Viele kennen die komische Seite von Nora Tschirner. Doch es gibt noch eine andere, über die sie bisher nie öffentlich sprach: Sie hatte Depressionen. Jetzt öffnet sich Nora im Emotion-Interview und erzählt von ihrer Krankheit – und ihrer neuen Serie.
Die neue Dramedy-Serie "The Mopes", was so viel wie "Die Trauerklöße" heißt, schafft etwas Unglaubliches: Sie holt die Depression aus der Tabuzone – und man darf darüber lachen. Nora Tschirner spielt als "Monika" die personifizierte Depression, die sich eines Nachts zu dem jungen, attraktiven Musiker Mat ins Bett legt und nicht mehr weggeht.
Emotion: Nora, ihr bringt Depression und Komödie zusammen. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Nora Tschirner: Das war die Idee unserer tollen Drehbuchautorin Ipek Zübert. Mir hätte es in den Hochphasen meiner Depression wahnsinnig gutgetan, so etwas zu sehen. Durch die Corona-Krise ist das Thema gerade allgegenwärtig. Wir können jetzt viele erreichen, und indem ich die Depression verkörpere, und wir sie sichtbar machen, nehmen wir ihr den Schrecken.
Die Kabarettisten Kurt Krömer und Torsten Sträter haben sich ebenfalls als betroffen geoutet. Du hast danach auf Instagram gepostet: "Winken aus dem Leben danach. Ist schön hier. #endthestigma". Was wünschst du dir?
Teil der Krankheit ist eine tiefe Hoffnungslosigkeit. Wenn wir das mit Scham deckeln, wird sie noch viel gefährlicher. Indem ich über meine Erfahrungen spreche, bleibt das Leben danach nicht diffus, sondern die Betroffenen sehen: Es gibt Leute, die haben das durch und denen geht’s gut! Ich möchte zu einer offenen Gesprächskultur beitragen. Dass sich die Zahl der Selbstmorde in den letzten Jahren halbiert hat, liegt an der zunehmenden Aufklärung.
Video-Tipp: Kurt Krömer und Torsten Sträter sprechen offen über ihre Depression.
Viele wissen gar nicht, ob sie "nur" in einer traurigen Phase stecken oder schon in der Depression. Wie findet man den Mut, sich Hilfe zu holen?
Die erste Hürde ist, sich selbst ernst zu nehmen und um Hilfe zu bitten. Das Beste ist, ehrlich zu sein: "Du, es hört sich vielleicht dumm an, und ich schäm mich, aber ich schaff es noch nicht, irgendwo anzurufen. Bitte hilf mir." Wenn die Leute in "The Mopes" sehen, in Deutschland sind fünf Millionen Menschen an Depressionen erkrankt, trauen sie sich hoffentlich den Gedanken zuzulassen: Vielleicht hab ich das auch.
Während deiner Depression hast du eine Premiere abgesagt, weil deine Therapeutin dich dazu ermutigt hatte.
Sie sagte: "Was soll schon passieren? Niemand wird es dir unverzeihlich übelnehmen. Probier es doch mal aus!" Dann wurde wegen mir die komplette Filmpremiere abgesagt. Das hat selbst meine Therapeutin schockiert. Aber passiert ist nix. Natürlich ist Aufwand entstanden, aber was bedeutet das im Verhältnis zur Gesundheit?
Jede:r muss für sich selbst herausfinden, wo die eigene Schmerzgrenze in Sachen Stress liegt – und möglichst drunter bleiben.
Nora TschirnerTweet
Inzwischen geht es dir wieder gut, du bist gesund. Was hat dir geholfen?
Bei mir waren es viele kleine Schritte. Aber wir müssen uns als Gesellschaft die Karten legen, wie wir diesbezüglich umstrukturieren können. Ich führe ja ein privilegiertes Leben, andere haben nicht so viele Stellschrauben. Ich habe meinen Arbeitsalltag entzerrt. Um mich selbst zu stärken, tue ich in stressigen Phasen vermehrt Dinge für mich, bin viel in der Natur, gehe zur Akupunktur, hänge mit Kindern, Tieren, Freund:innen rum. Jede:r muss für sich selbst herausfinden, wo die eigene Schmerzgrenze in Sachen Stress liegt – und möglichst drunter bleiben. Befreunde dich mit dir.
Interviewtage sind auch ein Marathon.
Ich versuche, sie mit Dingen zu füllen, die ich für wirklich relevant halte, dann stimmt meine innere Kosten-Nutzen-
Rechnung. Das hier ist ein Gespräch über etwas, was mir sehr wichtig ist, seit ich 16 bin. Schon damals hat es mich gewundert, dass das Thema psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft derartig totgeschwiegen wird. Deshalb freue ich mich, dass wir darüber reden.
TV-Tipp: Fünf Millionen leiden bei uns an Depressionen. In "The Mopes" ist Musiker Mat (Roel Dirven) einer von ihnen, seine Depression (verkörpert von Nora Tschirner) ist wie ein Schatten stets dabei! Die sechsteilige Serie von TNT Comedy und UFA Fiction läuft ab 11. Mai bei TNT Comedy
Triggern dich solche Gespräche nicht?
Wenn überhaupt, nicht wegen der Depression. Es ist grundsätzlich nicht ohne, sich der Öffentlichkeit zu stellen. Trigger ist eher, sich als privater Mensch mit der Flüstertüte hinzustellen und in eine quasi anonyme Masse zu rufen: "Hört mal alle her!". Aber hier überwiegt klar der Nutzen. Ich schäme mich nicht, dass Leute das über mich wissen, auch wenn es mich natürlich in den Augen mancher angreifbar macht. Wenn das auch nur einer Person hilft, weniger Scham zu empfinden, oder einem Angehörigen, mehr Einsicht zu bekommen, war es die ganze Sache wert. Ich war in einer Klinik, habe ein Jahr lang Psychopharmaka bekommen, die mir extrem geholfen haben, mich zu stabilisieren. Ohne wäre es schwer geworden. Ich bin ein Fan von Notaufnahmen und Kliniken! Wäre ich nicht in den Jahren danach zu meiner Heilpraktikerin gegangen, die mir Selbstfürsorge beigebracht hat, wäre es trotzdem schwer geworden.
Mental Health ist kein Luxusproblem mehr.
Nora TschirnerTweet
In "The Mopes" versucht Mat seine Depression loszuwerden, indem er Bestätigung durch Likes im Netz sucht. Wie stehst du zu den sozialen Medien?
Ich habe viel nachgedacht, wie ich dort stattfinden möchte. Facebook nutze ich nicht mehr, weil ich den Ton nicht mag. Bei Instagram musste ich erst mal gucken, was mir guttut und was nicht. Ich verstehe mich dort als kleine Kulturzeitschrift, in der ich gesellschaftliche Themen vorstelle, die mir wichtig sind.
Hat Corona dein Leben verändert?
Tatsächlich kaum, weil ich mein Leben schon in den vergangenen zehn Jahren so umgestellt hatte, dass ich ganz viel Zeit in der Natur verbringe, mit Menschen, die mir nah sind. Es ist ein großes Privileg, dass ich nicht für einen Nine-to-five-Job in die Stadt fahren muss.
Bei vielen wirkt der Lockdown wie ein Katalysator für Ängste.
Ja, aber das zwingt uns, endlich darüber zu sprechen. Depressionen spielen jetzt nicht mehr in den kleinen Clubs. Das Thema ist Mainstream geworden. Ich habe schon nach dem ersten Lockdown gesagt, dass es bald zu einer großen Welt-Emotions-Krise kommen wird. Viele Leute haben kein Gefühlsmanagement gelernt, wenn sich dazu Misstrauen in die Politik gesellt, knallt es.
Du meinst die Querdenker-Demos?
Es ist extrem schnell extrem gruselig geworden. Aber wer nicht gelernt hat, über seine Gefühle zu sprechen, den überfordert seine Angst komplett – und es wird verzweifelt nach den Schuldigen gesucht. Wir leben in einer Fingerzeig-Kultur, das bricht uns gerade das Genick. Trotzdem bleibe ich optimistisch. In der Politik beschäftigt man sich plötzlich auch mit dem Emotionshaushalt des Landes. Wir können nicht nur über Sicherheit und Wirtschaft reden. Mental Health ist kein Luxusproblem mehr. Wir müssen jetzt eine Gesellschaft bauen, die das Zwischenmenschliche wieder aufleben lässt.
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