Es gibt die Art von Menschen, die zu jeder Verabredung eine Viertelstunde zu spät aufkreuzen. Und es gibt die, die konsequent fünf Minuten zu früh da sind. Unsere Kollegin gehört zur letzteren Spezies und hat festgestellt: Zuspätkommen nervt nicht nur, sondern tut auch weh.
Ich geb's zu: Ich bin neurotisch. Bevor ich das Haus verlasse, checke ich mindestens fünfmal, ob ich auch ja mein Glätteisen aus der Steckdose gezogen habe. Wenn ich auf dem Weg zu einer neuen Adresse bin, überprüfe ich ununterbrochen auf Maps, ob ich richtig bin. Und zu einer Verabredung komme ich in der Regel mindestens fünf Minuten zu früh. Das bedeutet leider auch, dass ich in meinem Leben schon seeehr viel Zeit mit Warten verbracht habe. Irgendwie habe ich nämlich ein Geschick dafür, mir Freund:innen auszusuchen, die konsequent zu spät kommen – und zwar nicht nur wegen eines ausgefallenen Buses oder eines dringenden Notfalls.
Die Wartezeit-Routine
Klar, dass das mittlerweile zum Running Gag geworden ist: "Haha, Selina ist schon wieder viel zu früh. Wir sind dann so in zwanzig Minuten da!" Nicht falsch verstehen, ich kann darüber lachen. Aber unterbewusst breitet sich in mir immer wieder dieses ungute Gefühl aus, sobald ich mal wieder meine Wartezeit-Routine abspiele: WhatsApp checken, meine Lieblingssongs in die Spotify-Warteschlange schieben und mir vor fremden Menschen bloß nicht anmerken lassen, dass meine Freund:innen mich schon wieder hängengelassen haben.
Wahrscheinlich wissen die meisten Zuspätkommer:innen gar nicht, was es mit einer pünktlichen Person wie mir macht, wenn sie noch mal ihr Outfit im Spiegel betrachten und dadurch die Bahn verpassen (oder was macht ihr in der Zeit sonst so?). Für mich hat Pünktlichkeit extrem viel mit Respekt zu tun. Ich möchte die Zeit der anderen Person nicht verschwenden, deswegen bemühe ich mich, mich an die abgesprochenen Termine zu halten. Wenn jemand mich warten lässt, bedeutet das für mich auch, dass er oder sie mich nicht genug respektiert, um pünktlich zu sein. Es ist, als würde man mir klarmachen wollen: Meine Zeit ist mehr wert als deine. Würden diese Personen auch zu einem wichtigen Arzttermin zu spät kommen? Ich bezweifle es.
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Ja, ich habe Probleme
Theoretisch weiß ich natürlich, dass meine Freund:innen mich respektieren. Das ändert aber leider nichts an meinen Gefühlen. Meine Minderwertigkeitskomplexe wachsen einfach weiter und weiter, je länger ich vor dem Café stehe und auf mein Handy starre, damit ich nicht komplett lost aussehe. Gut, wahrscheinlich sollten diese nervigen Minderwertigkeitskomplexe meine Sorge sein und nicht die meiner Freund:innen. Aber bedeutet Freundschaft nicht auch, auf die Gefühle der anderen Person Rücksicht zu nehmen? Sollten nicht beide Seiten Kompromisse eingehen und ihr Bestes versuchen, einander gut zu behandeln?
Das Schlimmste: Ich merke, wie sich in mir jedes Mal ein bisschen mehr Genervtheit aufstaut. Dabei will ich das gar nicht. Wer will schon sauer auf seine besten Freund:innen sein? Ich als sehr harmoniebedürftige Person jedenfalls nicht. Ich habe schon oft mit ihnen darüber geredet, wie ich mich fühle, aber irgendwie scheinen sie es nicht ganz nachvollziehen zu können. Wahrscheinlich genauso wenig wie ich nachvollziehen kann, wieso sie jedes Mal zu spät kommen. Wie wäre es denn mal damit, einfach fünf Minuten früher duschen zu gehen, wenn man weiß, dass man eh in Zeitdruck kommt? Da ist sie schon wieder, die Genervtheit.
Ein Schlichtungsversuch
Dabei wäre es ein so easy Freundschaftsbeweis, einfach mal pünktlich zu sein. Es würde mir zeigen: Hey, du bist mir wichtig, deine Zeit ist mir wichtig. Vielleicht ist dieser Text mein Versuch, meinen Freund:innen klarzumachen, wie sehr es mich schmerzt, wenn sie mal wieder zu spät kommen. Es ist nicht nur so, dass ich genervt bin, weil ich dadurch eine Viertelstunde meiner Lebenszeit verschwendet habe. Ich fühle mich dabei hängengelassen und nicht wertgeschätzt. Hört sich übertrieben an, ist aber so.
Letztendlich bedeutet das aber auch nur eins: Dass mir meine Freund:innen so wichtig sind, dass ich trotzdem immer noch pünktlich zu jeder Verabredung erscheine – obwohl ich genau weiß, dass sie wieder zu spät sein werden. Denn lieb hab ich sie so oder so.
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