Wann ist das doofe Corona endlich vorbei? Was die Pandemie mit der Psyche unserer Kinder macht und wie wir ihnen im Alltag helfen können, verrät die approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Annalena Thomas.
1. Kinder merken seit einem halben Jahr, dass die Welt sich verändert hat. Welchen langfristigen Effekt hat das auf ihre Psyche?
Welche langfristigen Effekte die Pandemie auf die Psyche haben wird, können wir noch nicht sagen, da dazu die Lage und Veränderungen noch zu aktuell sind. Erste Studien zeigen jedoch, dass Kinder und Jugendliche eine größere Belastung spüren als zuvor und sich dadurch ihr psychisches Wohlbefinden und ihre Lebensqualität verringert haben, was nicht verwunderlich ist. Dies drückt sich vor allem in vermehrter Gereiztheit, Konzentrationsstörungen, Unruhe, Erschöpfung, Einschlafschwierigkeiten sowie Bauch- und Kopfschmerzen aus. Viele Kinder und Jugendliche gaben auch an, dass sie sich mehr sorgen würden. Umso wichtiger ist es sie in dieser langandauernden Krisenzeit ausreichend zu unterstützen, sodass sie diese Zeit gut bewältigen können und wissen, dass sie damit nicht allein sind.
2. Kinder auf Hygienemaßnahmen hinzuweisen, ist wichtig. Aber was macht es mit Kindern, wenn sie hören „Komm den anderen nicht zu nahe, wasch dir mehrmals am Tag die Hände, setze eine Maske auf“? Schürt das nicht auch Misstrauen?
Die meisten Kinder sind wesentlich zugänglicher für äußere Anpassungen als wir Erwachsenen. Wichtig ist, dass man ihnen erklärt, warum all diese Dinge notwendig sind und es ihnen in angemessener Art und Weise vermittelt. In der Erklärung dürfen beispielsweise andere Familienmitglieder einbezogen werden, indem man sagt „Es ist wichtig, dass wir alle unsere Hände waschen, wenn wir von draußen nach Hause kommen. Denn damit sind du, Oma, ich und auch andere Menschen geschützt, denen wir begegnen“. Der Einbezug des „wir“ und auch die Transparenz der Fürsorge umeinander entlastet in dieser Aussage. Kinder verstehen so, warum diese Regeln wichtig sind und sie nicht allein damit sind. Denn wir alle sitzen gemeinsam im gleichen Boot und müssen füreinander sorgen.
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Auch der Umgang mit der aktuellen Situation von uns Erwachsenen ist hierbei wichtig. Kinder orientieren sich an unserem Verhalten und unserer Haltung. Wenn wir diese Maßnahmen selbst als wichtig und selbstverständlich verstehen und damit entspannt umgehen, dann sind sowohl die Gesamtsituation als auch konkrete Maßnahmen für Kinder leichter anzunehmen. Bei Kindern und Jugendlichen, die von ihrem Grundtemperament ängstlicher sind und sich „schneller“ sorgen und auch bei Kindern, die bereits vor der Pandemie seelisch belastet waren, können diese Maßnahmen Ängste und Unsicherheit verstärken. Hier ist es wichtig offen darüber zu sprechen und Kindern zu sagen, dass es okay und menschlich ist Ängste zu haben und sich unsicher zu fühlen, ihnen beizustehen und zuzuhören. Zusätzliche Unterstützung kann die Stärkung des Selbstwirksamkeitserlebens bspw. durch gemeinsame Atemübungen oder Autogenes Training, die Sicherheit und Entspannung erzeugen, bieten und ggf. therapeutische Unterstützung. Der Angst einen Namen zu geben, mit ihr zu sprechen, sie mal zu malen oder als Teenager einfach über die Empfindungen zu schreiben, kann im Umgang damit helfen und vor allem von Scham und eigenem Ohnmachtserleben befreien.
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3. Was ist für Kinder jetzt am wichtigsten? (Kleinkinder, Schulkinder, Teenager)
Für alle Kinder und Jugendlichen ist eine sichere Basis, in der sie sich jetzt geborgen fühlen, entspannen und auftanken können, mit am wichtigsten. Diese kann je nach Alter unterschiedlich aussehen.
Kleinkinder brauchen viel mehr ihre Eltern und die körperliche Nähe zu ihnen für das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Außerdem ist das Thema Spielen ein weiterer wichtiger Faktor, denn Kinder entdecken sich beim Spielen selbst, verarbeiten ihre Gefühle und Erfahrungen und entdecken kreative Lösungen. Hier darf man, besonders aktuell, viel Freude gemeinsam erleben und einen Raum für das Sammeln von Erfahrungen und die Verarbeitung sowie den Umgang mit Erlebnissen geben.
Bei Schulkindern und Teenagern sind Bezugspersonen genauso wichtig, doch gerade bei Teenagern entwickeln sich diese hin zu Freunden und Gleichaltrigen. Die Eltern sind aber dennoch wichtiger als sie manchmal selbst denken, denn sie sind die sichere Basis der Kinder, auf die sie immer zurückgreifen können, wenn es nötig wird.
Einfach mal eine Ruhephase und Zeit für sich, in der keine Anforderungen bewältigt werden müssen, ist für alle gerade wichtig.
Bei Schulkindern, egal ob Grundschüler oder Teenager, ist es aktuell am wichtigsten Druck rauszunehmen. Die letzten Monate waren erschöpfend und Kräfte raubend, sowohl durch konkrete geballte schulische Anforderungen als auch die ständige mitschwebende Unsicherheit und nicht zu vergessen, ganz normale Entwicklungsanforderungen wie Zukunftsperspektiven entwickeln trotz aller Unsicherheiten, Freundschaften knüpfen und pflegen und mit Konflikten umgehen oder in dem Ganzen auch noch ein eigenes Selbstbewusstsein zu entwickeln wie auch das erste Verliebtsein oder die Veränderung des eigenen Denkens, Fühlens und Körpers in der Pubertät. Auch dies ist wichtig, dass wir Erwachsenen darum wissen und Verständnis und Mitgefühl zeigen, dass innere Themen trotz der anhaltenden äußeren Belastungen nicht einfach stoppen und vertagt werden können. Für Kinder und Jugendliche sind diese „Dinge“ richtig wichtig, um ein stimmiges Selbstbild und Weltbild zu entwickeln und das zu recht.
4. Mit welchen Fragen finden Eltern konkret heraus, was ihre Kinder gerade bedrückt?
Offen nach der Gefühlslage fragen und Ruhe und Offenheit zum Zuhören. Letzteres ist dabei gerade noch herausfordernder, weil viele Eltern verständlicherweise erschöpft sind und viele Anforderungen zeitgleich managen müssen. Kleine Kinder erzählen oft von sich aus, was sie gerade beschäftigt und lassen einen selbstverständlich mit leben. Bei Teenagern können „Nebenbei-Aktionen“, wie spazieren gehen, Unterhaltungen beim Kochen oder bei der Fahrt im Auto, helfen, um ins Gespräch zu kommen. Bei Jugendlichen sollte man wissen, dass sie persönliche Themen häufig mit sich selbst oder ihren Freunden ausmachen, das ist auch okay und wichtig für die persönliche Entwicklung. Wenn Eltern sich jedoch anhaltende Sorgen machen und auch beobachten, dass es dem Kind nicht gut geht, dürfen und sollten Eltern ihre Sorgen unbedingt offen ansprechen. Auch hier hilft es, dies in Ruhe zu machen.
5. Was können Eltern jetzt konkret tun, um Kindern Kraft und Mut zu geben?
Miteinander lachen, abschalten und „Normalität“ trotz aller Herausforderungen und Unsicherheiten in den Alltag bringen. Es ist wichtig konkrete Auszeiten von allen Belastungen zu nehmen, auch für die Eltern.
Das können kurze Momente und Aktionen, wie miteinander basteln, tanzen, gemeinsame Spaziergänge oder Filmabende sein und mal ohne Plan und Ziel etwas zu machen. Darüber hinaus helfen Atemübungen und Phantasiereisen, die das Nervensystem beruhigen und das Selbstwirksamkeitserleben stärken. Und vor allem Scham- und Schuldgefühle reduzieren, wenn gerade Kraft und Konzentration fehlt, sowohl bei sich selbst als auch beim Kind. Wir leben alle gemeinsam in einer Leistungs- und Erfolgsgesellschaft, wodurch die eigene Erschöpfung und ein „mal nicht mehr können, müder zu sein als sonst oder auch sich hilf-, perspektivlos oder kraftlos zu fühlen“ oft als eigener Mangel erlebt wird. Sie haben dieses Jahr alle Unglaubliches gemeistert. Sie dürfen das sich selbst als auch Ihrem Kind unbedingt sagen, spiegeln und bewusstmachen!
6. Welche Sätze helfen, wenn „das doofe Corona“ Kinderpläne zunichtemacht?
„Ich sehe dich, du darfst traurig, wütend und frustriert sein. Das ist auch frustrierend.“ „Lass es raus. Es ist okay, dass du wütend, genervt und erschöpft bist.“
„Ich bin bei dir“.
7. Wie wichtig sind für Kinder soziale Kontakte? Und in welcher Altersstufe ist es am schädlichsten, sie zu minimieren?
Soziale Kontakte sind für die Entwicklung von Kindern in allen Altersspannen wichtig, um Erfahrungen für das komplette Leben zu sammeln. Soziale Kontakte sind Entwicklungsbegegnungen, bei denen wir lernen wer wir sind und wer auch nicht und wie wir Beziehungen leben. Beispielsweise wie wir aufeinander eingehen und uns abgrenzen, wie wir Bedürfnisse kommunizieren, Konflikte lösen und Kompromisse schließen, aber auch Vertrauen zu sich und anderen zu entwickeln. Und dabei auch einfach zu erleben, dass wir alle unterschiedlich sind und das schön und okay ist und es auch unterschiedliche Perspektiven und Realitäten gibt. Dies alles sind wichtige Erfahrungen, die wir machen müssen und die wir brauchen.
Auch der physische Kontakt zu anderen ist für ein positives Lebensgefühl und das seelische Gleichgewicht notwendig und enorm wichtig.
Eine Einschränkung von Kontakten jedoch von kurzer Dauer, bspw. durch Quarantäne, schadet Kindern nicht sofort. Eine Vorsicht und Abstandsregeln durch die Pandemie sind gerade wichtig, dürfen aber keine Dauerlösung sein.
Annalena ThomasTweet
In Lockdownphasen oder auch während der Quarantäne hilft es zumindest online Kontakte zu haben. Für Kinder ist diese Art der Kommunikation viel selbstverständlicher, als für Erwachsene und macht es ihnen deshalb leichter. Hier empfehle ich allerdings zu telefonieren, auch gerne mit Video oder per Audio, denn verbaler „synchroner“ Kontakt stärkt unser Wohlbefinden mehr als eine Textnachricht.
8. Homeschooling und Homeoffice haben den medialen Konsum von Kindern sicherlich signifikant erhöht. Wie kommt man da wieder raus?
Klare Regeln und angemessene Grenzen zu besprechen sind wichtig. Kinder brauchen Online-Pausen, genau wie wir auch. Hier ist es wichtig zu erklären und selbst zu reflektieren, warum man diese Regeln als Eltern einsetzt: Nicht um zu strafen, sondern um zu schützen. Ein Beispiel, wie man Kinder leichter überzeugen kann, Pausen vom Bildschirm zu machen ist die genaue Erklärung davon wie unser Gehirn arbeitet und funktioniert. Denn dieses produziert Hormone, die wichtig sind, um zu entspannen, Leistungen zu erbringen, kreativ oder müde zu werden. Wenn wir jedoch zu lange vor dem Bildschirm sitzen bekommt unser Gehirn nicht genug Ruhephasen und gerät aus seinem Gleichgewicht und wir werden motivationslos, bekommen Konzentrationsschwierigkeiten und fühlen uns seelisch erschöpft.
Deshalb sind angemessene Bildschirmzeiten wichtig und lassen sich den Kindern so sinnvoll erklären.
Auch das Thema Social Media ist hierbei wichtig zu thematisieren. Social Media kann Spaß bringen und Möglichkeiten schaffen, sich mit anderen auszutauschen und inspiriert zu werden. Aber auch Selbstzweifel und Selbstunsicherheiten verstärken und abhängig machen. Auch Mobbing findet auf Social Media verstärkt und in heftigerer Weise statt. Es ist wichtig, mit Kindern und Jugendlichen offen über die Gefahren zu sprechen und ihnen Strategien an die Hand zu geben, in schwierigen Situationen damit umzugehen. Hilfestellung in solchen Situationen bieten wir beispielsweise bei Blossoomm an und auch Dove hat in dem von Expertinnen und Experten entwickelten Elternleitfaden hilfreiche und unterstützende Tipps und Tricks zusammengestellt.
Für ein besseres Selbstwertgefühl…
Im Rahmen des "Dove Projekt für mehr Selbstwertgefühl" unterstützt Dove Eltern mit Tipps und Inspirationen beim Umgang mit Problemen ihrer Kinder und möchte beiden Hilfestellung bei Themen wie, Social Media, Mobbing oder das eigene Aussehen bieten.
Die kostenlosen Materialien sollen Eltern helfen, sich in die Gefühlswelt ihrer Kinder hineinzuversetzen und sie beim Aufbau und der Aufrechterhaltung einer gesunden Beziehung zu ihrem Körper zu bestärken. Diese Infomaterialien sowie die Workshopmaterialien für Lehrkräfte und JugendgruppenleiterInnen wurden mit Hilfe von Experten entwickelt.
9. Ihr Tipp, um Kindern eine abgesagte Geburtstagsparty erträglich zu machen?
Trösten, trösten, trösten und Verständnis für Frustration zeigen sowie eine schöne Variante in der Familie finden, die Spaß macht. Hier ist viel weniger nötig als wir oft denken. Einfach da sein, das Geburtstagskind zelebrieren mit Lied, Kuchen und Girlande. Und Geschenke sind natürlich auch ein Hit, aber vor allem das Gesehen werden und Miteinander steckt darin und tut gut.