Wie ist es wirklich, mit einem depressiven Partner zusammen zu sein? Unsere Autorin hat es erlebt – und musste irgendwann die Notbremse ziehen. Heute weiß sie: Das war nicht egoistisch, sondern ein Akt des Selbstschutzes. Ihre ganze Geschichte und die ihres Partners hat sie für uns aufgeschrieben.
* Der vollständige Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.
Depressionen sind eine erstzunehmende Krankheit, die sich in ihrer Schwere und Dauer bei jedem unterschiedlich auswirken, aber mit professioneller Hilfe gut behandelt werden können. Diese Krankheit stellt den Erkrankten vor eine große Herausforderung und erfordert viel Stärke. Auch für Angehörige bedeutet sie Umstellung und Anpassung im Alltag, vor allem für Partner:innen. Im Laufe des Lebens ist ca. jeder achte Mann und jede vierte Frau von einer Depression betroffen. Hierbei fällt auf, dass Frauen zwei-bis dreimal häufiger an einer Depression erkranken. Allein in Deutschland erkranken 5,3 Mio. der Erwachsenen an der psychischen Krankheit.
Zum besseren Verständnis zeigt die Stiftung Deutsche Depressions Hilfe die Kriterien einer Depression auf. Hierbei wird unter Haupt- und Zusatzsymptomen unterschieden. Hauptsymptome sind: Verlust von Interesse und Freude, depressive Stimmung oder verminderter Antrieb. Zu Zusatzsymptomen zählen: verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, Suizidgedanken, Schlafstörungen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, Appetitminderung, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Beim Auftreten von mindestens zwei Hauptsymptomen, sowie zwei Zusatzsymptomen, die über mehr als zwei Wochen andauern, kann dies ein Hinweis auf eine depressive Erkrankung sein. Auf den ersten Blick sind die Symptome nicht sichtbar. Zudem haben viele Betroffene nicht den Mut, ihre Krankheit öffentlich zu machen, oder sich Hilfe zu holen.
Ist der Partner oder die Partnerin depressiv, ist der erste Impuls oft, zu helfen
Wenn diese Krankheit einen geliebten Menschen trifft, ist das meist zuerst ein Schock. Die häufigste Reaktion von den Liebsten ist dann der Drang zu helfen. „Ich helfe dir!“, war auch mein erster Gedanke, als mein damaliger Freund mir nach zwei Jahren Beziehung eines Abends mitteilte, dass es ihm wieder schlechter ging. Er bezog sich auf seine depressive Erkrankung im Alter von 16 Jahren, die er aber erfolgreich bekämpft hatte. Mir war seine damalige Erkrankung bekannt, weshalb sich mein Schock über sein „Geständnis“ in Grenzen hielt. Da wir oft über seine damalige Erkrankung gesprochen hatten und ich wusste, dass er sie überwunden hatte, war ich voller Hoffnung, dies wieder zu schaffen. Ich war positiv gestimmt und vermittelte ihm sofort, jede mögliche Hilfe anzubieten.
Mein Freund kümmerte sich auch direkt um einen Termin beim Psychiater, zu dem er dann regelmäßig gehen würde. Er war sichtlich motiviert, diese Krankheit erneut zu besiegen. Von da an besuchte er einmal die Woche eine Therapiesitzung. Zu diesem Zeitpunkt wären mir die Gedanken „Was bedeutet diese Krankheit für mich?“, „Komme ich damit klar?“ nicht in den Sinn gekommen. Obwohl ich deutlich merkte, dass sich unser Alltag veränderte, hinterfragte ich nicht, was die Krankheit für mich bedeuten würde.
Mein Freund ging weiterhin zur Arbeit, aber im Haushalt fehlte immer mehr seine Unterstützung. Irgendwann lag das Einkaufen nur noch bei mir und auch Arbeiten wie Aufräumen, Putzen und Kochen blieben an mir hängen. Wenn er nachts nicht schlafen konnte, und durch die Wohnung spazierte, wachte ich auch auf und ging müde zur Arbeit. Neben meiner Arbeit erledigte ich die gemeinsamen Aufgaben meist allein und versuchte dabei jederzeit ein offenes Ohr für ihn zu haben.
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Wir verbrachten viel Zeit mit Reden, meist über seine Gedanken und Gefühle. Ich versuchte mein Bestes, die starke Person für ihn zu sein, die ihn auffängt und sich jederzeit ihm annimmt. Meine Sorgen und Probleme rückten deutlich in den Hintergrund. Er war nicht aufnahmefähig, sich meinen Anliegen anzunehmen. Ich sagte mir immer wieder, dass er eben im Moment diese "Leistung" nicht erbringen konnte. Ganz deutlich wurde dies, als meine Oma starb und er keinerlei Anteilnahme zeigte, außer ein kurzes „Das tut mir leid.“ All das ließ mein Stresslevel dauerhaft steigen, aber ich wollte für uns beide stark sein, und ihm den Alltag so angenehm wie möglich gestalten. Auch wenn das hieß, oftmals alle Pläne umzuwerfen, oder komplett fallen zu lassen, weil er wieder einen dieser sehr schlechten Tage hatte und ich alles liegen ließ, um für ihn da zu sein.
Brauchen Partner:innen von Depressionserkrankten selbst Hilfe?
Eines Tages, als ich meinen Freund wieder einmal von seiner Sitzung abholte, nahm mich der Psychiater zur Seite und bot mir an, auch einmal eine Stunde bei ihm zu besuchen. Ich dachte zuerst an eine gemeinsame Sitzung mit meinem Freund, was er aber verneinte. Die Sitzung sollte nur mit mir sein. Mit einem verhaltenen Lächeln lehnte ich dankend ab. Wieso sollte ich zum Psychiater gehen? War doch nicht ich diejenige, die mit Depression zu kämpfen hatte. Auch mein Freund war der Meinung, dass dies übertrieben wäre. Obwohl ich es so unlogisch fand, brachte mich das kurze Gespräch immer wieder zum Grübeln. Jedoch ohne Ergebnis.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass die Depression meines Freundes deutlich mehr Auswirkungen auf mich und meinen Alltag hatte, als ich glauben wollte. Ich hatte alles so hingenommen, weil ich wusste, dass es ihm schlecht ging und er eben nicht fähig war, wie gewohnt weiterzumachen. Die hohe Belastung, mit seinen Problemen klarzukommen, aber auch meine eigenen noch nebenbei bewältigen zu müssen, überforderte mich zunehmend. Der Druck, für uns beide funktionieren zu müssen, stieg stetig an. Ich fühlte mich wie ein Akku, der seine ganze Ladung an den Anderen abgibt aber für sich selbst keine Kraft mehr übrig hat.
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Alles drehte sich nur noch um die Depression
Mich anderen anzuvertrauen kam mir zu diesem Zeitpunkt nicht ernsthaft in den Sinn. Ich hatte Angst, sie würden es nicht verstehen, oder mir raten, mich zu trennen. Dabei wusste ich, Trennung ist keine Option, denn ich war seine feste Stütze. Die einzige Person in seinem Umfeld, die über seinen Zustand Bescheid wusste. Ratschläge wie: „Die Krankheit muss dir nicht unangenehm sein.“, „Es ist überhaupt nicht schlimm, sich Hilfe zu holen“, nahm ich für mich selbst nicht an, obwohl ich genau diese Sätze so oft zu meinem Freund sagte. Ich versuchte alles mit mir selbst auszumachen, weil ich doch die Gesunde von uns war. Außerdem wäre es nur eine Frage der Zeit bis alles wieder beim Alten sei und die Krankheit verschwunden, redete ich mir voller Hoffnung ein.
Die Tatsache, dass mein Freund seine Sitzungen immer öfter schwänzte und die aufgetragenen Übungen aus den Sitzungen nicht mehr ausprobierte, verdrängte ich. Oder besser gesagt, es fiel mir nicht auf, da ich mich rund um die Uhr um ihn sorgte und gleichzeitig versuchte alle To-Do’s in unserem Leben zu erledigen. War mein Wille, die Krankheit zu überwinden, stärker geworden als seiner? Er zeigte zumindest kaum noch Eigeninitiative. Er verbrachte viel Zeit zu Hause, beteiligte sich überhaupt nicht mehr am Haushalt oder meinem Leben. Er redete stundenlang, ohne auf ein Ergebnis abzuzielen. So sehr ich für ihn da sein wollte, so sehr merkte ich, wie schlecht es mir ging.
Mir wurde bewusst, dass ich helfen wollte, aber überhaupt nichts machte, was wirklich half. Meine Bemühungen, ihn vom alltäglichen Stress zu entlasten, viel Mitgefühl und Verständnis aufzubringen, zeigten keinerlei Wirkung. Sein Zustand verschlechterte sich und ich war in ständiger Sorge um ihn. Dass Wille allein nicht reicht, wurde deutlich. Ich war heillos überfordert und unglücklich. Es war klar, dass ich nicht alleine den ganzen Weg für uns beide gehen konnte. Wenn ich nur noch für ihn lebe, wird es ihm nicht besser gehen. Er muss die Krankheit ernst nehmen.
Es mag egoistisch klingen, aber ich finde es wichtig zu merken, wann es an der Zeit ist auf sich selbst zu achten. Als ich auszog, fühlte ich mich wie der größte Egoist auf Erden. Im Nachhinein weiß ich, dass es für mich die Notbremse war.
Ich möchte anderen mit meiner Geschichte Mut machen. Depression und die schwierige Zeit, die sie mit sich bringt, kann gemeinsam gemeistert werden. Sich viel über die Krankheit zu informieren, hilft sehr, den Betroffenen besser zu verstehen. Sein Verhalten kann besser nachvollzogen werden. Aber nicht jeder Krankheitsverlauf ist gleich. Es ist ebenso wichtig, bei verletzendem Verhalten deutliche Grenzen zu ziehen und sich selbst nicht zu vergessen.
Es gilt: Du bist weder die Ursache der Depression, noch kannst du diese alleine heilen.
Ludwig Küster, PsychologeTweet
Hilfreiche Tipps für den Umgang mit einem depressiven Partner
- Sich über die Krankheit Depression informieren
Bücher, Podcasts und andere Informationsquellen klären gut über Depression auf. Zudem kann das Miteinbeziehen in den Behandlungsverlauf beim Psychotherapeuten realistische Erwartungen vermitteln und Klarheit schaffen.
- Die Verantwortung für die Depression trägst nicht du
Obwohl viel Hilfe von außen angeboten wird, muss dies keine Wirkung zeigen. Gefühle wie Ohnmacht und Hilflosigkeit können aufkommen.
- Bleib dir treu, bleib deine eigene Person
Es steht nicht in deiner Macht und es ist nicht deine Aufgabe eine Heilung herbeizurufen. Um Raum für schöne Erlebnisse zu schaffen, hilft ein klares Abgrenzen von therapeutischer Arbeit.
- Konkrete Unterstützung des Partners
Wertfreies Zuhören und das Zeigen von Mitgefühl kann verbinden und Kraft geben. Auch das Organisieren von externer Hilfe und positive Impulse zu setzen, kann helfen. Setze Grenzen, denn niemand verlangt, dass du jederzeit zuhören und wertfrei sein musst.
- Eigene Grenzen im Umgang mit dem Partner wahrnehmen und seine Energiequellen pflegen
Es ist keine Schande, dem Partner mitzuteilen, wenn du an deine Grenzen kommst und nicht mehr kannst. Sollte dein Partner im Zuge der Krankheit verletzendes oder inakzeptables Verhalten zeigen, ziehe ganz deutlich Grenzen.
Nur wenn du dich zuerst selbst schützt, kannst du auch deinem depressiven Partner helfen.
Ludwig Küster, PsychologeTweet
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