Im Zeitalter von Smartphones und permanenter Erreichbarkeit sind wir zunehmend einer neuen Form der Überforderung ausgesetzt, die schlimmstenfalls zum digitalen Burnout führen kann. Auch ich habe mich gefragt: Bin ich schon gefährdet? Auf digitaler Diät mit der "Mental"-App: Protokoll eines Selbstversuchs.
Das Smartphone ist mein täglicher Begleiter. Habe ich es nicht dabei, fehlt mir etwas. Vor meinem Selbstversuch würde ich sagen, ich nutze es viel, gefühlt eigentlich ständig. Doch wie wirkt sich mein Smartphone-Gebrauch auf mich und mein Wohlbefinden aus? Wie viel nutze ich es wirklich? Ich wage den Selbstversuch und nehme an einer Studie der Universität Bonn zur Smartphone-Nutzung teil.
Dazu muss ich mir nur die App "Mental" herunterladen und ab diesem Zeitpunkt wird mein Verhalten komplett überwacht und aufgezeichnet – natürlich vollständig anonymisiert.
Die Mental-App: Das wird erfasst
- Telefonnutzung: Anschaltung (Bildschirm) und Entriegelung
- App-Nutzung: Benutzung, Installation, Deinstallation
- Soziale Interaktion: Anrufe und SMS
- Fröhlichkeit
- Aufenthaltsort
Die Daten zur Nutzung von Telefon-Funktionen und Apps sowie der Aufenthaltsort werden automatisch übermittelt. Meine Fröhlichkeit wird zweimal täglich zu von mir festgelegten Zeiten abgefragt und mit Hilfe eines Smileys beantwortet.
Nach der Installation müssen zunächst einige Einstellungen vorgenommen werden. Alle genannten Überwachungen sind optional und können jederzeit an- und abgeschaltet werden.
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Damit die Wissenschaftler die Daten anschließend auswerten können, muss ich als Mental-Nutzer zuerst einen Fragebogen zu meiner Persönlichkeit beantworten. Darüber werden bestimmte Charaktereigenschaften erfasst.
Auf digitaler Diät mit der "Mental"-App
Der Leiter der Untersuchung Alexander Markowetz schreibt in seinem Buch zur Studie: "Unsere App ist ... eine Art digitale Waage, die ihnen verrät, wie 'fett' sie in ihrem Smartphone-Verhalten sind."
Doch wie genau kann ich meine Smartphone-Nutzung nun mithilfe der App wiegen?
Wichtigster Bestandteil von Mental ist der M-Score, der täglich ermittelt und in Echtzeit angezeigt wird. Stellen Sie sich ihn wie ein Glas Wasser vor, das unterschiedlich stark gefüllt ist: Mit Zunahme meiner Smartphone-Nutzung steigt der Wasserstand, der zusätzlich in Prozentzahlen dargestellt wird (Maximum: 100). Die Interpretation des M-Scores bleibt mir aber selbst überlassen. Ist ein M-Score von 50 viel oder wenig? Muss ich mir bei einem Score von 75 bereits Sorgen machen? Schade ist, dass man den M-Score nur rückwirkend für drei Tage ansehen kann.
Dafür geben die Ergebnisse der übrigen Überwachungen mehr Aufschluss. Sie kann ich mir nämlich für den gesamten Zeitraum meiner Mental-Nutzung anschauen und miteinander vergleichen. Besonders spannend finde ich Zeit mit Telefon, also die Dauer meiner Smartphonenutzung, und die Fröhlichkeit. Die Anzeige lässt sich in allen Bereichen entweder auf heute, gestern, wöchentlich oder monatlich einstellen.
Zusätzlich kann ich mich dank Mental tatsächlich auf Diät setzen und zwar ganz gezielt: Merke ich also, dass ich eine bestimmte App übertrieben viel benutze und möchte das ändern, kann ich mir für diese App ein Limit setzen, beispielsweise 15 Minuten pro Tag. Habe ich das Limit erreicht, erhalte ich eine Push-Benachrichtigung auf meinem Handy.
Fazit: Die "Mental"-App
Gerade für Vielnutzer, die ihren Smartphone-Gebrauch reduzieren wollen, ist Mental aus meiner Sicht ein gutes Überwachungswerkzeug, vor allem wegen der Möglichkeit, sich persönliche Limits und damit Ziele zu setzen, die sich täglich ändern lassen. Sich selbst einer digitalen Diät zu unterziehen, ist also wirklich möglich und darüberhinaus ein spannendes Experiment.
Technisch fällt mein Urteil weniger positiv aus: Während meines Versuchs lief die App leider nicht immer stabil und stürzte häufig ab. Auf Nachfrage habe ich vom technischen Support keine Antwort erhalten, weshalb einige meiner Daten durch den Ausfall verschiedener Funktionen der App für mich leider verlorengegangen sind.
Kleiner Pluspunkt für die App: Obwohl sie mich permanent überwacht, verbraucht sie anscheinend kaum Akku!
Mein persönliches Resümee: Vom digitalen Burnout weit entfernt?
Während ich mich vor meinem Test geistig schonmal auf den Schock vorbereitet habe, wie häufig ich mein Smartphone tatsächlich benutze, bin ich hinterher nun eher positiv überrascht. Nach acht Wochen digitaler Überwachung liegt meine durchschnittliche Smartphone-Nutzung am Tag bei 33 Minuten und damit weit unter dem in der Studie ermittelten Durchschnitt von zweieinhalb Stunden pro Tag.
Erstaunt hat mich allerdings, wie oft ich mein Smartphone einschalte, ohne es zu entriegeln: Im letzten Monat habe ich meinen Bildschirm 686 Mal aktiviert, davon aber nur 456 Mal entsperrt, um das Handy wirklich zu benutzen. Das heißt, ich habe 230 Mal nur deshalb zum Smartphone gegriffen, um auf die Uhr zu sehen oder zu überprüfen, ob ich eine neue Nachricht oder ähnliches bekommen habe. Wohlbemerkt: Nicht, um zu telefonieren! Da schließe ich mich nämlich der Mehrheit der Smartphonenutzer an und nutze es dafür am wenigsten. Schon irgendwie beängstigend.
Beim Vergleich meiner Fröhlichkeit und meiner Smartphone-Nutzung konnte ich nichts feststellen, das auf einen Zusammenhang meines Wohlbefindens mit der Digital-Nutzung schließen lässt. Im Testzeitraum war meine Glücklichkeit meist ziemlich gleichbleibend. Alle Abweichungen ließen sich auf externe Umstände – in der echten Welt – zurückführen, während die meine Zeit mit dem Telefon täglich (stark) variierte.
Bei meinem Selbstversuch gibt es letztlich dann aber doch noch ein kleines Manko und zwar, dass die Nutzung meines Tablets damit nicht erfasst wurde. Gerade zu Hause löst es mein Smartphone, den Computer und aufgrund des eingebauten eBook-Readers auch das Buch regelmäßig ab. Würde ich das alles dazu rechnen, wäre meine Nutzung digitaler Geräte vermutlich doch weitaus durchschnittlicher als die App mir suggeriert. Und ich bin vielleicht doch burnout-gefährdet – zumindest im digitalen Sinne.
Zum Weiterlesen: Das Buch zur Studie
Alexander Markowetz ist Junior-Professor für Informatik an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Im Rahmen der großangelegten Studie "Mental Balance" haben er und sein Team mithilfe der hier vorgestellten App das Verhalten von 300 000 Smartphone-Nutzern analysiert.
Alexander Markowetz: Digitaler Burnout. Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist. Droemer 2015, 19,99 Euro.