Der Motor surrt leise, in der Dunkelheit klingt die Musik klarer als sonst und zwischen den Tönen die Frage: Wie viel Zeit kann man damit verbringen, sich schlecht zu fühlen, bevor man anfängt, Dinge zu tun, bei denen man sich gut fühlt?
Mir war nie bewusst, dass ich dieses Geräusch so mag. Aber hier, in der von der Welt abgeschirmten Kapsel eines viel zu leisen Autos hört man Dinge, die man sonst nicht hört. Das Auto ist gemietet, und es hat eine gute Anlage, und im Radio läuft ein Lied, das ich liebe, besonders die eine Stelle, wo die akustische Gitarre einsetzt, warm und ein bisschen rau, und allein auf der nächtlichen Straße höre ich es so klar wie noch nie. Diese Wärme, stelle ich fest, kommt von dem gerade so hörbaren Rutschen der Finger auf den Saiten zwischen den eigentlichen Noten. Es klingt, wie eine Katzenzunge sich an fühlt. Oder Whiskey. Oder der Moment des Abschieds von jemandem, den zu vermissen auf alle Weisen gleichzeitig brennt, weil noch während der letzten Umarmung die Leere der kommenden Tage und Wochen nach dir greift.
Es gibt wenig Arten auf der Welt, auf die es schöner ist, Musik zu hören, als in einem fahrenden Auto nachts in einer schlafenden Stadt. Und es gibt auch nicht viel, das schöner ist, als so aufgesogen zu sein in Musik, dass man die Finger auf den Saiten der Gitarre rutschen hört. Noch während ich das denke, fällt mir auf, dass ich das noch nie gemacht habe: einfach nur fahren und Musik hören, ohne ein Ziel, an dem ich ankommen möchte. Nur, um es zu tun. Nur für mich.
Es ist so einfach, und ich habe gerade gesagt, wie schön es ist, aber ich tue es nicht. Stattdessen verschwende ich unendlich viel Zeit damit, sinnlose Dinge zu tun, weil ich ständig damit beschäftigt bin, Dinge vor mir herzuschieben, die ich eigentlich unbedingt machen müsste. Und habe die ganze Zeit über ein nagend schlechtes Gewissen. Wie blöd kann man sein? Wie viel Zeit seines Lebens kann man damit verbringen, sich schlecht zu fühlen, bevor man anfängt, Dinge zu tun, bei denen man sich gut fühlt?
Ich fürchte, die Antwort schwankt irgendwo zwischen "sehr viel Zeit" und "praktisch immer". Es gibt ganze Regalmeter Selbsthilfebücher darüber, aber es gibt Regalmeter Selbsthilfebücher über ungefähr alles. Man kann nicht immer jetzt gleich tun, was man möchte. Man kann nicht in jedem Moment einfach hinfahren, wenn man jemanden vermisst. Manchmal muss die traurige Musik reichen, diese raue Katzenzunge auf der Seele, damit man wenigstens die Wärme dessen spürt, was man vermisst. Oder nicht?
Die Magie des Fahrens liegt darin, dass sie den Kopf frei macht, weil sie ihn genau so beansprucht, dass man konzentriert ist, ohne dabei darüber nachdenken zu müssen, was man gerade tut. Es muss kalt sein, da draußen, aber hier drinnen hält die Heizung automatisch ihre eingestellte Temperatur. Ich kann das bestimmen. Genau so, wie ich will. Was sie wohl gerade macht? Ich vermisse sie. Und es brennt. Ich vermisse sie oft. Aber während ich das denke, fällt mir auf, dass ich noch jemanden vermisse, seit Jahren vielleicht. Mich selbst. Ich werde noch ein bisschen fahren. Und die Gitarre hören. Nur für mich.