Was ist ein "Chefboss"? Einer, der nur tut, wovon er überzeugt ist. Sagen Sängerin Alice Martin (r.) und Tänzerin Maike Mohr. Deshalb haben sie ihr Dancehall-Projekt so genannt, das gerade die Musikwelt aufmischt
Chefboss – die coolste Hamburger Dancehall-Band
Natürlich kommt die Frage. Sie kommt fast immer. Genau zwei Minuten wird es heute dauern, bis der Reporter sie stellt. Es ist gleich 14 Uhr an diesem frühlingshaften Montag in Hamburg. Sonnenstrahlen fluten das holzgetäfelte Hörfunkstudio im zweiten Stock des NDR. Alice Martin und Maike Mohr sitzen bereits mit Kopfhörern vor dem Mikrofon. In wenigen Augenblicken wird das Interview mit den beiden 27-Jährigen für "Corso" aufgezeichnet, einer Pop- und Kunst-Sendung von Deutschlandfunk Kultur. Anlass ist die bevorstehende Tour ihrer Dancehall-Band Chefboss. Ein Name, der knallt. Kompromisslos. Eigenwillig. Provokativ. Poetisch. So wie ihre Musik.
"Und wer von Ihnen beiden ist jetzt Chef und wer ist Boss?", will der Reporter nach kurzem Small Talk wissen. Alice Martin lacht. Sie kennt die Frage. "Wir sind natürlich beide beides." Schließlich entschieden sie gemeinsam, was sie machten. Ein Chefboss, so haben es Alice Martin und Maike Mohr mal definiert, ist jemand, der sein Ding durchzieht. Der sein Leben selbst in die Hand nimmt. Der tut, wovon er überzeugt ist. Jemand wie sie selbst.
Lass uns doch einfach mal Mucke machen, zu der wir selber tanzen wollen, das macht derbe Sinn.
ChefbossTweet
Fast zehn Jahre ist es inzwischen her, dass sich Martin und Mohr über eine Freundin kennengelernt haben und gemeinsam in Hamburg auf Dancehall-Partys gingen. Nächtelang tanzten sie zu den aus Jamaika stammenden elektronischen Reggae-HipHop-Beats, bis sie irgendwann beschlossen: "Lass uns doch mal Mucke machen, zu der wir selber tanzen wollen, das macht Sinn." Also fragten sie Maike Mohrs Freund, den Produzenten und Rapper Flo Bauer, der unter anderem mit Thomas D. von den Fantastischen Vier zusammenarbeitet, ob er ihnen die Musik schriebe. Das war im Frühsommer 2014. Seitdem sind die drei ein Team, erzählen Alice Martin und Maike Mohr später am Nachmittag in einem portugiesischen Café bei Bier und selbst gedrehten Zigaretten (Alice) sowie Kakao und Kuchen (Maike).
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Jeder Auftritt eine Party!
Innerhalb weniger Wochen produzierten sie vier Songs, genug für einen ersten Auftritt. 50 Leute kamen damals zu dem Mini-Konzert in den Hamburger Club, 30 davon waren Freunde, darunter viele Tänzer, die am Ende mit ihnen auf der Bühne standen – und den Auftritt in eine Party verwandelten.
Chefboss feiert Erfolge: Bald kommt das nächste Album!
Das war der Moment, an dem die Hamburgerinnen begannen, groß und größer zu träumen: erst von einem Video. Dann von einer Tour. Schließlich von einem Nightliner, der sie von Auftritt zu Auftritt fährt, vielleicht sogar ins Ausland. Genauso ist es dann auch gekommen. Vor zwei Jahren erschien das erste Chefboss-Album bei dem Universal-Label Vertigo, im Herbst wird das zweite herauskommen. Dazwischen touren sie durch ganz Deutschland und spielen auf zahlreichen Festivals wie dem Deichbrand in Cuxhaven – oft als eine der wenigen Frauenbands. Immer dabei: eine Crew aus Freunden. "Das ist das geilste Arbeiten", sagt Alice Martin. "Uns ist es wichtig, dass wir auch auf einem persönlichen Level connecten. Es ist wichtig, dass der Vibe stimmt."
Teamwork bei Chefboss
Und der stimmt vor allem zwischen ihr und Maike, so unterschiedlich sie auf den ersten Blick wirken: Da die Sängerin mit den karibisch-polnischen Wurzeln in Bomberjacke und Sneakers, lesbisch und auf dicke Hose machend, dort die blonde, langhaarige Tänzerin in aufreizenden Hotpants und Overknee-Stiefeln, die unter Malcom McLarens Vogueing noch Dancehall- und Wacking-Elemente mischt. "Ich glaube, wir sind uns ähnlicher, als man erst mal denkt", sagt Alice Martin und Maike Mohr ergänzt: "Das würde ich so unterschreiben." Dennoch schätzen sie die Unterschiede aneinander. "Alice ist halt megakrass in allem, was Worte angeht", sagt Mohr in Richtung Martin. "Danke", antwortet die und lächelt sie über das Bier hinweg an, "ich kann dafür nicht so gut tanzen."
Großer Erfolg von Chefboss: Immer wenn sie tanzt
Zu ihren Songs produzieren die beiden auch Videos, die sie bei Youtube veröffentlichen und die wie die Liveacts Teil ihres künstlerischen Selbstverständnisses sind – ein sehr emotionaler dazu. Alles, was möglich ist, machen sie selbst: die Texte, die Beats, das Styling, die Choreografie, die Kamera. So auch bei "Immer wenn sie tanzt", das innerhalb von 15 Monaten mehr als 450 000-mal gestreamt wurde. Darin besingt Alice mit ihrer dunklen, rauen Stimme Maikes Leidenschaft: "Sie liebt den Bass, der sie befreit / Auf dem Dancefloor vergisst sie die Zeit / Sie fliegt so hoch, jetzt ist sie frei / Es gibt keine Zeit."
Für das Video hatte sich Maike Mohr wieder und wieder den Song angehört und dabei aufgeschrieben, welche Bilder ihr dazu einfielen. Das macht sie immer so. "Alles, was sich gut anfühlt, behalte ich", erklärt sie, "ich analysiere nichts." Und genauso tanzt sie auch. Aus der Musik, aus dem Gefühl heraus. Als Privatperson sei sie eher introvertiert, beschreibt sich Maike Mohr selbst. "Aber meine extrovertierte Seite lebe ich im Tanz aus. Das muss nicht sexy sein, sondern kann durchaus mal aggressiv oder laut wirken. Frauen haben ja viele verschiedene Facetten." Maike Mohr ist mit Alice Martin zusammen schließlich Chefboss. Zwei, die tun, wovon sie überzeugt sind.