Negatives Denken bringt uns voran, Positives Denken macht uns erst so richtig unzufrieden. Ein Plädoyer für schwarze Gedanken.
Negative Gedanken abschütteln? Ach, warum denn?
Negatives Denken ist eine feine Sache, findet Autorin Corinne Luca. Und ruft dazu auf, wenigstens ab und zu mal richtig kräftig schwarzzusehen. Wir haben außerdem noch Tipps für dich, wie du den Denkfallen entkommst.
"Früher hätte ich viel dafür gegeben, eine unerschütterliche Optimistin zu sein. Ich sagte Dinge wie: "Ach, ich sehe das eigentlich positiv", während ich im Kopf bereits eine Negativliste erstellte. Kein Wunder, dass es mir so ging, denn Optimismus ist ein viel gepriesener Wert. Es gibt nur Herausforderungen statt Probleme, negatives Denken ist verpönt, und wer scheitert, ist immer auch ein wenig selbst schuld. Eine optimistische Grundeinstellung hilft laut Studien nicht nur bei der Bewältigung von Krebs oder Herzinfarkten, sondern macht allgemein glücklicher. Flankiert wird die Idee von entsprechender Selbsthilfeliteratur, die uns auffordert, negative Gedanken abzuschütteln oder gar nicht erst zu denken. Stattdessen sollen wir Positives visualisieren. Für pessimistische Menschen wie mich schien es eine unbequeme Wahrheit zu sein, dass eine positive Einstellung so ziemlich alles wieder gerade rücken könnte.
Pessimismus leben – immer schön Negatives denken!
Dabei passt der Ratschlag "Denk doch mal positiv!" nicht besonders gut zu der Art, wie unser Gehirn funktioniert. Der menschliche Verstand kann ungebetene Gedanken nämlich nicht einfach ausschalten. Wenn wir uns vornehmen, an etwas nicht zu denken, tun wir es ganz bestimmt (denken Sie jetzt nicht an einen Eisbären!). Der Psychologe Daniel Wegner hat dem Phänomen einen Namen gegeben: ironischer Prozess. Wegner ließ Studienteilnehmer an eine schmerzhafte Situation denken – und wies sie gleichzeitig an, nicht traurig zu sein. Am Ende ging es diesen Probanden deutlich schlechter als jenen in der Vergleichsgruppe, denen nicht erklärt wurde, wie sie sich fühlen sollten. Insbesondere wer von Hause aus eher Schwarzseher ist verschwendet eine Menge Energie bei dem Versuch, den eigenen Geist zu trainieren. Die kanadische Psychologin Joanne Wood ließ Studenten immer wieder den Satz "Ich bin eine liebenswerte Person" aufsagen, um verblüfft festzustellen, dass deren Selbstbewusstsein mit jeder Wiederholung sank. Im Kopf sammelten die Teilnehmer nämlich unermüdlich Gegenargumente, warum sie doch nicht so liebenswert wären. Das positive Denken führte also dazu, dass sie sich schlechter fühlten. Joanne Woods Fazit: Wer sich entscheidet, gegen die eigene Natur nur noch positiv zu denken, scannt seine Gedanken ständig auf schädliche negative Einflüsse, um dieses Ziel zu erreichen. So schenken wir dem Negativen unwillkürlich mehr Beachtung, als wir es ohne unser Vorhaben getan hätten.
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Positiv denken führt uns nicht (unbedingt) ans Ziel!
Auch bei der Visualisierung von Zielen hilft stur positives Denken wenig, resümiert die Psychologieprofessorin Gabriele Oettingen. Sie forscht seit zwei Jahrzehnten zum Thema und fand heraus: Frauen, die abnehmen wollten und ihren schlanken Körper visualisierten, erreichten ihn seltener als eine Vergleichsgruppe, die ihn sich nicht vorstellte. Studenten, die sich ausmalten, eine Prüfung besonders gut zu bestehen, schnitten am Ende schlechter ab. Der Grund: Wenn wir uns ein positives Ereignis ausmalen, glaubt ein Teil unseres Gehirns, wir wären bereits am Ende des Weges angekommen. Die Motivation sinkt, wir strengen uns weniger an. Wer ans Ziel kommen will, sollte sich lieber fragen, welche Hindernisse im Weg stehen, um es zu erreichen. Das klingt nicht besonders positiv, aber genau hier liegt der Knackpunkt beim konstruktiven negativen Denken. Schwarzmalen kann eine sinnvolle Fähigkeit sein, wenn sie uns hilft, unerfreulichen Gedanken, Emotionen und Situationen gegenüberzutreten.
Negativ denken kann unseren Gefühlen auch schaden
Zur Gefahr für unsere seelische Gesundheit werden negative Gedanken erst, wenn sie uns lähmen. Lena Kuhlmann, Psychotherapeutin und Autorin von "Psyche? Hat doch jeder!", erklärt: "Es darf uns allen mal schlecht gehen. Weil das Wetter schlecht ist, weil man seine Tage bekommt, weil die Welt ungerecht ist. Kein Mensch ist dauermotiviert und kann, wie von den Supergurus gepredigt, jeden Tag immer und überall das Maximale aus der Situation herausholen. Negative Gedanken sollten aber nicht zum Dauerzustand werden und über einen längeren Zeitraum hinweg die Lebensqualität und Lebensfreude einschränken." Schwarzsehen ist nicht per se besser als Optimismus. Ein Plädoyer für gesunden Pessimismus will die beiden Pole aber auch gar nicht mehr nur als Gegensätze verstehen. Optimismus kann hilfreich sein und positives Denken in bestimmten Situationen durchaus zielführend. Nur haben wir die Angewohnheit entwickelt, positives Denken chronisch zu überschätzen und die guten Effekte von negativem Denken abzuwerten. Der unerschütterliche Glaube an die Kraft der positiven Gedanken bereitet uns schlecht auf die Achterbahn vor, die Leben heißt. Schwarzsehen kann uns nämlich helfen, die Dinge nicht auszuschließen, die unser Leben auch bestimmen. Dazu gehören Unsicherheit, Ungewissheit, Scheitern. Um glücklich zu werden, müssen wir willens sein, mit negativen Emotionen umzugehen oder sie wenigstens nicht ständig auszublenden. Ich selbst bin mittlerweile zufriedene Pessimistin und Problemvorwegnehmerin. Heute würde ich sagen: Meine pessimistische Grundeinstellung hat viel Positives."
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