Bei Ramona Nicklaus (27) wurden als Jugendliche Depressionen diagnostiziert. Statt Verständnis und Hilfeleistung kamen aus ihrem Umfeld flapsige Sätze wie "Geh doch einfach mal ein bisschen mehr raus spazieren".
Ramona ist eine von rund fünf Millionen Deutschen, die an Depressionen leidet – eine der weltweit häufigsten Volkskrankheiten, denn etwa jede vierte Frau und jeder achte Mann ist im Laufe des Lebens von einer Depression betroffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man in seinem Leben entweder selbst, oder aber durch andere in Berührung mit der Krankheit kommt, ist also relativ hoch. Und trotzdem herrscht bei dem Thema, anders als bei anderen Erkrankungen, immer noch ganz schön viel Unwissen und Ratlosigkeit. Das weiß Ramona selbst.
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Seit sie Jugendliche ist, lebt sie mit depressiven Phasen. Angefangen haben die schon teilweise in der Grundschule, in der Oberschule wurde es dann schlimmer. "Durch den Druck in der Schule hat sich meine Stimmung arg verschlechtert, ich hab stark mit Suizidgedanken zu tun gehabt", meint Ramona. Als Depressionen konnte sie das damals noch nicht benennen, aber sie wusste, dass es ihr nicht gut ging. "Irgendwann waren meine Suizidgedanken dann so konkret, dass ich zu meinem Hausarzt gegangen bin und mit ihm darüber gesprochen habe. Und da wurde dann das erste Mal gesagt, dass ich Depressionen habe". Damals war Ramona 17 Jahre alt und seitdem lebt sie mit der Diagnose.
"Man fühlt sich selbst wahnsinnig wertlos und nichtsnützig"
Wie sich der Alltag mit Depressionen anfühlt, hängt davon ab, ob sie sich gerade in einer depressiven Phase befindet oder nicht. "Wenn man in einer depressiven Phase ist, dann ist alles sehr schwierig, es liegt irgendwie eine dicke Last auf der Brust. Jede Bewegung kostet wahnsinnig viel Kraft, jede Entscheidung, die es zu treffen gilt, ist unendlich schwierig und fühlt sich an als müsste man eine gefühlt unlösbare Aufgabe lösen. Und manchmal betrachtet man alles wie durch so einen Filter, es ist alles einfach grau und trostlos. Man fühlt sich selbst wahnsinnig wertlos und nichtsnützig. Man kriegt nichts auf die Reihe", erzählt Ramona, deren letzte depressive Phase jetzt gut eineinhalb Jahre her ist.
Traurigkeit und Depressionen sind zwei komplett unterschiedliche Gefühlszustände.
Ramona NicklausTweet
Das Umfeld reagierte mit Unverständnis
Aber während sie sich selbst damals von dieser Schwere wie erdrückt fühlte, war dieser Zustand für ihr Umfeld gar nicht wirklich greifbar. Als sie Freund:innen und Familie das erste Mal von ihrer Depression erzählte, waren die Reaktionen eher Unverständnis, Unwissenheit und Hilfslosigkeit – weil in ihrem Umfeld vorher noch nie jemand mit der Krankheit in Berührung gekommen war. "Da kamen dann Sätze wie: 'Das kennen wir von uns gar nicht, du bist doch so ein fröhlicher Mensch' oder 'Geh doch einfach mal ein bisschen mehr raus spazieren, dann wird das schon alles wieder'". Sätze, die zeigen, wieviel Ahnungslosigkeit bei dem Thema herrscht – denn Depressionen lassen sich nicht einfach wegspazieren. Dabei seien solche Sätze wahrscheinlich noch gut gemeint, sagt Ramona. Es gebe auch deutlich verletzendere. "Das Schlimme ist, wenn dir jemand sagt 'Du bist verrückt!' oder 'Guck dich doch mal um, anderen Leuten geht’s viel schlechter als dir'. Damit wird einem auch ein bisschen abgesprochen, dass man sich so fühlt und Depressionen auch eine ernsthafte Krankheit sind". Denn wer depressiv ist, ist nicht einfach nur traurig drauf. "Traurigkeit und Depression sind halt einfach zwei komplett unterschiedliche Gefühlszustände".
Sätze und Fragen, mit denen man Depressiven helfen kann
Stattdessen hätte Ramona sich andere Sätze aus ihrem Umfeld gewünscht. Sätze, die ihr signalisieren: Hey, ich nehme dich und deine Erkrankung ernst. Zum Beispiel:
- "Ich verlasse dich nicht"
- "Es ist okay, wenn du die Verabredung absagst oder mir nicht antwortest"
- "Ich höre dir zu"
- "Ich glaube dir"
- "Möchtest du umarmt werden?"
Wer depressiv ist, kämpft häufig auch mit einem stark verringerten Selbstwertgefühl und -vertrauen. "Man fühlt sich einfach extrem wertlos", spricht Ramona aus eigener Erfahrung. In solchen Phasen sei es schön, wenn man von seinem Gegenüber vermittelt bekomme: Du nervst mich nicht und du enttäuscht mich nicht und du bist kein schlechter Mensch, nur weil du dich so fühlst. "Manchmal ist es auch einfach schön, wenn die Person gegenüber vielleicht fragt, was man gerade braucht oder wie sie einem helfen kann. Wenn ich persönlich in so einer depressiven Phase bin, dann bin ich wahnsinnig schlecht darin, um Hilfe zu bitten. Ich gehe dann nicht auf Leute zu und sage: 'Ich brauch jetzt eine Umarmung'. Solche Botschaften kann ich dann gar nicht formulieren und dann ist es hilfreich, wenn das Gegenüber auf mich zukommt und sagt: 'Darf ich dich umarmen, ist das okay?' oder 'Wollen wir mal spazieren gehen?'. Es ist einfach schön, wenn der oder die andere das dann übernimmt.
Wenn sich jemand ein Bein bricht, ist das für viele okay und man bekommt Mitleid. Aber wenn man sagt: 'Hey, ich bin depressiv' oder: 'Heute geht’s mir echt scheiße und ich bin schlecht drauf' dann sind Hilflosigkeit oder flapsige Kommentare die Antwort"
Ramona NicklausTweet
Insgesamt wünscht sich Ramona, dass mit mehr Ernsthaftigkeit und Offenheit über Depressionen gesprochen würde. "Wenn sich jemand ein Bein bricht, ist das für viele okay und man bekommt Mitleid. Aber wenn man sagt: 'Hey, ich bin depressiv' oder: 'Heute geht’s mir echt scheiße und ich bin schlecht drauf' dann sind Hilflosigkeit oder flapsige Kommentare die Antwort". Manchmal teilt Ramona auf ihrem Blog oder ihrem Instagram-Kanal Gedanken über Depressionen. Anfangs tat sie das, um ihren Mut und ihr Selbstvertrauen zu bestärken. Später dann auch für andere: "Ich habe vielfach die Rückmeldung bekommen, dass ich entweder Menschen helfe, depressive Leute in ihrem Umfeld besser zu verstehen oder anders mit ihnen umzugehen. Oder dass Menschen, die selbst diese Erkrankung haben, erkennen, dass sie nicht allein sind. Dass es Menschen gibt, denen es genauso geht". Denn genau das hätte Ramona damals auch gebraucht: Eine Person, die ihr vermittelt hätte, dass es okay ist, sich so zu fühlen. Und dass die Krankheit niemanden zu einem schlechten Menschen macht.
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