Schiller-Musiker Christopher von Deylen ist einer der wichtigsten Electronica Artists der Welt. Im Interview spricht er über Freiheit, Stille und das Ankommen.
Christopher von Deylen - eine Ikone der Popmusik im Interview
Frankfurt, eine Hotelbar in Bahnhofsnähe. Das hat Christopher von Deylen bewusst so ausgesucht, denn er muss nach unserem Gespräch mit dem Zug weiter. Er versucht, CO2-bewusst zu leben. Gar nicht so leicht als Weltbürger ohne festen Wohnsitz. Christopher von Deylen ist eine Ikone der elektronischen Popmusik: Er ist das Musikprojekt Schiller. Mein Handy will das Interview nicht aufzeichnen, was an meinem Update-Versuch liegen muss. Der Elektrosoundfreak kommt auch nicht weiter. Und plötzlich geht es doch – selbstlernende Systeme!
Bärbel Schäfer: Was suchst du in deiner Musik, Christopher?
Christopher Deylen: Sich auf die Suche zu begeben, ist ein wenig unschick geworden. Aber ich suche den Moment, an dem mein Album fertig ist, oder was ich als fertig empfinde, um es dem Publikum vorzuschlagen.
Wann genau ist dieser Moment?
Das hoffe ich zu fühlen. Wissen kann man das nicht.
Und wie fühlt es sich an?
Qualvoll. Bis zum letzten Moment. Ich versuche immer das, was ich fühle, hörbar zu machen und auf dem Weg dahin passieren Dinge, die ich oft genug gar nicht wollte.
Hast du denn eine Vorstellung, wonach du suchst, wenn du deine Beats und den Sound mixt?
Nein, das weiß ich nie. Das ist aber auch nicht wichtig. Ich will nicht ankommen, meine musikalische Suche ist ergebnisoffen. Ich versuche, mich urteilsfrei und vorurteilsfrei auf alle Inspirationen einzulassen, die mich im Lauf einer Albumproduktion finden.
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Steht für jeden neuen Lebensabschnitt bei dir ein neues Album?
Ja, jedes neue Werk will alles in meinem Leben Erfahrene und Erlebte erfassen – und auch sofort wieder vergessen. Das aktuelle Album "Morgenstund" ist ein Lebensschnappschuss, eine Bestandsaufnahme von einer musikalischen, emotionalen Gemengelage.
Klingt wie ein fixierter Zeitstrahl.
Ja! Verbunden mit dem an Größenwahn grenzenden Wunsch, dass es auch anderen gefällt.
Zweifelst du daran wirklich?
Die Unsicherheit ist immer in meinem Gepäck, die darf ich auch nicht unterschätzen.
Ist deine Unsicherheit im Lauf der Jahre etwa größer geworden?
Zum Glück ja. Denn dem, was mir an organischer Naivität über die Jahre abhandengekommen ist, muss ich ja etwas entgegensetzen. Zumindest versuche ich es. Und das ist meine Unsicherheit, dieser Zweifel, ob ich genüge. Für mich ist das wie bei einem Computergame: Ich sammle Münzen, es gibt Goldregen und einen Knall – und genauso, wie danach nichts bleibt, bleibt auch nie etwas nach einem erschaffenen Album. Dann steht sofort das Neue im Vordergrund, nie der Blick zurück.
Für ihn ist zu Hause kein Ort, sondern die Musik
Christopher von Deylen, 48, hat "Schiller" 1998 als Clubprojekt gegründet. Der Name ist tatsächlich eine Hommage an Dichter Friedrich Schiller. Mit seinen zehn Platten hat er viermal Platin-Status und zweimal Gold errungen.
Was sind heute deine Herausforderungen?
Du bist ja kein Newcomer mehr. Erinnerungen reichen jedenfalls nicht aus. Sie sind kein Katalysator für meine Kreativität. Ich kann mir zwar alte Fotos angucken, mich in eine Stimmung zurückversetzen, aber ich muss doch für den nächsten Schritt, die nächste Inspiration immer Neues suchen. Ehrlich gesagt, gefällt es mir, mir das Leben kompliziert zu machen und keine bekannten Trampelpfade zu nutzen.
Sprichst du gern vor Menschen?
Sehr, sehr ungern.
Könntest du dir vorstellen, in einer TV-Castingshow für neue Talente als Juror oder bei einem TV-Format wie "Sing meinen Song" teilzunehmen?
Auf keinen Fall! Das löst bei mir relatives Entsetzen aus. Der Sinn dieser Sendungen erschließt sich mir nicht. Kein Moment derlei TV-Shows löst bei mir Faszination oder Anziehungskraft aus.
Warum bist du kreativ?
Ich kann nichts anderes und habe deshalb auch keine andere Wahl. Aber die Frage stelle ich mir auch nie. Ich muss mich ausdrücken können, und in der Musik habe ich meine Form gefunden. Andere, konventionellere Ausdrucksformen liegen mir scheinbar nicht.
Was meinst du damit?
Es fällt mir nicht leicht, mich mit anderen auszutauschen. Die Energie von mehr als einem Menschen im Raum macht mich nervös. Ich habe auch Schwierigkeiten, mich mit mehr als einer Person gleichzeitig zu unterhalten.
Klingt kompliziert für Einladungen, Partys etc.
Ist es auch. Freunde nehmen mich immer mal wieder mit. Ich sitze dann am Tisch und bekomme kein Wort raus. Gesellschaft liegt mir wohl nicht unbedingt.
Bist du gern allein?
Ich empfinde das Alleinsein als essenziellen Teil meines Daseins und versuche, es so oft es geht zu praktizieren. Das hat allerdings nichts mit Einsamkeit zu tun.
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Was können Klänge, was Worte nicht schaffen?
Das ist wirklich geheimnisvoll! Ein Wissenschaftler könnte uns sicherlich etwas über die 438-Hertz-Theorie erzählen und welche Effekte Töne in unserem Körper hervorrufen. In Worten klingt immer eine vorgegebene Handlung mit, bei instrumentaler Musik hat der Hörer die Freiheit und Verantwortung, selbst etwas daraus zu machen. Du genießt die Musik, und sie wirkt auf dich.
Hat dein Sound eine Botschaft?
Ich mache nur Musik. Ich habe auch keine versteckte Agenda. Ich hoffe nur, ich kann mir meine Musik noch in zwei Jahren anhören, ohne dabei rot zu werden.
Magst du das Feedback deiner Fans?
Nein, das ist mir schon zu nah. Wenn mir Lob direkt ins Gesicht gesagt wird, reagiere ich sehr verlegen. Dabei komme ich mir wahnsinnig albern vor, weil ich denke, mein Gegenüber denkt, ich spiele die Schüchternheit jetzt nur.
Du warst gerade mit "Es werde Licht" auf großer Tour. Was fühlst du on stage?
Das macht süchtig! Es ist ein direkter Energieaustausch zwischen dem Publikum und mir. Ich habe mich lange dagegen verwehrt, es war mir sogar suspekt. Ich bin der Typ, der lieber das Kleingedruckte auf dem Plattencover liest und wissen will, wo die Platte gemischt und aufgenommen wurde – und ausgerechnet ich gehe auf Arena-Tour.
Wie konnte das passieren?
Ich weiß es auch nicht.
Du hättest ja auch Nein sagen können.
Alles, was mir jetzt passiert ist, wollte ich eigentlich nie. Das ist die Wahrheit. Ich habe einen Weg gefunden, den ich aber nie gesucht habe. Ich mache es mir ja mit jedem Konzert schwerer, mich in Echtzeit auf die Bühne zu stellen und zu funktionieren. Dafür bedarf es Mut. Und auch wenn es vielleicht nach Glückskeks-Philosophie klingt: Auch der Mut scheint mir ein wenig aus der Mode gekommen zu sein.
Inwiefern?
Uns wird doch dauernd eine Simplifizierung und eine Ver-App-ung des Lebens suggeriert. Mit der richtigen App auf deinem Telefon läuft dein Leben wie von selbst. Hinter dem Erfolg steckt aber sehr viel Arbeit im Detail.
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Bist du ein Perfektionist?
Keine Ahnung. Ich bin, wie ich bin, und weiß ja nicht, wie es sich anders anfühlt, da fehlt mir der Vergleich.
Betrifft das nur die Musik oder auch andere Lebensbereiche?
Auch in anderen Bereichen. Manchmal spüre ich mitleidige Blicke, die mir andeuten: "Warum machst du es dir immer so schwer, Christopher?" Es ist doch gut so, wie es ist. Das klingt für mich aber nach: reicht doch!
Gehst du immer weiter als die anderen?
Ja. Das ist wahrscheinlich meine Angst vor der Mittelmäßigkeit, die Angst davor anzukommen. Positivistischer ausgedrückt, ist es meine Neugier und Hingabe. Mein Perfektionismus konsumiert mich aber auch als Künstler. Ich sehe im Leben keine Alternative, als dahinzugehen, wo ich noch nicht war.
Die meisten Leute sehnen sich danach, anzukommen.
Kann sein. Aber für mich bedeutet das Stagnation. Geschafft! – ist die Antwort, egal, wie beschwerlich dein Weg zum Ziel war. Und was kommt danach? Diese Frage stellt sich mir sofort.
Du ziehst permanent um die Welt, hast weder eine Wohnung noch ein eigenes Bett oder einen Hund, für den du Verantwortung tragen müsstest. Lockt dich davon denn gar nichts?
Ein Teil von mir kann diesen Wunsch nach Angekommensein, Geborgenheit verstehen. Damit gewinnt man ja auch jeden Schmalztiegel.
Wie funktionieren dann bei dir Beziehungen? Liebe braucht doch Alltag, Berührung und Nähe?
Partiell kann ich das leben, es folgt aber keinem geografischen Ort. Man kann nicht alles haben.