Eigentlich liebt Till Brönner die Stille. Doch die Stille dieser Tage regt ihn auf. Jetzt hat er sich auf Facebook Luft gemacht. Denn: Musik ist wichtig. Kunst ist wichtig. Hier könnt ihr noch mal lesen, was ihm Stille in guten Tagen bedeutet…
Till Brönner: "Ich bin sauer!"
Eigentlich liebt Till Brönner die Stille, darüber hat er mit Bärbel Schäfer im Sommer 2018 gesprochen. Doch die Stille dieser Tage regt ihn auf. Zu den neuen Corona-Maßnahmen sagt er:
Wie kann man einzelnen Konzernen Milliarden in den Vorgarten werfen und uns Arbeitslosengeld II anbieten?
Till Brönner, Jazz-TrompeterTweet
Denn: Musik ist wichtig. Kunst ist wichtig. Hier könnt ihr noch mal lesen, was ihm Stille in guten Tagen bedeutet.
Bärbel Schäfer: Till, sind dir Menschen fremd, denen Stille fremd ist?
Till Brönner: In gewisser Weise schon. Jeder braucht Momente der Stille. Ich kenne aber Menschen, denen die Stille unangenehm ist. Stille musst du aushalten können: den schweigenden Blick des Gegenübers, dich selbst und das was im Raum steht.
Suchst du Stille?
Ich brauche nicht zwingend das stille Kämmerlein, um danach Vollgas zu geben. Die drei Elemente der Musik sind Melodie, Rhythmus und Harmonie. Aber Stille ist für mich das vierte Element. Ohne sie geht nichts.
Brauchst du den Rückzug?
Definitiv vor jedem Konzert. Wenn ich die letzten sechzig Minuten vor einem Auftritt nicht allein bin, kann ich mich eigentlich nicht auf das konzentrieren, was vor mir liegt.
Wer darf dich in dieser Stunde stören?
Niemand.
Was stört dich am Eindringling?
Alles. Alltagsfragen, der Tour-Manager mit Namen der Gästeliste … Das lenkt mich ab, mich auf meinen Zustand zu besinnen, obwohl ich ihn selbst darum gebeten habe mich zu informieren. Durch Ablenkung entferne ich mich davon, musikalisch das Beste zu geben. Ich bin besser im Spiel, je näher ich bei mir bin. Und diese Nähe gibt es nur, durch die konzentrierte Ruhe vor dem Spiel. Im besten Fall bekommt man den besten Till Brönner und im schlechtesten Fall den ehrlichsten, der zu seinen Schwächen an diesem Abend steht.
Gehört zur Tagesform nicht immer perfekt zu sein?
„Schlechtspielen ist auch ein Menschenrecht“, sagte mein Trompetenlehrer immer. Diese Toleranz muss ich zulassen, unter ein bestimmtes Level falle ich aber nie.
Was genau passiert in den 60 Minuten Stille vor deinem Auftritt?
Fokussieren. Konzentrieren. Links und rechts ausblenden, oder mal bewusst über den Ort nachdenken an dem ich heute bin. Beim Spiel selbst verschwindet die Welt um mich herum, das ist ein Zustand wie eine Droge.
Ohne Ton keine Stille. Ist Musik auch eine Reise zu dieser Tonlosigkeit?
Oder: ohne Stille kein Ton. Ich habe mich Zeit meines Berufslebens mit der Frage beschäftigt, welche Töne ich weglassen kann. Eine elementare Frage für mich. Es geht darum die wenigen Töne zu setzen, die einen Unterschied machen. Ich spiele immer noch viel zu viele. Das Weglassen muss man üben, und diese Suche braucht einen Erfahrungsschatz und stetige Neugier.
Braucht es auch Mut?
Durchaus. Ich werde als Jazzmusiker ja nicht an der Stille gemessen, sondern am Davor und Danach. Die Stille liefert aber die Verpackung, Das Wechselspiel macht den feinen Unterschied. Manchmal gibt es auch Momente in denen ich mich frage, ob ich schon zu still geworden bin.
Inwiefern?
Ich bin ständig auf einer musikalischen Reise, ich spreche von der Stille als Stilmittel in meiner Musik. Ich werde mit den Jahren langsamer, weniger hektisch.
Beim Hören deines Sounds umhüllt mich eine Welle der Stille, wie früher, wenn meine Eltern die Bettdecke aufschüttelten und die sich sanft auf mich legte.
Das ist das schönste Kompliment, das ich seit Jahren bekommen habe. Der Effekt ist doch wunderbar.
Gibt es für dich einen Unterschied zwischen Stille und Ruhe?
Ich brauche Ruhe um mich gesund durch den Tag zu bewegen. Ich brauche Stille, um zu schlafen. Beim Schlaf bin ich sehr empfindlich.
Benutzt du Ohrstöpsel?
Ja.
Nie ein Hotelzimmer in der Nähe des Fahrstuhls?
Genau. Zu meinem Leidwesen bin ich da fast schon neurotisch. Mein Schlaf ist leichter geworden. Und ich bin sehr geräuschempfindlich. Vielleicht eine Folge meines Berufes, diese Synapsenoffenheit.
Jetzt läuft hier Musik während wir sprechen, Kaffeegeschirr klappert, Stimmengewirr. Nervt dich das?
Ja, schlimm. Am Schlimmsten wäre es für meine Konzentration, wenn noch meine eigene Musik laufen würde.
Beschwerst du dich, wenn es dir zu laut ist?
Ab und zu. Musik konsumiert offenbar die Mehrheit der Leute nebenbei, während sie ganz andere Dinge tun.
Läufst du jetzt als Soundpolizist durch die Gegend?
Nein. Ich ertrage Berieselung. Mir fehlt aber oft die Wertschätzung für Musik und manchmal macht mich das traurig.
Was brauchst du, um kreativ zu sein?
Den Mut zur Lücke und zum weißen Blatt Papier. Den finde ich oft in der Küche.
Beim Kochen?
Ja, oder am Abend, wenn das letzte Gespräch geführt wurde, die Telefone nicht mehr klingeln und das Leben für wenige Stunden ruht. Im Sommer, bei geöffnetem Fenster, gegen zwei oder drei Uhr in der Früh, liebe ich es noch am Schreibtisch zu sitzen. Nicht um zu arbeiten, aber dieser Genuss, das gerade alle Räder stillstehen, führt bei mir zu Kreativität. In meiner alten Wohnung am S-Bahnhof Charlottenburg konnte ich nachts dem russischem Akkordeonisten lauschen, der Bach als Straßenmusiker im S- Bahn-Bogen performte. Der Klang war dann fast so gut wie in der Frankfurter Paulskirche.
Der Augenblick, in dem du die Bühne betrittst, der Applaus verklungen ist, dieser winzige Moment der erwartungsvollen Stille – was passiert da mit dir?
Aufregung. Einer der nervösesten Momente für mich. Der erste Ton ist immer der wichtigste. Er durchschneidet die Stille. Er bleibt haften. Der Moment davor, das sich Zeigen, ist ja rein äußerlich. Ob ich Turnschuhe oder Sakko trage, wird vielleicht vom Zuschauer bewertet, aber der ist für mich noch nicht aufregend.
Was lauert hinter diesem ersten Ton?
Die Angst nicht bei mir zu sein. Oder gar, dass er danebengeht Ein aufregender Augenblick, jedes Mal. Die Ein Konzert mit zwei Hälften mag ich eigentlich nicht. Die Spannung zwischen dem Publikum und mir soll nicht abreißen. Deshalb mag ich keine Konzerte mit Pausen.
Und wenn der Faden doch reißt?
Versuche ich ihn wieder aufzunehmen. Der Preis der Pause ist jedoch meist hoch. Für eine Unterbrechung bin ich selten dankbar, nur wenn es konditionell für mich anstrengend ist und ich mal kurz durchatmen muss.
Wenn in diesem kleinsten Augenblick zwischen Auftritt und erstem Ton etwas schiefläuft, was heißt das, für den weiteren Verlauf des Abends?
Horror. Passiert aber. Als Jazzmusiker habe ich die Freiheit den Fehler einfach zu wiederholen und dem ganzen den Anstrich der Absicht zu geben. Manchmal funktioniert das und manchmal nicht.
Funkstille zwischen dir und deinem Instrument, der Trompete, gibt es das?
Ja, regelmäßig. Das Blechblasinstrument fällt ja immer nur auf den Spieler zurück. Ich kann keine verstimmte Seite, den Verstärker, die Tasten für meine Fehler verantwortlich machen. Das bin immer 100 Prozent und ungefiltert ich. Wenn alles perfekt klappt, sind wir zwei ganz innig. Dann bedanke ich mich auch bei meiner Trompete.
Schon mal die Trompete an die Wand geworfen?
„This fucking thing is a beast“, behaupten viele Jazztrompeter. Für das An-die-Wand-werfen bin ich zu vernünftig, aber ich war schon oft kurz davor. Am Ende kann sie ja nichts dafür und ich muss mir eine neue kaufen. Einen Tag besäuselt die Trompete dich, am nächsten schaut sie dich mit dem Arsch nicht an. Dann ignorieren wir uns. Drei Wochen, waren unsere längste Phase, in der wir auf Kriegsfuß standen. Natürlich stehe ich dann nur mir selbst im Weg, das Instrument trägt keine Schuld.
Fühlst du dich deiner Leidenschaft gegenüber verpflichtet, oder warum beginnst du immer wieder neu?
Die Enttäuschung ist der Motor, um die Funkstille nicht zuzulassen. Ich muss den Raum wieder betreten. Die Kunst ist, den Dialog zwischen der Trompete und mir nie abreißen zu lassen. Ich muss jeden Tag üben. Ich kann das. Ich kann die Trompete blasen, ohne mit ihr zu sprechen. Das ist dann reine Technik. Reine Übung. An solchen Tagen spreche ich nicht mit ihr. Es ist dann ein stilles Agreement zwischen uns, dass wir es beide ertragen müssen.
Und wenn du spielst?
Es heißt doch Basketball-, Fußball- oder Trompete spielen und nicht: werfen, treten, blasen. Wer im Moment höchster Anspannung noch Spaß hat und es spielerisch empfinden kann, der ist gut. Dafür muss auch ich schon mal über meinen Schatten springen. Loslassen ist eine Kunst, aber das braucht es, um spielerisch zu werden.
Du bist gerade mit dem Bassisten Dieter Ilg auf Tour. Wie ist das, wenn du plötzlich nicht nur mit deiner Trompete kommunizierst, sondern mit einem anderen Musiker?
Es ist ein Dialog aus dem sich keiner von uns verabschieden kann. Schon beim Trio kann sich einer kurzfristig ausklinken. In unserem Duo ist selbst die Stille keine Stille.
Warum nicht?
Weil ich gehalten bin, aktiv und unter Beobachtung seinem Solo zu lauschen.
Und wenn du dich dabei gedanklich verabschieden würdest?
Würde ich meinen Bühnenpartner im Stich lassen. Ich spüre es ja auch, wenn es ihm passiert. Das nehme ich ihm nicht übel, das ist menschlich, aber man muss es hinterher besprechen. Wenn sich einer von uns innerlich verabschiedet passiert nichts mehr. Wir wollen den Dialog um jeden Preis, trotzdem spielen wir manchmal auch aneinander vorbei.
Klingt nach operativer Hektik!
Ja, mit geistiger Windstille (lacht).
Willst du lieber einen Dauerdialog?
Nein. Manchmal will ich nichts lieber, als das mein Gegenüber den Rand hält. Aber wenn du zusammen auf der Bühne bist, geht das nicht. Diese Reibung zwischen Begeisterung, ein wenig Neid über seine fantastische Tagesform bis hin zu absoluter Liebe ist extrem. Wenn die Musik der Boss bleibt, verneige ich mich immer egofrei. Nur eines möchte ich als Musiker nicht, langweilen.
Kann er, mit dem Kontrabass, andere Pausen setzen als du?
Und wie. Er ist ein ganz anderer Pausentyp als ich. Und durch sein großes Instrument wirken seine Pausen auch anders. Wenn Dieter Ilg seinen Arm von links nach rechts zieht, diesen dann seitlich deutlich fallen lässt oder wenn er seinen Bass dreht oder schlägt, dann ist das ein Statement für den Zuhörer. Ich höre dagegen ja nur auf die Finger zu bewegen. Manchmal muss ich meine Pause optisch stärker inszenieren und das blöde kleine Stück Blech in großem Bogen absetzen.
Klingt nach einer Beschränktheit der Trompete.
Ja, dazu muss ich stehen.
Und wenn der letzte Ton verklungen ist?
Das ist für mich auf dieser Tour der Ton eines Kirchenliedes „Bleib mit deiner Gnade ...“, er ist der letzte Ton im Konzert. Er ist der zugleich der schönste Ton. Pure Meditation.
Du meditierst öffentlich?
Ja, ich gehe selten so entspannt in die Garderobe wie nach dieser Tour. Da bin ich auch nicht mehr streng mit mir.
Aber nach dem letzten Ton fällt doch auch das Urteil der Konzertbesucher.
Wir muten dem Publikum mit Trompete und Kontrabass zwei Stunden etwas zu. Alle haben Tickets gekauft, Parkplätze gesucht, waren vorher was Essen, dann will jeder, dass es das wert war. Aber keiner ist zum Konzertbesuch gezwungen und ein gewisses Level an Virtuosität unterschreite ich nie. Das ist das Gerüst, auf das ich baue.
Wann wirst du eigentlich laut?
Selten. Wahrscheinlich dann wenn ich merke, ich werde nicht ernst genommen. Ich hasse es, wenn ich unterschätzt werde. Aber das passiert uns doch allen bei Psychospielchen, Missgunst und Manipulationen.
Schreien ist aber kein Zeichen von Stärke.
Künstler sind so. Ich werde aber nur laut, wenn ich diese Ungerechtigkeit spüre und kein anderes Mittel mehr sehe, um mich zu wehren. Natürlich ist das ein Irrglaube, du wirst ja nicht gehört, nur weil du schreist. Wenn sich berufliche und private Beziehungen bewährt haben, müssen Konflikte ausgetragen werden. Manchmal ist aber auch alles gesagt.
Wie jetzt bei uns? Danke für das Gespräch, Till Brönner.
#AlarmstufeRot
Unter dem Hashtag #AlarmstufeRot haben sich Künstler*innen und Kulturschaffende zusammengeschlossen, um auf die aktuelle Lage in der Veranstaltungsbranche aufmerksam zu machen. In einem offenen Brief an die Regierung fordern sie "konkrete und zielführende Entscheidungen."