Emilia Roig hat's ausprobiert: heiraten, Baby, Hetero-Liebe. Ein Fehler, den die Autorin auf keinen Fall wiederholen will. Für Frauen gibt es nämlich nichts zu gewinnen, erklärt sie in ihrem Buch "Das Ende der Ehe" – und in diesem Text.
Mein Hochzeitstag vor zehn Jahren war einer der schönsten Tage meines Lebens. Alle Menschen, die ich liebe, waren da. Meine Freund:innen aus aller Welt, meine Großeltern aus Martinique, der Rest der Großfamilie war aus unterschiedlichen französischen Kleinstädten angereist. Ich fühlte mich von Anerkennung, Respekt und Bewunderung umgeben. Als würde ich an diesem Tag einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leisten, indem ich eine uralte Tradition fortführe und den wichtigsten Schritt ins Erwachsenenleben gehe.
Doch als sich die letzten Gäste verabschiedet hatten und ich langsam aus meiner Glückswolke wieder in der Realität angekommen war, fiel ich in ein Depressionsloch. Der plötzliche Stimmungswechsel traf mich unvorbereitet, ich war verunsichert. Sollte ich jetzt nicht nur glücklich sein? Diese Post-Hochzeitsdepression dauerte über ein halbes Jahr, bis ich mit meinem ersten Kind schwanger wurde. Ich konnte nicht begreifen und akzeptieren, dass es mir so schlecht ging.
Ehe – die Bestimmung der Frau?
Dabei hatte ich tief im Inneren schon lange gewusst, dass die Ehe nichts für mich ist. Ich habe trotzdem geheiratet, weil ich von klein auf mit der Einstellung sozialisiert wurde, dass Ehe und Kinderkriegen unumstößlich zur Bestimmung einer Frau gehören. Mir wurde ein einziges Bild von Familie vor Augen geführt: die heterosexuelle, monogame Kernfamilie mit verheirateten Eltern und ihrem Nachwuchs. Dazu gab es keine Alternative. Schon als kleines Mädchen habe ich verstanden: Frauen, die unverheiratet sind und keine Kinder haben, sind weniger wert als solche, die beides haben. Wo habe ich das gelernt? Wer hat mir das beigebracht?
Die Ehe zu kritisieren macht unbeliebt. Aber wer das Patriarchat verstehen will, muss mit der Ehe anfangen. Sie ist die wichtigste Säule der patriarchalen Ordnung und deshalb unantastbar. Die Ehe ist mit schuld daran, dass Frauen in allen Sphären der Macht bis heute unterrepräsentiert sind. Noch bis 1977 konnten Ehemänner ihren Frauen verbieten, einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Die Folgen sind bis heute spürbar. Frauen müssen mehr um Schlüsselpositionen kämpfen, vom Gender Pay Gap ganz zu schweigen. Auch bei der Care-Arbeit herrscht massive Ungerechtigkeit: Kindererziehung und Hausarbeit werden immer noch mehr von Frauen erledigt als von Männern. Arbeit, die unbezahlt ist, mit der sich kein Vermögen aufbauen lässt. Um materielle Sicherheit zu bekommen, müssen Frauen dann heiraten. In der Ehe sind sie steuerlich deutlich schlechter gestellt als ihre Partner; und auch das Ehegattensplitting kommt den Männern zugute, sofern sie mehr verdienen – was sie meist tun.
Das Private ist politisch
Auch wenn Frauen individuell das Gefühl haben, dass sie dem Patriarchat entkommen können und nicht darin gefangen seien, sind wir alle Teil des Systems. Wir glauben, unsere Liebe sei eine individuelle Angelegenheit, losgelöst von gesellschaftlichen Mustern. "Das mag alles passieren, aber nicht bei mir, mein Mann ist anders." Solche Sätze höre ich oft, wenn ich mich mit heterosexuell gebundenen Frauen über das Patriarchat unterhalte. Doch was in unseren Intim-Leben geschieht, ist politisch, nicht nur individuell. Die Ehe geht weit über die Paarbeziehung hinaus: Sie strukturiert den Staat, die Nation, die Religion, die Wirtschaft, die Kultur. Demnach können wir die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit nicht lösen, ohne die Rolle der Ehe zu hinterfragen. Benötigen wir diese Institution, die Liebe, Beziehungen und Familien normiert? Müssen Partnerschaften unbedingt eingetragen, sanktioniert und staatlich anerkannt werden?
Ich möchte keinesfalls allen Frauen unterstellen, dass sie in ihrer Ehe unglücklich, ausgebeutet und unterdrückt sind, es sich aber nicht eingestehen wollen. Es gibt tatsächlich viele glücklich verheiratete Frauen. Liebe, Engagement, Fürsorge, und Geborgenheit sind schöne Dinge, die in einer Ehe entstehen können. Doch diese Emotionen können auch ohne Heiratsurkunde existieren. Liebe und Familienbindungen würden die Abschaffung der Institution Ehe überleben.
Danach müsste sich allerdings rechtlich einiges ändern. Wir bräuchten etwa eine feministische Steuer, die die Schieflage bei der Care-Arbeit auffängt: Wer die Sorge-Arbeit übernimmt, erhält einen finanziellen Ausgleich. Wenn die Frau alles macht, sollte sie die Hälfte des Einkommens des Partners bekommen. So entstünde nicht mehr der Eindruck, dass Care- Arbeit naturgemäß von der Frau geleistet wird und selbstverständlich gratis ist.
Heiraten? Nie wieder!
Ich bin mittlerweile geschieden und in einer Beziehung mit einer Frau. Mein Ex- Mann und ich kümmern uns gleichberechtigt um unseren Sohn. Ich fühle mich freier, seit ich nicht mehr verheiratet bin, weniger erschöpft. Früher habe ich neben meinem Fulltime-Job den Großteil der Care-Arbeit geleistet. Mein Mann und ich hatten die Rollenverteilungen unserer Eltern übernommen, die patriarchalen Strukturen wiederholt.
Zugegeben: Manchmal träume ich zwar von einer queeren Hochzeit, ich bin eben auch Romantikerin. Aber dann denke ich gleich: Unsere Liebe mit einer Party feiern – ja. Aber heiraten? Nie wieder.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 4/23.
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