In mehreren Städten Spaniens ist es seit Ende 2021 Beschluss: Wer seine Periode hat, darf sich einmal im Monat frei nehmen. Brauchen wir "Menstruationsurlaub" auch in Deutschland? Unbedingt, findet EMOTION-Autorin Laura.
Ein indischer Essenslieferdienst erlaubt seinen menstruierenden Angestellten seit vergangenem Sommer bis zu zehn freie bezahlte Tage im Jahr, die sie bei starken Periodenbeschwerden in Anspruch nehmen können. Ganz ohne Scham und Stigma sollten die Menstruierenden ihren Kolleg:innen per E-Mail sagen können, dass sie gerade einen Tag Periodenurlaub nehmen, so der Firmenchef. Auch in anderen Ländern gibt es dieses Konzept: In Taiwan haben Menschen mit monatlicher Blutung bereits das Recht auf drei freie Tage. In Italien liegt zumindest ein Gesetzesentwurf für dreitägigen "Menstruationsurlaub" vor und auch Spanien führte Ende 2021 in mehreren Städten den Menstruationsurlaub ein.
Frauen und Menstruierende leiden teils an starken Schmerzen
Es klingt nach einem spannenden Konzept, das in Deutschland leider noch kaum Beachtung gefunden hat. Doch der Begriff stört ein wenig. Denn "Menstruationsurlaub" klingt nach Bierchen mit Freund:innen oder vor dem Fernseher gammeln. Das vermittelt aber Menschen, die keine monatliche Blutung haben, einen völlig falschen Eindruck davon. Fast 90 Prozent aller Mädchen und Frauen leiden laut einer Umfrage unter Beschwerden (wie etwa Bauchkrämpfe, Rückenschmerzen, Migräne, Durchfall) vor und während ihrer Menstruation. Also Symptome, mit denen sich viele Menschen ohnehin krankschreiben lassen würden.
In einer niederländischen Studie, bei der über 30.000 Frauen zwischen 15 und 45 Jahren befragt wurden, gab ein Drittel an, schonmal wegen starken Periodenbeschwerden zum Arzt gegangen zu sein. Erwiesenermaßen können die Schmerzen während der Menstruation sogar so schlimm sein als ein Herzinfarkt. Natürlich leiden manche mehr, manche weniger unter Periodenbeschwerden – aber mit einem Gefühl von "Urlaub" assoziiert diese monatliche Phase der körperlichen Beeinträchtigung wohl kaum jemand.
"Moon Days" statt "Menstruationsurlaub"?
Unter der Bezeichnung "Moon Days" hat die Unternehmerin Kristel de Groot freie beziehungsweise flexible Tage für Menstruierende in ihrer Firma "Your Super" eingeführt. Klingt zwar weniger nach "Urlaub", dafür aber irgendwie nach einem Märchen-Begriff. Warum neigen wir immer dazu, das Thema Menstruation zu beschönigen? Wenn wir schon über feministische Neuerungen im Arbeitsleben sprechen, dann sollten wir die Sache auch klar benennen können: "Ich mache heute menstruationsfrei" könnte man zum Beispiel sagen. Die "Moon Days" in de Groots Unternehmen folgen zumindest diesem Prinzip: Betroffene Arbeitnehmer:innen können sich frei nehmen, im Homeoffice arbeiten oder Meetings absagen, wenn sie Regelbeschwerden haben. Manche nehmen das in Anspruch, andere nicht, erzählt sie in einem Interview. Wichtig sei ihr ein offener Umgang mit dem Thema.
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Menstruation wird auf der Arbeit nicht genug thematisiert
Und das ist es doch im Kern, was wir in unserer Arbeitswelt brauchen: Eine Enttabuisierung der Menstruation. Wie viele Arbeitnehmer:innen schieben lieber irgendwelche Gründe für ihren Ausfall vor, anstatt dem Chef oder der Chefin von den eigenen Menstruationsbeschwerden zu erzählen? Das Thema ist immer noch mit so viel Scham behaftet, dass sich kaum jemand traut, es offen anzusprechen. Auch einhergehend mit der Angst, als wehleidig abgetan zu werden: Weitverbreitet ist nämlich immer noch der Glaube, Frauen seien schmerzempfindlicher als Männer und würden Schmerzen dramatischer darstellen. Anstatt solche Stereotype weiter füttern zu wollen, beißen wir dann lieber die Zähne zusammen und werfen uns vor der wichtigen Präsentation noch ein paar Schmerzmitteln ein, um die beißenden Krämpfe zu überstehen.
Ist "Menstruationsurlaub" unfair gegenüber Männern?
In oben genannter Studie wurde sogar nachgewiesen, dass 80 Prozent der menstruierenden Angestellten während ihrer Monatsblutung weniger produktiv arbeiten und unkonzentriert sind. Warum geben Arbeitnehmer:innen ihnen dann nicht diesen einen freien Tag im Monat, den sie körperlich ganz offensichtlich brauchen, damit sie am nächsten Tag wieder mehr Leistung zeigen können? Weil unsere Arbeitswelt Frauen beziehungsweise Menstruierende kaum mitdenkt und solche Themen (noch) nicht sichtbar genug sind. Der Umgang mit dem Thema Menstruation ist da nur ein Beispiel für sexistische Strukturen in Unternehmen – die Gender Pay Gap, Mental Load und unbezahlte Care-Arbeit sind weitere. Wer also zum Beispiel argumentiert, dass die Einführung von "Menstruationsurlaub" unfair gegenüber Männern sei, der darf sich diese Begriffe gerne nochmal vor Augen führen und sich fragen, welches Geschlecht eigentlich genau in unserem Arbeitssystem benachteiligt wird.
Fördert "Menstruationsurlaub" Sexismus?
Ein anderes Argument, das häufig gegen "Menstruationsurlaub" angeführt wird ist, dass Unternehmen ja noch weniger Frauen einstellen würden also ohnehin schon – weil der monatliche Ausfall die Firma Geld kostet (ähnlich wie eine mögliche Schwangerschaft). Natürlich kann das ein Grund für Chef:innen sein, stattdessen lieber einen Mann einzustellen. Sexismus könnte mit der Einführung von "Menstruationsurlaub" also nur noch weiter gefördert werden, könnte man kritisch behaupten. Aber: Sexismus werden wir ganz sicher auch nicht beseitigen, wenn Frauen sich den männlichen Strukturen der Arbeitswelt weiter fügen und Unternehmen das weiter ausnutzen. Während uns das System vermitteln will, dass das Frausein im Arbeitsleben problematisch ist, so ist doch eigentlich der im System vorherrschende Sexismus das Problematische.
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Spanien zeigt, wie es für beide Seiten funktionieren kann
Ohne Frage: für die Arbeitgeber:innen bedeutet der Ausfall von Arbeitskräften an mehreren Tagen im Jahr dadurch auch weniger Produktivität und gar weniger Umsatz. Daher ist das Konzept, dass sich in Spanien für den Menstruationsurlaub überlegt wurde, ein fairer und trotzdem gleichberechtigter Ansatz: Wer Menstruationsurlaub braucht, darf ihn nehmen – unter der Bedingung, dass die Arbeit an einem anderen Tag nachgeholt wird. Davon profitieren am Ende beide Seiten, denn die Qualität der geleisteten Arbeit ist mit Sicherheit höher, wenn diese nicht unter starken Schmerzen durchgeführt wurde.
Menstruation braucht Sichtbarkeit
Das Thema Menstruation braucht eine breite öffentliche Sichtbarkeit, und Männer müssen verstehen lernen, was Periode für Frauen und Menstruierende bedeutet. Viel zu oft wird fallen noch stigmatisierende Kommentare wie "Du hast wohl deine Tage!". "Menstruationsurlaub" kann ein offizielles Mittel sein, um die Bedürfnisse von Frauen und Menstruierenden erkennbar zu machen. Außerdem könnte es vielen die Hemmung nehmen, das Thema Periode auf der Arbeit anzusprechen. Wenn wir weiterhin Ausreden erfinden müssen, um während unserer Menstruation zuhause bleiben zu können und uns stärker geben als wir sind, um in die männliche Arbeitswelt hineinzupassen, dann tragen wir damit den Sexismus nur weiter.
Nicht zu vergessen: Auch für Nicht-Menstruierende kann "Menstruationsurlaub" eine Ermutigung sein, entgegen des gesellschaftlichen Leistungsdrucks öfter mal auf den eigenen Körper zu hören und sich die Auszeit zu geben, die man braucht.
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