Über das Leben weiß er inzwischen so einiges. Hat Erfahrungen rauf und runter gemacht. Von leuchtend bis leidend. Helfen ihm seine gesammelten Weisheiten? Ja, aber nur um die Ecke. Er leiht sie nämlich anderen und bekommt dafür was von deren Weisheit.
Lebensweisheit ist diese besondere Paarung von Klugheit, Klarheit und Erfahrung, die man immer nur bei anderen anwenden kann, nie bei sich selbst. "Danke", sagt Rollo, als er sich morgens bereit macht zur Abfahrt, "das hat gutgetan mit dir zu reden", und ich denke genau das Gleiche über ihn, obwohl wir uns gegenseitig nichts gesagt haben, das wir nicht selbst wussten. Wir hatten einen Jungsabend, der Küchentisch steht voller leerer Flaschen – und das war nur, bevor wir losgezogen sind, die anderen treffen. Und irgendwo zwischen all dem Dunst haben wir Dinge gesagt und gehört, nichts davon außergewöhnlich oder überraschend, aber etwas sagen und etwas hören ist auf irgendeiner Ebene wirksamer, als es nur zu denken.
Wissen weise Menschen eigentlich, dass sie weise sind? Und nützt es ihnen? Ich glaube nicht. Wer seine eigene Weisheit für sich selber einsetzen kann, der würde wahrscheinlich auch Komplimente glauben, die er sich selbst macht, und das fühlt sich schon prinzipiell nicht ganz gesund an. Rollo macht sich auf den Weg zum Flughafen in dieses neue Leben, das er begonnen hat, und ich räume die Flaschen weg, bevor die Töchter kommen. Die Frau ist auf Dienstreise, das erste Mal, seitdem sie eingezogen ist, und diese Wohnung fühlt sich plötzlich viel einsamer an, wenn ich allein bin, weil die Hälfte der Möbel ihre sind und alles anders aussieht, so als wäre ich auch neu eingezogen, und so ist es ja auch. Alles neu. Alles anders. Und ich frage mich, welche Lebenserfahrung eigentlich dabei helfen soll, denn es wäre ja jetzt nicht wieder alles neu, wenn nicht alles vorher irgendwann schief gelaufen wäre.
Vielleicht ist Weisheit nur eine Art Ausschlussverfahren, bei dem man im Lauf seines Lebens immer mehr Wege sammelt, wie Dinge auf keinen Fall funktionieren können. Es wäre der aufwendigste Weg zum Glück, so wie bei Aschenputtel: alle ausschließen, denen der Glasschuh nicht passt. Es wäre ein ziemlicher Zufall, wenn man auf diese Art tatsächlich das eine Richtige finden würde, ein Märchen. Aber was bleibt denn sonst? Es sind in Wahrheit nur zwei Dinge, die ich in den Jahren gelernt habe: Zum einen fühlt es sich nicht an, als wäre ich irgendwie weiser geworden. Und zum zweiten geht es allen, mit denen ich darüber spreche, ganz genauso. Sie wirken weise auf mich. Sie selbst sind für sich genauso unsicher wie immer. Und manchmal verzweifelt.
Ich räume den großen Beutel mit den viel zu vielen Pfandflaschen vor die Küchentür und merke, wie sehr ich mich freue. Auf die Mädchen. Und auf die Frau. Wenn es der einzige Grund wäre, im Leben etwas zu lernen, damit ich weise wirken kann für sie, reicht mir das wahrscheinlich. Und sie ist es dann für mich. Manchmal. Und ich bin nicht allein. Denn allen anderen geht’s genauso.
Mehr Kolumnen von Pantelouris: