Besties, BFFs, #bffgoals: Von der Schule über Filme bis hin zu Social Media wird uns aus allen Ecken der Gesellschaft suggeriert, wir bräuchten eine beste Freundin. Aber was ist, wenn wir die nicht haben?
In der Schule hatte ich eine. Uns gab es nur im Doppelpack und wir machten nahezu alles gemeinsam – zumindest machte ich nichts ohne sie. Ich hatte damals ein ziemlich geringes Selbstbewusstsein und traute mich oft nicht allein irgendwohin, geschweige denn irgendwohin, wo Menschen waren. Dass wir eigentlich gar nicht richtig füreinander waren, merkte ich erst im Laufe der Zeit.
Die eine beste Freundin
Eigentlich war es ziemlich offensichtlich, dass wir nicht zueinander passten. Wir waren keine besten Freundinnen. Aber wir taten so und eine Weile glaubten wir es vermutlich auch. Man hatte sie schließlich zu haben, die eine beste Freundin.
Von Thelma und Louise bis Rachel und Monica
Medien, Filme, alle machen sie es uns vor. Thelma und Louise, Rachel und Monica oder Blair und Serena – die gibt es nur zu zweit.
Beste Freundin – Begriffe wie BFF, Bestie oder #bff goals fluten unsere Social-Media-Accounts, es gibt Erfindungen wie den Best Friends Day, Gewinnspiele für "dich und deine Bestie" und hunderttausende Artikel wie diese: "Urlaub für dich und deine beste Freundin", "Deshalb denken du und deine beste Freundin genau gleich" oder "Frauen lieben ihre beste Freundin mehr als ihre:n Partner:in".
Einerseits wird uns suggeriert, wir bräuchten eine große Girl Squad, denn wer in der Grundschule das Freundschaftsbuch nicht voll bekam, galt ebenfalls gleich als merkwürdig. Andererseits besteht eben auch immer die Erwartung, dass diese eine beste darunter ist. Bei Mädchen und Frauen scheint das sogar noch ausgeprägter zu sein als bei Jungen – das völlig überholte patriarchale Prinzip "es kann nur eine geben" beginnt schon früh. Und es gibt ja auch durchaus Menschen, auf die das zutrifft. Aber eben natürlich auch viele, bei denen das nicht so ist. So wie mich.
Wer will nicht beste Freundin sein?
Ich habe sie nicht, die Thelma zu meiner Louise, und das hat lange wehgetan. Was besonders geschmerzt hat, war gar nicht unbedingt, keine beste Freundin zu haben, sondern für niemandem die beste Freundin zu sein. Dass es keine Person auf diesem Planeten gibt, die meinen Namen als allererstes nennen würde, hat mir jahrelang einen enormen Stich versetzt, wann immer ich daran dachte.
Das war nicht mit der Schulzeit vorbei. Mit Anfang zwanzig hatte ich eine ziemlich verletzliche Phase. Freundschaften veränderten sich extrem, ich lernte wahnsinnig viele wahnsinnig tolle neue Menschen kennen und versuchte irgendwie, meinen Platz in der Welt zu finden. Und während ich das tat und nebenbei Freundschaften knüpfte, die teilweise bis heute halten, schlich sich immer mal wieder der Gedanke herbei, dass ich vielleicht einfach nicht beliebt genug war, um darunter die eine neue beste Freundin zu finden. Nicht cool genug, dass sich jemand ausgerechnet mich aussuchen und mir die BFF-Krone verleihen würde.
Zugegeben, ich habe meine Schwester. Sie war schon meine engste Bezugsperson, lange bevor es meine Freundinnen gab, und ist meistens die Erste, der ich etwas erzähle. Wir ticken ziemlich ähnlich und wissen alles voneinander, sind bedingungslos füreinander da. Doch auch sie hat ihre engsten Freundinnen. In einer ohnehin schon vulnerablen Zeit machte ich mir also nicht nur Sorgen, weil ich keine beste Freundin hatte, sondern war auch noch eifersüchtig auf Freundinnen und Schwestern, die eine hatten – und dann wiederum machte ich mir Sorgen darüber, dass ich so eifersüchtig war.
Die beste Freundin toxisch?
Eigentlich hätte ich mit meinen Freundschaften ziemlich glücklich sein können – auch ohne beste Freundin. Wäre da nur nicht dieser Druck, diese Erwartungshaltung gewesen, von Gesellschaft und Medien kreiert und von meinem gesamten Umfeld reproduziert.
So kommt es eben, dass wir manchmal eine beste Freundin haben, die eigentlich keine ist, nur um äußeren Ansprüchen zu genügen. Aber kann es denn wirklich besser sein, eine zu haben, die nicht wirklich eine ist, als keine? Dass das in Liebesbeziehungen eine ziemlich falsche Herangehensweise ist, ist klar. Aber in Freundschaftsdingen habe ich es erst ziemlich spät verstanden.
Manchmal braucht man einander wohl eine Weile, weil sich gegensätzliche Eigenschaften gut tun oder eine gewisse Freundschaft eine gewisse Zeit lang zur Entwicklung beiträgt. Bisweilen entwickelt sich daraus aber auch eine einseitige Abhängigkeit, die schnell ungesund werden kann, wenn nicht sogar toxisch.
Und ehe man es sich versieht, ist die engste Bezugsperson eine, die einem eigentlich gar nicht wohlgesonnen ist (so gesehen sind "Gossip Girl"s Blair und Serena übrigens auch wirklich keine guten Vorbilder). So habe ich früher Freundschaften geführt, die nicht gut für mich waren. Oder die vielleicht einmal gut gewesen waren, bevor wir uns auseinanderentwickelten.
Lies auch:
- Freundschaften pflegen: Diese 10 Tipps helfen dir dabei
- Ein Psychotherapeut im Interview: Wie viele Freunde brauche ich?
- Freundschaft und Corona: Wie die Pandemie Kontakte verändert hat
Du hast keine BFF? Das Internet verurteilt dich
Wenn ich heute mit Freundinnen darüber spreche, berichten viele von ähnlichen Erfahrungen. Doch befrage ich einmal das Internet, dann klingt das schon wieder ganz anders. Zu Recherchezwecken google ich "Ist es normal, keine beste Freundin zu haben?".
"Nein", antwortet es mir reichlich plakativ. Sogar Google verurteilt mich für meinen Mangel an bester Freundin und missversteht meine Sorge. Da gibt es Ratgeber, die mir erklären, wie ich am besten eine beste Freundin fände, worauf es dabei ankomme, wie sie zu sein habe, wie ich bitte schön zu sein hätte und was die Vorteile seien, keine zu haben... Ich könne alleine wegfahren, ohne dass jemand böse sei, heißt es da unter anderem. Ganz schön zynisch, wie ich finde. Nicht zuletzt, weil es auch impliziert, dass ich entweder eine beste Freundin habe oder eben gar keine Freund:innen.
Es heißt, wir alle hätten unterschiedliche Beziehungsstile, doch darum geht es mir nicht. Es ist nicht mein Persönlichkeitstyp, der daran schuld ist, dass ich keine beste Freundin habe. Hätte ich eine, würde das ebenso zu mir passen. Wiederum andere Artikel zitieren junge Menschen, die zu schüchtern seien, um eine beste Freundin zu finden. Aber schüchtern bin ich heute nicht mehr. Ich habe nicht keine Freundinnen, ich habe nur nicht die eine beste.
Beste Freundin – wozu?
Was macht überhaupt eine beste Freundin aus? Die Dauer der Freundschaft? Die räumliche Nähe zueinander? Die gleichen Interessen? In der Schule habe ich mich mit Menschen angefreundet, nur weil wir permanent Zeit miteinander verbrachten. Weil sie in Mathe neben mir saßen oder ihr Name im Alphabet nach meinem kam. Da ist es manchmal ein bisschen wie mit Familie: Man sucht sie sich nicht wirklich aus, es sind Zweckfreundschaften.
Die Tatsache allein, dass man sich schon lange kennt oder einmal irgendwo nebeneinander saß, reicht mir mittlerweile nicht mehr als (ohnehin sehr wacklige) Basis für eine enge Freundschaft. Heute weiß ich, welche Werte mir wirklich wichtig sind. Ich lerne Menschen ganz anders kennen: Meinen Inner Circle habe ich mir aus mir Menschen aufgebaut, die ich in der Schule, an der Uni, im Praktikum, im ersten Job oder in gemeinsamen WGs getroffen habe. Und sie alle sind sehr gute Freundinnen. Ich weiß genau, wen ich anrufen kann, wenn es mir schlecht geht, wem ich schreibe, wenn ich nachts zuhause angekommen bin, wem ich eine freudige Nachricht als erstes mitteile und wer sich wiederum auch bei mir meldet.
Crew statt die eine beste Freundin
Ich habe mir eine Crew an Menschen zusammengesucht, die ich niemals eintauschen würde und für die das Kürzel BFF viel zu kurz und oberflächlich wäre. Und, auch wenn es cheesy klingt, auch mein Freund zählt dazu – den ich ausgerechnet durch eine jener engen Freundinnen kennengelernt habe. Hätte ich nicht meinen Kosmos aus guten Freundinnen, wäre auch er mir nicht passiert.
Mein Kosmos ist mir wahnsinnig wichtig. Er ist mein Auffangnetz, mein Support System, mein Hype Club. Und all seine Mitglieder haben extrem dazu beigetragen, dass ich heute so bin, wie ich bin. Sie kennen mich, so richtig. Es ist keine Clique à la "Friends", in der alle ähnlich eng miteinander sind. Es ist ein Kreis, den ich mir bunt zusammengestrickt habe, und genauso einen haben sie wiederum jeweils auch. Auch sie haben in verschiedenen Lebensabschnitten verschiedene Menschen in ihren Kosmos eingeladen. Und bestimmt werden wir alle in Zukunft noch weiteren Menschen begegnen, die darin einen Platz bekommen sollen.
Freundschaft ist kein Wettkampf
Warum sollten wir Freund:innen denn überhaupt ranken? Ich muss sie nicht durchnummerieren. Eine sehr gute zu haben, muss doch nicht heißen, andere automatisch auf einen unteren Rang zu verweisen. Und keine beste Freundin zu heißen, bedeutet nicht unwillkürlich, dass man einsam ist, ganz im Gegenteil. Ich kann mehrere Menschen ähnlich stark freundschaftlich lieben. Warum ist es die Erwartung, dass ich einem von ihnen einen Superlativ aufdrücke?
Bitte kein beste-Freundin-Ranking
Es ist nicht nur so, dass ich verstanden habe, dass ich diese eine Person nicht brauche – es ist auch so, dass es ziemlich unwahrscheinlich ist, sie zu finden. Wenn man sie hat, kann das wunderbar sein. Aber sie nicht zu haben, ebenso. Mich für nur eine Person zu entscheiden, würde vollkommen die Komplexität ignorieren, mit der ich mittlerweile Freundschaften führe. Ich freue mich darüber, dass ich mehrere sehr gute Freundinnen für unterschiedliche Dinge habe. Zwar kann ich mit allen immer ganz ich selbst sein, aber dennoch lebe ich unterschiedliche Seiten meiner Persönlichkeit mit ihnen aus. Und vielen von ihnen geht es ähnlich. Andere von ihnen wiederum haben eine beste Freundin. Doch ich weiß jetzt, dass das nicht bedeutet, dass sie mich weniger mögen oder dass ich nicht wichtig genug bin, um einen bestimmten Status zu erlangen.
Mein Trend: Polyfreundschaft
Ich vermisse sie heute also nicht mehr, die eine beste Freundin. Nur selten denke ich darüber nach: Mit welcher von ihnen plane ich einen Urlaub? Sollte ich einmal heiraten, welche von ihnen würde ich als Trauzeugin auswählen? Aber mittlerweile sehe ich das positiv. Welch riesiges Privileg ist es doch, so viele tolle Menschen zu haben, dass man sich gar nicht entscheiden kann! Deshalb: Natürlich ist es normal, keine beste Freundin zu haben. Natürlich bedeutet es nicht, dass ich komisch bin.
Ein großer Schritt in Richtung Erwachsensein war für mich, das zu erkennen. Zu begreifen, was wahre Freundschaft bedeutet. Und dass ich mich glücklich schätzen kann, mehr als eine Person in meinem Umfeld zu haben, von der ich sagen kann: Das ist eine wahre, enge, richtig gute Freundin. Also: Mein Trend geht zur Polyfreundschaft.
Mehr Themen: