3 Dinge, die uns die Philosophie in dieser Zeit lehrt – und die jeder von uns tun kann. Dr. Rebekka Reinhard über die Coronakrise.
Corona und wir: Philosophische Gebrauchsanweisung für eine bessere Zukunft
Gerade noch war unsere größte Sorge, ob wir es rechtzeitig zur Yoga-Stunde schaffen. Gerade noch bereitete uns der schlecht sortierte Biomarkt und der ständige Ärger mit der ignoranten Kollegin den größten Kummer. Plötzlich ist alles anders. Die sogenannten echten Probleme wie Flüchtlingselend, Erderwärmung und Rechtsextremismus fluteten unsere Bildschirme, aber nicht unser Leben. Die Sensibleren unter uns ahnten vielleicht, dass es nicht mehr ewig so weiter gehen konnte. Aber niemand rechnete mit dem Unerwarteten. Dass ein China entsprungener Virus binnen zwei Monaten die hypermobile Welt, in der zwei Millionen Leute täglich den Flieger nehmen, in eine kollektive Lähmung zwingen würde.
Ich glaube, dass in dieser Krise eine große Chance liegt…
Alles passiert in diesem Augenblick. Die Verbreitung des Virus reproduziert sich in Echtzeit im Netz. Die Unsicherheit lässt sich nicht kontrollieren. Gerade noch beklagte man den Stress mit den Kindern, dem Chef, dem Reiseanbieter – nun sitzt man zu Hause und ist fassungslos angesichts der exponentiell wachsenden Infektions- und Todesraten. Was wird kommen? Was wird sein? Ich glaube, dass in dieser Krise eine große Chance liegt. Dass uns gelingen kann, was uns trotz aller Coachingsessions, Therapiestunden und Achtsamkeitsseminare bisher nicht gelungen ist: Ernsthafte Reflexion. Ein nachhaltiges Innehalten. Ein bleibendes Bewusstsein von der Zerbrechlichkeit menschlicher Existenz. Eine Umkehr vom Ich zum Wir. Diese Chance zu nutzen, ist gar nicht so schwer. Genau genommen sind es nur drei Dinge, die jetzt zählen:
1. Der Kategorische Imperativ – "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde", schrieb Immanuel Kant. Sein Kategorischer Imperativ ist die Künstliche Intelligenz der Stunde: "Handle so, als gehörtest du zu einer Risikogruppe, als seist du schon infiziert, als seist du überhaupt die größte aller Virenschleudern: Wasch deine Hände. Geh nur raus, wenn du Lebensmittel kaufen oder dich bewegen musst. Frag ältere Nachbarn, ob du für sie einkaufen sollst. Wasch deine Hände. Nutze deine Zeit, um nachzudenken, zu lesen, virtuelle Kontakte zur Außenwelt zu pflegen und anderen Mut zu machen." So einfach kann angewandte Philosophie sein...
Corona ist die Chance, jetzt sofort die Blickrichtung zu wechseln
2. Das Gesicht des anderen Menschen – Für den französischen Philosophen Emmanuel Levinas war "Heteronomie" wichtiger als Autonomie. Heteronom denken und fühlen, das heißt für ihn: die Dinge nicht aus meiner eigenen Perspektive sehen, sondern vom anderen Menschen her verstehen. Laut Levinas ist es das schutzlose, nackte Gesicht eines – jedes – anderen Menschen, das den wortlosen Appell "Du sollst nicht töten!" beinhaltet. "Das Gesicht ist ausgesetzt, bedroht, als wollte es uns einladen, ihm Gewalt anzutun. Und gleichzeitig ist das Gesicht auch das, was uns verbietet zu töten." Corona ist die Chance, jetzt sofort die Blickrichtung zu wechseln. Die Nabelschau zu beenden. Unser Gegenüber anzuschauen. Es zu sehen und zu beschützen.
Liebe ist das mächtigste Virus überhaupt
3. Liebe – Liebe ist eine Aktivität, die größer als alles ist, und die man nicht in Worte fassen kann. Liebe kann nicht philosophisch beschrieben, sondern muss gelebt, gegeben und empfunden werden. Liebe ist das mächtigste Virus überhaupt. Und das ist alles.
Über die Autorin: Die Philosophin und Bestsellerautorin Dr. Rebekka Reinhard
ist stellvertretende Chefredakteurin des Magazins Hohe Luft, das ebenfalls in unserem Verlag Inspiring Network erscheint.