Leisure Sickness beschreibt das Phänomen, dass viele von uns im Urlaub krank werden. Warum ist das so? Und ist Leisure Sickness ein individuelles Problem oder das Produkt einer überarbeiteten Gesellschaft?
Leisure Sickness: Kaum ist der Urlaub da, wird man krank
Leisure Sickness, zu Deutsch "Freizeitkrankheit", ist ein Phänomen, das vielen bekannt sein dürfte: Der eigene Körper macht wochenlang die Dauerbelastung aus Job, Haushalt und in vielen Fällen Kinderbetreuung mit. Doch sobald der langersehnte Urlaub, den man eigentlich zum Ausgleich dringend nötig hätte, da ist, wird man krank. Wie viele Menschen tatsächlich von diesem Phänomen betroffen sind, lässt sich nicht genau sagen, weil weder das Statistische Bundesamt noch die Krankenkassen entsprechende Zahlen erheben. Leisure Sickness ist nämlich kein anerkanntes Krankheitsbild. In einer Umfrage gaben 22 Prozent der Befragten aber an, schon einmal von der Freizeitkrankheit betroffen gewesen zu sein. Auch Psycholog:innen beobachten das Phänomen vermehrt. "Es kommt häufiger vor, dass Menschen im Urlaub oder am Wochenende krank werden. Betroffen sind vor allem beruflich stark belastete Menschen", sagt Dr. Dieter Bonitz, Diplom-Psychologe im AOK-Bundesverband.
Warum werden so viele krank, sobald sie frei haben?
Julia Scharnhorst vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen erklärt: "Der menschliche Körper ist eher für wellenförmige Belastung gedacht." Das bedeutet, dass wir einen ausgeglichenen Wechsel von Anspannung und Entspannung brauchen. Viele Menschen haben sich aber an einen dauerhaft hohen Stresspegel gewöhnt – ihr Körper und ihr Immunsystem arbeiten ständig auf Hochtouren. Ein plötzlicher Urlaub oder Leerlauf wird dann nicht mehr als nötige Pause und Entspannung empfunden, sondern als Stress. Dass man dann besonders leicht krank wird, liegt auch am "Open Window Effekt", einem Begriff aus der Psychoneuroimmunologie, der besagt, dass Infektionskrankheiten nach intensiver Belastung vermehrt auftreten. Sobald unser vom Dauerstress ständig hoher Adrenalinspiegel im Urlaub nämlich endlich sinkt, erholt sich auch das Immunsystem und wird in Folge anfälliger für Viren und Bakterien.
Das kannst du gegen Leisure Sickness unternehmen
Entspannt in den Urlaub starten
Viele legen vor ihrem Urlaub noch ein paar Überstunden ein, um die Urlaubsübernahme für die Kolleg:innen möglichst angenehm zu gestalten – und starten somit nicht entspannt in ihre Auszeit, sondern umso gestresster. "Es sollte in einem Betrieb angestrebt werden, dass Aufgaben von Kollegen beziehungsweise nach dem Urlaub erledigt werden können", empfiehlt Dr. Dieter Bonitz.
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Stresspegel im Urlaub niedrig halten und sich nicht mit Beruflichem beschäftigen
Im Urlaub selbst gilt es, der ständigen Erreichbarkeit ein Ende zu setzen und die freie Zeit ganz entspannt zu genießen – ohne gedanklich ständig bei laufenden Projekten im Job zu sein. Außerdem kann es helfen, im Urlaub auch mal nichts zu tun, Langeweile zuzulassen und Aktivitäten spontan zu planen.
Mentalen und physischen Ausgleich neben der Arbeit finden
Dr. Michael Stark ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Professor für Sozialpsychiatrie. Er empfiehlt moderaten Ausdauersport als physischen Ausgleich: Wandern, Radfahren, schnelles Spazierengehen. Expert:innen raten, etwa dreimal wöchentlich eine halbe Stunde Sport zu machen, um die psychische und körperliche Gesundheit zu fördern. Auch Entspannungsmethoden, zum Beispiel neurogenes Zittern, können helfen, um Stress abzuschütteln.
Leisure Sickness: Ein individuelles oder gesellschaftliches Problem?
Während kleine Tricks und Routinen uns durchaus helfen können, unseren Stresspegel zu senken, ist es nach wie vor auch eine Aufgabe der Arbeitgeber und der Politik, die psychische und physische Gesundheit der Bürger:innen zu schützen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der kollektive Stress, unter dem unsere Gesellschaft steht, keinesfalls ein individuelles Anliegen ist, für das jede:r selbst verantwortlich ist. Dafür sind schlichtweg zu viele von uns betroffen: Der Arbeitsausfall wegen psychischer Erkrankungen erreichte 2021 laut DAK-Report einen neuen Höchststand. Verglichen mit anderen Branchen hatte das Gesundheitswesen die meisten Ausfälle mit 397 Psych-Fehltagen je 100 Versicherte. Und auch der Fakt, dass viele im Urlaub oder am Wochenende krank werden, weil sie ansonsten ständig unter Strom stehen, lässt tief blicken. Dass du krank wirst, sobald du ein paar Trage frei hast, liegt also nicht an persönlichen Defiziten oder daran, dass du nicht abschalten kannst, sondern hat enorm viel mit den Strukturen zu tun, in denen wir leben und arbeiten. Und diese Strukturen können wir nicht alleine verbessern, sondern nur als Gesellschaft – gemeinsam.
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