
Dr. med. Eberhard J. Wormer: Natürliche Antidepressiva. Sanfte Wege aus dem Stimmungstief, Mankau Verlag, 8,99 Euro
Laut Bundesgesundheitsministerium gehören Depressionen zu den am meisten unterschätzten Erkrankungen. Wieso?
Stimmungsstörungen sind wie Schmerz subjektive Erfahrungen. Das Leiden kann weder vom Betroffenen selbst noch von Außenstehenden "bewiesen" werden. Das macht die Sache für beide Seiten schwierig. Wir sind aufgerufen, dem Betroffenen zu glauben, dass er leidet. Gerade das fällt uns schwer. Stattdessen suchen wir nach Erklärungen, die uns das Leiden der Anderen vom Hals halten. Depressionen werden dann verdrängt, bagatellisiert oder stigmatisiert. Hinzu kommt, dass Depressionen als Störfaktor der Leistungserwartungen unserer hochproduktiven Gesellschaft gesehen werden: Leiden ist gleich Schwäche. Eine menschlich fragwürdige Einstellung.
Heutzutage werden Betroffene oft gleich zu Anfang mit chemischen Antidepressiva behandelt. Dabei gilt doch beispielsweise Johanniskraut als das führende pflanzliche Mittel gegen Depressionen. Welche positive Wirkung hat es auf den menschlichen Körper?
Johanniskraut ist die traditionell wichtigste Heilpflanze bei depressiven Verstimmungen. Standardisierter Johanniskrautextrakt hemmt die Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin wie ein modernes SSRI-Antidepressivum (SSRI, Selective Serotonin Reuptake Inhibitors: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer). Durch Hemmung eines Enzyms (Monoaminoxidase/MAO) erhöht sich die Menge der dem Nervensystem zur Verfügung stehenden Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin. Johanniskraut kann auch Schlafprobleme günstig beeinflussen. Als Antidepressivum muss Johanniskraut mindestens vier bis sechs Wochen angewendet werden.
Neben hormonellen und pflanzlichen Hilfsmitteln gehen Sie auch auf komplementäre Therapien ein. Können Sie zwei beschreiben?
Ich möchte hier zwei Strategien empfehlen: Stressabbau durch bewusste Entspannung und körperliche Bewegung. Eines der einfachsten und besten Entspannungsverfahren ist nach wie vor das Autogene Training. Jeder kann es lernen und zum eigenen Vorteil einsetzen. Unterschätzen Sie nicht die Macht des Geistes! Das Autogene Training fördert zudem positives Denken und eine positive Lebenseinstellung – und es ist absolut selbstbestimmt. Hier mischt sich niemand ein. Unterschätzen Sie auch nicht die antidepressiven Effekte körperlicher Bewegung. Tatsächlich kann man in gewisser Weise der Depression "davonlaufen". Bewegung mobilisiert Glücksgefühle und Glückshormone. Regelmäßiges und bewusstes Körpertraining ist ein starkes Antidepressivum.
Ab welchem Zeitpunkt raten Sie zu pharmazeutischen Antidepressiva und von welchem Arzt sollten sie verschrieben werden?
Wenn eine depressive Stimmungslage über Wochen unverändert vorliegt oder sich verschlechtert oder gar Suizidgedanken auftauchen – trotz Selbsthilfemaßnahmen – suchen Sie am besten einen Facharzt für Nervenheilkunde auf. Ein kompetenter Psychiater ist diagnostisch geschult, wird sich die nötige Zeit nehmen und die Risiken Ihres Zustands richtig einschätzen können. Auf dieser Basis ist die Verordnung von pharmazeutischen Antidepressiva sinnvoll und meist hilfreich.