Irgendwann hatte er das Gefühl: Kenn ich! Kann ich! Deshalb hat Oliver Mommsen die grüne Lederjacke samt "Tatort"-Kommissar Nils Stedefreund an den Nagel gehängt – und erfindet sich neu. Was dabei hilft? Dass er mit Abschiedsschmerz schon einige Erfahrung hat.
Good-bye Stedefreund! Oliver Mommsens Neustart
Er macht Schluss. Achtzehn Jahre hat Oliver Mommsen als Nils Stedefreund an der Seite von Sabine Postel im Bremer "Tatort" ermittelt, inzwischen hat der Vater von zwei Kindern seine Rolle aufgegeben. Aber warum? Eine "Tatort"-Rolle gilt als sichere Bank, deshalb ist ein Ausstieg immer noch ungewöhnlich. Aber Mommsen, der im Januar 50 geworden ist, ist hungrig auf Neues.
Wir sprechen über Abschied, Loslassen und darüber, wie aufregend es ist, noch mal aufzubrechen. Als alte Bremerin bin ich mit dem gespielten Bremer direkt beim Du.
Bärbel Schäfer: Magst du Abschiede?
Nils Stedefreund: Wer mag die schon? Aber ich bin seit meiner Kindheit mit Abschieden vertraut.
Inwiefern?
Mein Vater lebt nicht mehr. Mein Stiefvater ist inzwischen ebenfalls tot. In meinem Leben ist nichts mehr da, wo es mal angefangen hat. Das tolle, sorglose Leben in Südfrankreich war mit 17 Jahren vorbei, weil meine Mutter und mein Stiefvater sich unschön trennten. Ich habe mehrmals die Internate gewechselt. Ich kenne es, die Koffer zu packen und neu anzufangen.
Kann man Loslassen lernen?
Das ist ein Prozess. Ich spreche hier nicht vom Verdrängen. Denn dabei bleiben unschöne Erfahrungen an dir kleben, und du schleppst sie ewig mit dir herum. Als Lebenswunden. Loslassen ist freundlicher, fast philosophisch. Du befreist dich von Lebensgepäck, kannst mit bestimmten Lebensabschnitten deinen Frieden schließen.
Bedeutet loszulassen, nicht mehr die Bleikugeln des Lebens hinter sich herzuziehen?
Ja, und im Idealfall blickst du ohne Trauer zurück. Wenn dir das gelingt, ist es perfekt. Jeder nimmt Erfahrungen und Verkrustungen mit, davon bleibt keiner verschont. In meiner Generation beginnt jetzt für viele der Prozess, dass Eltern sterben. Ein schmerzhafter Lauf der Dinge, den ich leider schon als Teenager erfahren musste.
Mehr Männergefühle? Schiller-Musiker Christopher von Deylen im Interview
Heißt loslassen können für dich, erwachsen zu sein?
Erwachsen zu werden, habe ich noch nicht geschafft. Aber eine Extraportion Kraft ist das Bonus-Geschenk, wenn du nicht klammerst. Älterwerden heißt auch, die Jugend loszulassen.
Fällt dir das schwer?
Es ist mies, das Älterwerden. In meinem Beruf ist es für Frauen noch härter als für uns Männer. Das ist unfair, denn ältere Kollegen und Kolleginnen spielen satt und lässig auf. Ältere haben doch die viel größeren Geschichten zu erzählen als alle Greenhorns. Es ist überfällig, dass Männer und Frauen auch Falten zeigen dürfen. Und ich werde mit dem Alter endlich mein Sonnyboy-Image los.
Was ist deine schönste Erinnerung an deine Kindheit?
Liebe! Ich bin aufgewachsen, umhüllt von Liebe. Ich war umgeben von einem lachenden, sich liebenden, tanzenden Ehepaar, meiner Mutter und meinem Stiefvater. Ich habe als junger Mensch wirklich in Liebe gebadet. Wir waren eine sehr körperliche Familie, zu unserem Alltag gehörte ein Meer an Umarmungen und Nähe.
Ist dir diese Nähe und Wärme auch in deiner eigenen Familie wichtig?
Total! Ohne Kuscheln geht nix. Deine letzten beiden Bremer "Tatort"- Folgen sind abgedreht. Sabine Postel und du hören zeitgleich auf. Kriminalhauptkommissar Nils Stedefreund wird es nach 18 Jahren nicht mehr geben.
Wie lässt man eine so exponierte Fernsehrolle los?
Ich hatte das Gefühl, es reicht mir mit dieser Rolle. Wichtig war, die Entscheidung selbstbestimmt und angstfrei zu treffen. Aber es war ein Prozess.
Welche "Es reicht mir"-Signale gab es?
Das schlimmste Signal war, dass ich am Set dachte: "Ich kann es. Die Rolle beherrsche ich." Vom Horizont winkte eine gefährliche Routine.
Was hieß das konkret am Set?
Dauernde Wiederholungsgedanken. Da hab ich schon gesessen. Da habe ich schon gestanden. Das habe ich schon gesagt. Leute, ich weiß, wie das hier alles läuft. Ich war dauernd in einem Tunnel. Als Schauspieler muss und will ich aber permanent Neuland betreten. Dieser Gap ließ sich nicht mehr schließen.
Wenn du 40-mal dasselbe Stück im Theater spielst, ist doch auch jeder Abend identisch?
Richtig, da stehe ich auch immer an derselben Stelle, aber nach 40 Abenden ist damit Schluss. 18 Jahre eine Rolle zu tragen ist eine extrem lange Zeit. Als Bremer "Tatort"-Kommissare haben wir immer fallorientiert gearbeitet. Sabine Postel und ich haben als Ermittler-Duo die Bälle verteilt, aber die Tore haben die anderen geschossen.
Was heißt das genau?
In den Bremer Episoden spielen die Täter oder die Opfer die Hauptrolle und stehen im Mittelpunkt, nicht wir Kommissare. Ich habe damit kein Problem. Aber ich will wieder hungrig aufs Spiel vor der Kamera sein. Ich will selbst wieder darstellerischer Torjäger sein und zeigen, was ich kann. Genau das will ich ja. Aber viele Kollegen halten mich für bescheuert.
Jeder mit Hang zur Sicherheit denkt: "Das ist doch verrückt!" Du bist verheiratet, hast zwei Kinder, bist gerade 50 geworden und kündigst deine Rolle als "Tatort"-Kommissar – mutig!
Mein Dad hätte dazu gesagt: "Wird aber auch Zeit, Alter, ich dachte, du bist eingeschlafen." 18 Jahre "Tatort"- Kommissar heißt doch, ich bin volljährig mit der Rolle geworden. Bleibe ich, drohte die Gefahr einer Abhängigkeit. Wenn ich jetzt nicht den Absprung schaffe, wird es wirklich irgendwann zu spät. Oder der Sender ruft irgendwann an, die Rolle von Nils Stedefreund sei auserzählt, das wäre es dann ebenfalls für mich. Da gehe ich lieber rechtzeitig und selbstbestimmt.
Gab es bei deinem Sprung in die schauspielerische Freiheit trotzdem Momente der Angst?
Es gab zuerst die Gespräche im Kämmerlein mit meiner Frau und Freunden. Danach mit den engsten Kollegen. Im Anschluss eine sehr lange Wartezeit. Dann das Aussprechen meines Ausstiegswunsches, in offizieller, großer Runde. Am Morgen danach gab es schon den ersten kleinen Nervenzusammenbruch bei mir: Tickst du noch richtig, Mommsen.
Wie war der letzte "Tatort"-Drehtag?
Wenn dir der Regisseur sagt: "So, das war jetzt deine letzte Großaufnahme als Stedefreund", dann ist das ein echt schräger Moment. Ganz kurz wollte ich sagen: "Leute, dass war nur ein Scherz, ich mache weiter." Aber die letzte Folge wird noch mal ein richtiges Fest für Stedefreund, eine Rock-Oper. Neue Bücher mit neuen Kollegen werden schon geschrieben, ich bin dann weg.
Es gibt also ein Leben nach "Tatort"?
Definitiv. Keiner sagt ja, endlich ist der Mommsen weg vom Set, alle bedauern meine Entscheidung. Das empfinde ich als Wertschätzung. Ich habe mir mit und durch die "Tatort"-Rolle einen Namen und eine Karriere aufbauen dürfen.
Was bleibt aus dieser Zeit?
Die Menschen. Die unaufgeregten, tiefenentspannten Bremer. Das Team. Wir waren wie eine Familie. Ich habe miterlebt, wie der Tonassistent zum Tonmeister wurde und wie Sabine Postels Sohn erwachsen wurde. Meine Tochter war noch gar nicht auf der Welt, als ich die Rolle angenommen habe. Jeder Regisseur musste einen halben Tag opfern, weil wir uns bei jedem neuen Dreh alle erst mal zur Begrüßung in den Armen lagen. Wir haben an bekloppten Orten gedreht, Spaß gehabt, und wir haben auch Scheiße gefressen.
Gibt es Fehler beim Abschiednehmen?
Ich habe viele Räume unschön und mit bitterem Blut verlassen, manchmal habe ich verbrannte Erde hinterlassen. Aber beim "Tatort"-Abschiedsfest habe ich in Bremen gedacht, diese Tür zum Sender bleibt offen. Da habe ich keine groben Fehler gemacht. Nur weil man auseinandergeht, kann man ja weiterhin wohlwollend miteinander verbunden sein, wie in Beziehungen auch.
Warum spielst du so gern?
Ich bin eine Rampensau und will ins Licht. Ich unterhalte gern. Das kann ich und genau das will ich! Mit Klischees brechen, Facetten einer Figur zeigen. Ich will niemanden erziehen. Ich will, dass Menschen lachen, heulen, ihre Emotionen ausleben, wenn sie mich spielend erleben.
Noch mehr spannende Themen: