Menstruation? Heute doch kein Tabu mehr, dachte unsere Autorin. Dann hörte sie von Free Bleeding: menstruieren ohne Tampons, Tassen, irgendwas – und war irritiert. Das soll gehen? Und wieso? Eine Spurensuche über eine Methode, die mehr ist als laufen lassen...
Hätte mich vor Kurzem jemand gefragt, wo wir gesellschaftlich in puncto Periode stehen, hätte ich gesagt: Menstruation? Gehört dazu. Klar, können wir darüber sprechen. Da sind sich mittlerweile (fast) alle einig. Jahrzehntelang haben Menstruierende* dafür gekämpft, dass die Menstruation nicht als eklig, lästig, peinlich stigmatisiert wird. Wer dahin zurückwill, muss mit Gegenwehr rechnen, wie die beiden Männer, deren "Erfindung" pinker Plastikhandschuhe zur diskreten Entsorgung von Tampons ganz "undiskret" sofort vom Markt flog. Stattdessen gibt’s Schwämmchen, Menstruationstassen und Periodenunterwäsche in den Läden und bei Instagram. Weg vom Tabu, hin zu nachhaltigen Lösungen. Eine maximale Erfolgsgeschichte also – dann erfuhr ich von Free Bleeding und lernte: Da geht noch mehr!
Free Bleeding – was bedeutet das?
Britta Wiebe menstruiert seit sechs Jahren frei. Die 30-jährige Hamburgerin ist Co-Gründerin der digitalen Aufklärungsplattform Vulvani – und geht mit dem Free Bleeding noch weiter als viele von uns. Frei, das heißt: Hat Wiebe ihre Tage, lässt sie das Blut einfach laufen. Periodenprodukte braucht sie nicht. Trotzdem läuft das Blut nicht in die Hose, sondern in die Toilette, ganz ähnlich wie beim Wasserlassen. Wann das Blut kommt, kann sie spüren. Die Gebärmutterschleimhaut wird durch Muskelkontraktionen abgestoßen, das passiert nicht permanent, sondern in Wellen. Wiebe kennt den Wellenrhythmus ihrer Menstruation. Sie hat ihm lang genug nachgespürt.
Free Bleeding als politischer Protest
Neu ist die Methode nicht, sie hat sich nur nie etabliert. Es gab immer wieder Frauen, die so einen anderen Einklang mit ihrem Körper suchten. Ende der 1970er-Jahre wurde freies Menstruieren dann zu einem politischen Protest. Ein neuer Typ hochabsorbierender Tampons löste bei Hunderten von Frauen in den USA das Toxische Schocksyndrom aus, 38 von ihnen starben daran. Auch Kiran Gandhi ging es um ein politisches Statement gegen das Tabu Menstruation. In der Nacht vor dem London Marathon 2015 hatte die Läuferin zu bluten begonnen. Als sie an den Start ging, verzichtete sie auf Periodenprodukte. Bilder beim Zieleinlauf zeigen sie glücklich und k. o. – in blutverschmierter Hose.
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Menstruation bedeutet: Viel Geld, viel Müll
Seit einiger Zeit ist Free Bleeding zurück, es wird im Netz diskutiert, vor allem auf Instagram. Gründe dafür gibt es einige: Neben Unverträglichkeiten (Hersteller müssen bei uns nicht angeben, was in den Periodenprodukten ist!) und dem Rütteln an Tabus geht es um ein besseres Körpergefühl und tatsächlich auch um Nachhaltigkeit. Gut 14 000 Einweg- Tampons und -binden nutzen Menstruierende im Lauf ihres Lebens. Das belastet Umwelt – und Geldbeutel. Die Kosten liegen im vierstelligen Bereich. Auch Menstruationstassen und Höschen sind nicht günstig.
Viel Geld, viel Müll: Auch Britta Wiebe störte das. Dann erzählte ihr eine Freundin 2015 von Free Bleeding. Seitdem läuft es bei ihr so: "Ein Blutschwall kündigt sich mit leichten Krämpfen und dem Gefühl einer vollen Blase an. Manche beschreiben das auch als Minivibrationen oder Kribbeln im Uterus", sagt sie. Etwa zehn Minuten später kommt das Blut. "Ich setze mich dann auf die Toilette und entspanne, dann läuft es meist von allein." Kommt nichts, lässt sie das Becken kreisen und massiert den Bauch. Nach ein bis drei Minuten ist sie fertig. Indiz, ob alles raus ist, ist das Klopapier: Noch Blut dran? Okay, dann sitzen bleiben. An den ersten zwei Tagen ihrer Menstruation geht Wiebe jede Stunde auf die Toilette, später alle drei bis fünf. "Meine Tage sind dadurch kürzer geworden und die Krämpfe schwächer", sagt sie.
Für mich ist Free Bleeding die radikalste Form der Selbstfürsorge. Ich mache mich zur Prioriät.
Britta Wiebe, Co-Gründerin VulvaniTweet
Bis dahin war es ein längerer Weg. "Wer Free Bleeding lernen will, braucht Ruhe und Zeit, oft mehrere Zyklen lang." Stoffbinden, später dann Menstruationsunterhosen, gaben ihr am Anfang Sicherheit. Zusätzlich notierte sie, wie und wann sie blutet und wie sie sich fühlt. Das macht sie bis heute. Wiebe nennt das "meinen kostenlosen Gesundheitscheck".
Ist Free Bleeding alltagstauglich?
So weit, so gut. Aber auch: So weit, so kompliziert!? Einmal pro Stunde eine Toilette suchen, noch dazu der Stress, ob etwas in die Hose geht – bei wem passt so was in den Alltag? Britta Wiebe ist seit Kurzem selbstständig, kann sich ihre Zeit einteilen, sie sagt: "Das hilft natürlich." Aber auch vorher, als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Uni, an der sie Kurse gab, menstruierte sie frei. "Das funktioniert, weil es mir wichtig ist", sagt Wiebe. Sie findet: alles eine Frage des Mindsets und der Priorität. "Für mich ist das die radikalste Form der Selbstfürsorge", sagt sie. Andere gehen joggen, um für sich zu sorgen. Britta Wiebe blutet frei.
Periode und Priorität – für mich geht das nur schwer zusammen. Wiebe ging das früher auch so. "Die Periode war mir egal, ich habe sie möglichst ignoriert. War sie da, gab es Schmerztabletten, kam sie nicht, habe ich mich gefreut." Das ist nun anders, sagt sie: "Durch Free Bleeding und das bewusste Reinfühlen in den Körper habe ich gelernt, diese Negativität zu hinterfragen." Am ersten Tag ihrer Menstruation macht Wiebe seitdem nur Schönes, schläft aus, hört Podcasts. "Ist es nicht schade, wie sehr man oft gegen den Körper und einen so natürlichen Prozess ankämpft?"
"Ich kann meine Periode einfach nicht leiden"
Bei mir läuft es leider noch nicht so richtig rund. Wir führen einen kleinen Krieg, die Periode und ich, seit 16 Jahren schon. Besser noch: Ich führe Krieg. Denn mein Körper funktioniert. Mein Kopf ist das Problem: Ich kann meine Menstruation einfach nicht leiden. Eine Zeit lang verschwand sie deshalb ganz aus meinem Leben. Ich nahm die Pille durch, erst wegen starker Regelschmerzen, irgendwann, weil es bequemer war. Mittlerweile ist meine Periode zurück – als Mitläuferin, nie als Mittelfeldspielerin, so wie bei Britta Wiebe. Mein Kopf sagt: Es nervt, schmerzt, schränkt ein, egal ob mein Blut in einen Tampon, eine Menstruationstasse oder ein Höschen fließt. Ja, geändert hat sich in puncto Periode einiges. Meine Einstellung hat es nicht.
In einer Gesellschaft, die uns alle an Leistung und Produktivität misst, haben wir gelernt, die Menstruation als Fluch zu sehen. Selbst wenn sie nicht tabu ist, bleibt sie unser privates Problem. Menstruierende sollen sich im Griff haben, sich brav zur Arbeit schleppen, funktionieren.
Imke WrageTweet
Vielen geht es ähnlich: In einer Gesellschaft, die uns alle an Leistung und Produktivität misst, haben wir gelernt, die Menstruation als Fluch zu sehen. Selbst wenn sie nicht tabu ist, bleibt sie unser privates Problem. Menstruierende sollen sich im Griff haben, ihren Körper brav zur Arbeit schleppen, funktionieren. Und das ziemlich lang: Rund 500 Mal bluten Menstruierende in ihrem Leben. Macht gerechnet auf eine Periodendauer von fünf Tagen sieben Lebensjahre. Sieben Jahre Krieg gegen den Körper? Zeit, mich selbst zu hinterfragen.
Kann ich mein Menstruations-Mindset ändern?
Was ich gelernt habe, durch Britta Wiebe und die Auseinandersetzung mit Free Bleeding: Wer untenrum frei sein will, muss obenrum anfangen. Free Bleeding ist gut für die Umwelt, für den Geldbeutel, aber auch ein Ausdruck von Achtsamkeit. "Die Methode ist nicht für jeden was, es muss halt passen und sich gut anfühlen – sich damit zu stressen ist kontraproduktiv", sagt Wiebe. Ob ich frei menstruieren will, weiß ich noch nicht. Aber vielleicht ist das auch gar nicht entscheidend. Frieden zu schließen und meine Menstruation und mein Wohlbefinden künftig häufiger zur Priorität zu machen: Das ist sehr befreiend.
* Wir sprechen von Menstruierenden, um niemanden auszuschließen. Nicht alle Frauen menstruieren und nicht alle, die menstruieren, identifizieren sich als Frau. Auch trans, non-binäre oder geschlechtsneutrale Menschen können monatlich bluten.
Britta Wiebe ist Aktivistin – nicht nur mit Herzblut. "Period shaming" vermittelt Frauen, sie seien eklig oder unrein, wenn sie bluten. Britta Wiebes Bildungsplattform Vulvani kämpft dagegen, auch durch Bilder mit echtem Menstruationsblut.
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