Immer noch gibt es im Job strukturelle Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen. Die Coachin Annie Brien ist der Meinung: Selbstwirksamkeit ist dabei ein unterschätztes Instrument – und ruft in diesem Meinungsstück dazu auf, mehr Verantwortung zu übernehmen. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Frauen.
Erst kürzlich fällte das Bundesarbeitsgericht das Grundsatzurteil, dass Männer und Frauen für gleiche Tätigkeit gleich entlohnt werden müssen. Doch damit sind noch längst nicht alle Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt behoben: Noch immer sind Frauen statistisch gesehen in Vorständen und Führungspositionen unterbesetzt und werden im beruflichen Kontext häufig nicht ernst genommen. In politischen und öffentlichen Debatten werden deshalb weitere gesetzliche Anpassungen und mehr Support von männlichen Kollegen gefordert.

Über die Coachin: Annie Brien beschloss nach über zehn Jahren Karriere im Marketing, ihrer Berufung zu folgen, anderen Frauen als psychologische Coachin zu mehr Selbstbewusstsein, Selbstliebe und Selbstwertgefühl zu verhelfen. Für ihre Mission wurde sie zum "Glow Face 2022" gekürt – eine Auszeichnung für Frauen, die Verantwortung übernehmen. Außerdem teilt sie in ihrem Podcast "Werde zur High Value Frau" wöchentlich Tipps und Erfahrungen aus ihren Coachings und aus ihrem Leben.
Selbstwirksamkeit als einer der Schlüssel für Gleichberechtigung
Das ist ohne Zweifel wichtig. Aber ich bin der Meinung, dass es noch einen dritten Faktor gibt, der beeinflusst, wie erfolgreich Chancengleichheit in der Arbeitswelt gelebt wird: Wir Frauen. Als psychologische Coachin bin ich vom Prinzip der Selbstwirksamkeit überzeugt. Und davon, dass wir in Sachen Gleichberechtigung schneller vorankommen, wenn wir Verantwortung für uns selbst und unsere Kolleginnen übernehmen.
Denn wer andere Frauen empowern möchte, sollte zunächst selbst ein gutes Vorbild sein. Erst müssen wir den Blick also auf uns selbst richten: Wie sehr vertrauen wir auf uns selbst und unsere Fähigkeiten? Sind wir selbstbewusst genug, um im Alltag eine Inspiration für Kolleginnen und Freundinnen sein zu können? Denn um auf Missstände aufmerksam zu machen und sich auch für andere Frauen einzusetzen, brauchen wir den Mut, in die Sichtbarkeit zu gehen und das Selbstbewusstsein, unsere Stimmen zu erheben.
Gemeinsam stärker
Neben einem starken Selbstvertrauen brauchen wir auf dem Weg zur Chancengleichheit auch Durchhaltevermögen und Resilienz – denn jahrelang etablierte und kultivierte Strukturen lassen sich nicht von heute auf morgen aufbrechen. Zusammen lässt sich dieser Weg wesentlich schneller und angenehmer bestreiten: Wenn wir unser Wissen und unsere Erfahrungen zusammenlegen, um uns gegenseitig bei unseren Karrierezielen zu unterstützen, tragen wir dazu bei, dass Frauen in der Arbeitswelt insgesamt sichtbarer werden und durch Führungspositionen mehr Verantwortung erhalten.
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Durch mehr Frauen in Entscheidungspositionen erhalten unsere Stimmen, die wir für Gleichberechtigung erheben können, wiederum mehr Gewicht.
Deshalb sollten Female-Empowerment-Initiativen ihren Fokus vor allem auf Wissensvermittlung und Erfahrungsaustausch legen. Wer aus den Erfahrungen seiner Kolleginnen lernt und Ratschläge von Außenstehenden einholt, wird in seiner Karriere wesentlich schneller vorankommen. Coachings und Mentorings können dabei helfen. Denn jede individuell geförderte Karriere bringt Frauen auch kollektiv weiter.
Von anderen Frauen lernen
In Sachen gemeinsames Wachstum kann die Kombination aus den Modellen "Mentoring" und "Reverse Mentoring" ein wahrer Gamechanger sein. Dabei nehmen beide Beteiligten sowohl die Rolle des Mentees als auch die Rolle der Mentorin ein. Eine berufserfahrene Führungskraft könnte so zum Beispiel in der Rolle der Mentorin eine jüngere Kollegin beim Aufbau bestimmter Skillsets unterstützen – und dann in der Rolle der Mentee wiederum von der jüngeren Kollegin lernen. Auf diese Weise wird der Zusammenhalt zwischen Frauen verschiedener Generationen gestärkt und zugleich das individuelle Vorankommen gefördert.
Auch von (Frauen-)Netzwerken außerhalb des eigenen Unternehmens können wir enorm profitieren – zum Beispiel, in dem wir das sogenannte "old boy network" auf uns Frauen ummünzen. So werden informelle Seilschaften – früher ausschließlich unter Männern – zwischen Menschen genannt, die sich oft bereits aus Studienzeiten kennen und sich gegenseitig in ihren Karrieren fördern. Häufig wird Frauen im Berufskontext immer noch eine gewisse Stutenbissigkeit unterstellt. Aber wer seinen eigenen Wert kennt und auf seine Fähigkeiten vertraut, hat keine Angst vor potentieller Konkurrenz – sondern erkennt sie als Chance, andere Frauen auf ihrem Karriereweg zu unterstützen und von ihrem Wissen zu profitieren. Dafür wird man nicht nur mit Dankbarkeit und wichtigen Job-Learnings belohnt, sondern baut sich gleichzeitig ein eigenes Netzwerk aus erfolgreichen Frauen auf.
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