Videogames sind längst nicht mehr nur was für blasse Nerds mit Brille – über 34 Millionen Deutsche zocken, knapp die Hälfte davon Frauen! Über die Faszination virtueller Welten in Zeiten des Lockdowns.
Vor ein paar Wochen hatte ich einen persönlichen Tiefpunkt erreicht: Ich war in meiner Watchlist bei den Titeln angelangt, die mir irgendwann mal irgendjemand empfohlen hatte und die ich mir ansehen wollte, wenn wirklich, aber auch ganz sicher nichts Neueres, Spannenderes oder Besseres laufen würde. Doch statt den spanischen Arthouse-Film anzuklicken, tat ich etwas, was ich schon lange nicht mehr gemacht hatte: Ich setzte mich an den PC und lud mir ein neues Spiel herunter.
Schon nach wenigen Minuten tauche ich völlig fasziniert in die traumschöne Inselwelt des Adventure-Spiels Eastshade ab: Ich spaziere durch romantische Dörfer mit Kuppelhäusern aus Stein, sammle in den umliegenden Wiesen und Wäldern Blüten, Wurzeln und Pilze, aus denen ich Tee braue oder die ich gegen andere dringend benötigte Gegenstände tauschen oder verkaufen kann. Ich höre meine Schritte auf dem Waldboden, den Wind im hohen Gras und versinke verträumt im Anblick eines (unglaublich realistisch animierten) Sonnenuntergangs am Ufer eines Sees. Mittendrin statt nur dabei!
Wie die Computerspiele-Branche von Corona profitiert
So wie mir, ging es wohl auch vielen anderen: Allein der Umsatz von Online-Gaming-Diensten wie etwa Xbox Live, Apple Arcade oder PlayStation Now ist, laut aktueller Pressemitteilung des Verbands der deutschen Games-Branche, in 2020 um 50 Prozent auf 692 Millionen Euro gestiegen. Der gesamte deutsche Games-Markt hat sogar einen Sprung von 6,4 auf 8,5 Milliarden Euro gemacht.
In Zeiten, in denen echte Erlebnisse rar sind, übt die Virtual Reality offensichtlich einen umso größeren Reiz aus. Und das eben nicht nur auf Kinder und Jugendliche - übrigens eins der hartnäckigsten Vorurteile unter Nicht-Gamern: Im Durchschnitt sind Spieler:innen hierzulande 37,5 Jahre alt. Die Buchbranche hat zwar im letzten Jahr auch einen kleinen Aufschwung erlebt, der große Medien-Gewinner der Coronakrise ist allerdings der Computerspielemarkt, sogar noch deutlich vor den Streaming-Anbietern.
Mit nur einem Klick dem Alltag entfliehen & Freunde treffen
Trotz Zoom-Müdigkeit im Homeoffice lockt uns die Sehnsucht nach Abenteuer und Abwechslung abends also doch wieder vor die Bildschirme. Was dabei an Computerspielen im Vergleich zu anderen medialen Alltagsfluchten so reizvoll ist? Ganz einfach: Als Spieler:in kann man aktiv ins Geschehen eingreifen und lässt sich nicht nur berieseln wie beim Fernsehen. Ein gutes Gefühl – vor allem bei dem Kontrollverlust, den wir alle im Außen gerade erleben. Und anders als beim Lesen taucht man nicht allein in fremde Welten ein, sondern kann sich beim Online Gaming mit anderen Spieler:innen vernetzen, weltweit wenn man das möchte.
Das ist selbstverständlich kein Ersatz für Theater, Konzerte, Kneipenbesuche und – hoffentlich bald wieder – Reisen, aber doch eine legitime Alternative für sozialen Austausch an einsamen Lockdown-Abenden. Probiert´s einfach mal aus – hatte ich schon erwähnt, dass es richtig Spaß macht? Bestes Beispiel: Mein Papa,79, fiebert schon montags seinem wöchentlichen Online-Fußball-Date mit meinem Bruder und dessen Gaming-Buddies entgegen. Computerspielen verbindet – nicht nur in Pandemiezeiten!
Computer- und Videospiele sind aus dem Alltag längst nicht mehr wegzudenken. Sie dienen der Unterhaltung. Aber sie können genauso Begeisterung für Wissenschaft und Technik entfachen.
Angela Merkel in ihrer Eröffnungsrede zur Computerspielmesse Gamescom 2017Tweet
Kulturgut oder kultureller Untergang? Kritik an Computerspielen
Spätestens seit Barbara Schöneberger Mitte April den „Deutschen Computerspielpreis“ moderiert hat, ist Gaming endgültig im Mainstream angelangt. Zum Kulturgut hatte Angela Merkel Computerspiele bereits 2017 bei ihrem Besuch der Gamescom erklärt, der weltweit größten Messe für Video- und Computerspiele, die jährlich in Köln stattfindet. Für mich als Kind der 80er, das seine erste Spielerfahrung noch mit gelben Pixelfiguren auf Schwarz gesammelt hat, sind viele Neuerscheinungen auf dem Spielemarkt mit ihrer lebensechten Grafik, richtig tollem Sound und fesselndem Storytelling tatsächlich echte Kunstwerke.
Klar gibt es leider noch genügend Spiele, vor allem in der viel kritisierten Kategorie der sogenannten Shooter, die als gewaltverherrlichend erlebt werden können, ein alles andere als modernes Frauenbild propagieren und Stereotype bedienen. Hier hat die Feministin Anita Sarkeesian vor einigen Jahren durch Video-Blogs, in denen sie Sexismus in Computerspielen aufzeigt.
„Es gibt heute Games-Studios, die diese Probleme ernst nehmen und reagieren. In den vergangenen Jahren sind mehr Spiele erschienen, die Frauen oder People of Color als Protagonisten beinhalten“, stellte die Medienkritikern gegenüber dem Standard fest. Es tut sich also allmählich was – man bemerkt ein langsames, aber stetiges Umdenken in der Branche. Immer häufiger gibt es Spiele wie Life is Strange oder The Last of us Part 2 mit spannenden, weiblichen Figuren und vielschichtigen Charakteren. Zugegeben – es ist noch ein weiter Weg, aber die ersten Schritte in Richtung Diversität sind gemacht. Game on!
Kinder und Computerspiele – zwischen Suchtgefahr und Medienkompetenz
Für Eltern und Erziehende gibt es im Lockdown einen weiteren wichtigen Grund selbst zur Maus zu greifen: Mangels Freizeitalternativen sitzen auch unsere Kinder und Jugendlichen häufiger und länger vor den Monitoren. Wer nicht weiß, was der Nachwuchs da so spielt und was ihn daran so fasziniert, wird sich schwer tun seinem Kind Medienkompetenz zu vermitteln und gemeinsam Regeln zur verantwortungsvollen Nutzung zu vereinbaren. Wie wichtig das ist, zeigt eine aktuelle Studie der DAK: 15,4 Prozent der Minderjährigen seien demnach sogenannte Risiko-Gamer und damit gefährdet eine Spielsucht zu entwickeln, etwa 3 Prozent der 12-17-Jährigen sind bereits computerspielsüchtig.
Im Zuge des Homeschooling sind vermehrt PCs und Laptops in den Kinderzimmern gelandet. Medienpädagogen raten Geräte, gerade bei jüngeren Kindern, möglichst im Wohnzimmer zu nutzen. Und auch wenn Computerspiele im Homeoffice als Babysitter durchaus verlockend scheinen: Bleibt an euren Kindern dran! Austausch auf Augenhöhe gelingt am einfachsten beim gemeinsamen Spielen. Also verstehen, statt verbieten. Denn so wie zu viel Zocken Risiken birgt, bestätigen wiederum zahlreiche Studien, dass moderates Computerspielen (bis zu einer Stunde täglich) räumliches Vorstellungsvermögen, strategisches Planen und Feinmotorik fördern kann.
Lesetipps für mehr Medienkompetenz:
Der Medienratgeber „SCHAU HIN!“ hilft Eltern ihre Kinder in der Welt der digitalen Medien mit alltagstauglichen Tipps kompetent zu begleiten. Das Projekt ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Familie, ARD und ZDF sowie der AOK.
Erst kürzlich erschienen ist Ulrike Wolpers „Mein fremdes Kind: Wie wir die Computerspielsucht unseres Sohnes überwanden. Über Vertrauen und Wege aus der Abhängigkeit“ – eine spannende Auseinandersetzung mit dem Thema, zwischen Erfahrungsbericht und Elternratgeber
#playathome - Computerspieletipps gegen den Lockdown-Blues
So wie es momentan aussieht, müssen wir noch ein bisschen zu Hause aushalten. Genug Zeit also, mal ein Spielchen zu wagen:
Für Abenteuerlustige
Gerade für Anfänger:innen, die sich erstmal herantasten wollen bieten sich sogenannte Point-and-Click-Adventures an. Mit der Maus steuert man seine Figuren wie durch einen interaktiven Film und muss dabei mal witzige, mal spannende Dialoge führen, Gegenstände sammeln, verschiedene Aufgaben erfüllen und allerlei Rätsel lösen. Einer der bekanntesten und auch heute noch populären Klassiker des Genres ist die Story des jungen Piraten Guybrush Threepwood in The Secret of Monkey Island – wer „Fluch der Karibik“ mag, wird dieses skurrile Piratenabenteuer lieben!
Für den virtuellen Spieleabend
Das Multiplayer-Game Among us war einer der großen Überraschungserfolge des letzten Jahres: Ein bisschen erinnert das Setting an „Mord im Dunkeln“ – nur dass sich die Spieler nicht in echt im Partykeller treffen, sondern virtuell in einem Raumschiff. Zufällig wird ein „Imposter“ ausgewählt, der die anderen Crewmitglieder sabotieren und sogar umbringen kann. Die wiederum versuchen den Verräter zu entlarven. Perfekt für einen lustigen Abend mit Freund:innen!
Für Reisehungrige
Lust auf einen Abstecher nach Ägypten oder Griechenland? Die bekannte Videospielserie Assassins Creed, die sich eigentlich um den Kampf der Assassinen gegen die Templer dreht, bietet mit den Discovery Tours einen Lehrmodus an, in dem man ganz ohne aufregende Angriffe zu Fuß oder auf dem Pferd antike Stätten und Städte und die Lebensweise der Menschen erkunden kann. Wer möchte kann auch an geführten Touren durch die Akropolis oder die Pyramiden teilnehmen, die von Historikern erstellt wurden. Mittlerweile kommt das Format sogar an manchen Schulen im Geschichtsunterricht zum Einsatz!
Für Familien mit Kindern
E-Sports statt Indoor-Sport: Bis Karatekurs oder Handballtraining wieder stattfinden, kann man sich und seine Kids wenigstens ein bisschen mit digitalem Workout fit halten. Wir haben im Lockdown die Nintendo Wii-Konsole und das Sportspiel Sports Resort für uns wiederentdeckt: Seitdem Fechten, Bowlen und Paddeln wir jeden Abend 20 Minuten mit unseren Jungs vor dem Fernseher um die Wette. Das macht nicht nur total Spaß, sondern bringt meinen Mann und mich ganz schön ins Schwitzen!
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