Social Cocooning ist laut Expert:innen ein absoluter Trend: Einfach gemütlich mit Freund:innen oder der Familie zuhause bleiben statt auszugehen. Was hat es auf sich mit der neuen Heimeligkeit?
Social Cocooning: Kommt, wir bleiben zuhause
Gemütliche Abende zuhause statt wilder Clubnächte – was wir bisher auf's Alter geschoben und mit einem halbironischen "Naja, wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten" abgetan haben, gehört offenbar zu den Top-Trends unserer Zeit: Einfach mal zuhause bleiben. Aber nicht allein! Social Cocooning heißt der Trend, der bereits 2016 vom britischen Wörterbuch Collins unter die Top 10 Wörter des Jahres gewählt und ein Jahr später in einer Publikation des Zukunftsinstituts als eines von acht Trendphänomenen unserer Zeit beschrieben wurde. Doch was genau soll das sein?
Social Cocooning – Das Lagerfeuer des 21. Jahrhunderts
Das Zukunftsinstitut beschreibt Social Cocooning als ein "auf Kontakt basierendes Zusammentreffen von Menschen in entspannter Wohnzimmeratmosphäre". Dabei wird dem schon seit den 1980er Jahren bekannten Begriff Cocooning, der den Rückzug aus einer komplexen, unkontrollierbaren Umwelt in die eigenen vier Wände beschreibt, eine soziale Komponente hinzugefügt. Der Spieleabend mit Freund:innen, ein Glas Wein in guter Gesellschaft auf der Couch – Social Cocooning ist ein geplantes Zusammensein, bei dem eine Verbindung, welcher Art auch immer, zum Gegenüber entsteht.
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Social Cocooning als Rückzug aus einer unsicheren Welt
Die letzten Jahre waren turbulent. Eine Pandemie, die unser Leben komplett auf den Kopf stellt, ökonomische und politische Herausforderungen und Veränderungen. 60 Prozent der jungen Menschen leiden unter Klimaangst. Kaum verwunderlich, dass daraus eine gesellschaftliche Sehnsucht nach Unbeschwertheit, Gemütlichkeit und Vertrauen entsteht, nach einem sicheren Rückzugsort von der tobenden Welt "da draußen".
Eine neue Art der Achtsamkeit
Zeitgleich mit Social Cocooning tauchten auch Begriffe wie Hygge oder JOMO (= Joy of missing out) auf den gesellschaftlichen Trendradaren auf. Beide bilden wichtige Bestandteile von Social Cocooning.
Hygge kommt aus dem Dänischen und wird häufig mit Heimeligkeit oder Gemütlichkeit übersetzt. Der Trend des skandinavischen Glücks wurde in Deutschland sehr erfolgreich als Wohntrend kommerzialisiert: Eine gemütliche und herzliche Wohlfühl-Atmosphäre zwischen vielen Kerzen, selbstgebackenen Keksen und flauschigen Kissen.
JOMO bildet den Gegenpol zum sozialen Phänomen FOMO (= Fear of missing out) und beschreibt die Freude daran, ein Event zu verpassen, das Handy mal wegzulegen und die Zeit stattdessen ganz für sich zu nutzen.
Beides sind Aspekte des Social Cocooning: Eine gemütliche Umgebung, in der man gerne Zeit verbringt und die Fähigkeit und Freude daran, sich voll auf den Moment einzulassen.
Social Cocooning muss nicht immer "Friede, Freude, Eierkuchen" sein
In der bereits erwähnten Publikation "Die neue Achtsamkeit" vom Zukunftsinstitut schreibt Anja Kirig: "Social Cocooning muss nicht immer 'Friede, Freude, Eierkuchen' sein, sondern kann neben Einklang auch Ort für Diskussion und Konsensbildung sein." Ebenso erfordert Social Cocooning nicht immer Kommunikation und muss nicht zwingend zuhause stattfinden. Auch Slow Reading Clubs, die sich regelmäßig in Cafés treffen, um gemeinsam zu lesen (und zwar jede:r, was sie oder er möchte), können beispielsweise als Social Cocooning Aktivität im öffentlichen Raum verstanden werden. Das verbindende Element ist das Lesen eines Buchs, ohne Ablenkung durch Smartphone und Co. "Der sanfte soziale Druck, der durch die Gegenwart der anderen Leute entsteht, kann schon reichen, um [...] vor der Versuchung digitaler Ablenkung zu schützen", schreibt Kirig.
Es geht beim Social Cocooning also weniger um den Ort oder die Aktivität, sondern um ein Gemeinschaftsgefühl, um Begegnungen und Verbindungen.
Bleiben wir jetzt nur noch zuhause?
Eher nicht. Denn wie sehr viele von uns auch das öffentliche Leben schätzen und vermissen, wenn es nicht da ist, haben uns spätestens die Corona-Lockdowns deutlich vor Augen geführt. Kein Live-Stream wird jemals das Gefühl ersetzen, bei einem Konzert in der ersten Reihe zu stehen, und manchmal möchten wir doch auch einfach in dieser viel zu lauten Bar sitzen und wissend nickend, während wir kein Wort von dem verstehen, was uns unser Gegenüber entgegenschreit.
Die gute Nachricht ist: Wir müssen uns nicht entscheiden, ob wir den Rest unseres Lebens mit unserer Handvoll Lieblingsmenschen verbringen oder in einer anonymen Masse verschwinden möchten. Beides (und auch alles dazwischen) geht und hat definitiv seine Berechtigung und seinen Reiz. Und wenn wir uns in Phasen der Unsicherheit und Instabilität nur noch nach Social Cocooning in Form von Scrabble-Abenden und Rotwein sehnen, sollten wir uns dafür nicht rechtfertigen müssen, sondern fröhlich dem JOMO hingeben. Genauso, wie wir uns in anderen Phasen in tanzenden Mengen fremder Menschen verlieren können – aber bitte nicht nur aus der Angst heraus, sonst etwas zu verpassen. Vielleicht führt der Social Cocooning-Trend ja endlich dazu, dass beide Seiten etwas gleichberechtigter in unserer Gesellschaft anerkannt werden. Und damit einigen die Entscheidung für das, worauf sie wirklich Lust haben, erleichtert.
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