Schauspielerin Mala Emde, 25, ist auch krass entschieden. Warum? Weil sie überzeugt ist: Wir können die Welt verändern!
Ach, ich wünschte, ihr könntet das Interview mit Sound lesen. Dann würdet ihr Mala Emdes Lachen hören – und das ziemlich oft. Dabei ist die 25-Jährige gerade für ihre ernsten Rollen bekannt. Mit 18 gelang ihr gleich mit der ersten Hauptrolle als Anne Frank der Durchbruch. Es ist Samstag, ich sitze zu Hause in Hamburg, Mala in Basel. Sie beschreibt, was auf dem Marktplatz los ist, den sie vom Fenster aus sieht, und fragt nach der Fisch-Deko bei mir im Hintergrund. Wer sagt, Nähe und Unmittelbarkeit sei mit Videocalls unmöglich, möge mal Mala Emde anrufen.
Mala Emde, die am 22. April 25 geworden ist, stand mit elf Jahren zum ersten Mal vor der Kamera. Sie hat schon früh Stoffe mit einer politischen Dimension ausgesucht.
EMOTION: Auf Instagram zitierst du Anne Frank: „How wonderful it is that nobody need wait a single moment before starting to improve the world.“ Was bedeutet dir das?
Mala Emde: Es gibt doch diesen Song „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist, es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“. Ich finde, da ist was Wahres dran. Ich verstehe es als unsere Aufgabe, etwas in der Welt zu verändern. Das zweite Prinzip, nach dem ich lebe, ist die Gegenwart. Früher hing ich viel stärker in der Vergangenheit und Zukunft fest, hab hinterfragt, mir Sorgen gemacht ... Dabei ist der Moment, in dem ich immer was ändern kann, jetzt.
Wie bist du dahin gekommen?
Ich habe einfach gemerkt, wenn ich von Dingen nicht nur träume, sondern sie anpacke, bringt mir das viel mehr Freude im Leben. Aber diese Erkenntnis kommt auch aus einer krassen Wut heraus, weil ich finde, dass ganz schön viel nicht okay läuft.
Im Film „Und morgen die ganze Welt“ spielst du Luisa, eine Jurastudentin aus der linken Szene. Alarmiert durch den Rechtsruck in Deutschland, radikalisiert sie sich immer mehr. Ist diese Wut ein Gefühl, das euch verbindet?
Luisa hat mich das Wütendsein erst gelehrt. Mir als Frau wurde beigebracht, auf Extremsituationen mit Traurigkeit zu reagieren. Dabei ist Wut eine Energie, die nach vorne geht.
Was macht dich wütend?
Dass sofort auch die linke Szene angegriffen wird, wenn in der Politik gesagt wird, man muss etwas gegen rechts unternehmen. Da stimmt die Verhältnismäßigkeit nicht; auch wenn ich gegen Gewalt bin und nicht mit allen Aktionen übereinstimme. Antifaschismus bedeutet vom Begriff her: Wir sind gegen Faschisten. Das sollte doch das Ziel sein.
Wenn ich schon die Aufmerksamkeit bekomme, dann muss ich sie auch nutzen.
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Wir leben heute damit, dass die AfD in Parlamenten sitzt, haben die Anschläge von Halle und Hanau erlebt und Reichsflaggen vor dem Bundestag. Hat die Arbeit an dem Film deinen Blick auf Deutschland verändert?
Ein Bewusstsein dafür hatte ich schon immer. Aber der Dreh hat mein kritisches Denken noch geschärft. Ich vermisse ein klares Statement, welche Gefahr von rechts ausgeht. Die AfD hat Kultusministerien angegriffen und ihnen gedroht, weil sie einen Film wie unseren mitfinanzieren wollten. Das passiert gerade bei uns! Ich habe durch den Film auf jeden Fall noch mehr die Angst verloren, Position zu beziehen. Und ich habe auch verstanden, dass egal wie aware ich bin, ich immer weiß aware bin.
Du warst von Anfang an ziemlich erfolgreich. Hast du dir irgendwann mal überlegt, ob es klug ist, sich so deutlich zu äußern?
Wenn ich schon die Aufmerksamkeit bekomme, dann muss ich sie auch nutzen. Es gibt einfach Themen wie Rassismus und Global Warming, für die ich gerne mein Gesicht hinhalte, wo ich einfach sage: Nein! Da kann man mich auch gerne für angreifen.
Keine Angst vor Kontroversen?
Früher hatte ich das. Da habe ich auch mit hoher Stimme geredet, weil ich dachte, als Frau müsse man freundlich sein, damit man bekommt, was man will. Mache ich nicht mehr, habe ich kein Bock drauf. Ich habe das Gefühl, ich lerne erst, mich richtig zu streiten, und gerade genieße ich es, dass wir zwei Menschen sind, die miteinander diskutieren könnten.
Kannst du Streit aushalten?
Brecht hat gesagt: Es geht weder um dich noch um mich, es geht um die Sache. Ich finde das klug, weil es davon weggeht, recht zu haben und Dinge persönlich zu nehmen. Ein Freund von mir nannte das neulich: sich in der Unsicherheit und im Ungewissen behaglich fühlen. Wir streben alle nach einem Sicherheitsgefühl. Recht zu haben heißt auch nur, ich bestätige mich in meinen vier Wänden. Dabei wäre ein cooles Ziel, sich im Unsicheren und Unbekannten sicherer zu fühlen.
Ist Unsicherheit das große gesellschaftliche Problem?
Ja. Und ich glaube, Covid hat das noch mal verstärkt. Wir le- ben in dieser komplexen, globalisierten Welt und sehnen uns nach Freiheit und gleichzeitig nach Sicherheit. Nationalismus bietet nicht nur vermeintlich einfache Lösungen dafür, er ist leider außerdem eine Geschichte, die wir kennen, wir wissen, wie sie funktioniert.
Was hilft dagegen?
Ich habe gerade „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay gelesen. Sie sagt, wir dürfen den Diskurs von den Populist:innen nicht weiter nach rechts ziehen lassen. Wir müssen klar sagen: Wir sind die Mitte! Eure Mitte ist keine Mitte. Man muss auch Fragen stellen: Was ist deine Angst? Vielleicht fühlen wir uns sogar ähnlich in unseren Ängsten, aber ich zeig dir meine Alternative. Lass mich dir erklären, wie ich das sehe. Diese Gespräche müsste man viel häufiger hinbekommen.
Ich möchte keine überholten Frauenbilder reproduzieren.
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Auch deine Rollen sind oft politisch. Egal, ob Anne Frank, die Anni in „Charité“ oder der „Tatort“, in dem du eine Salafistin gespielt hast. Gibt es da eine Linie?
Jemand hat mal geschrieben, ich würde ein heimliches Politikwissenschaftsstudium mit der Schauspielerei betreiben (lacht). Ich suche mir die Rollen schon so aus. Ich habe keine Lust, dass es da um mich geht, als Frau, die nur schön aussieht. Film hat eine krasse Kraft, die will ich nutzen.
Wie meinst du das?
Ich möchte keine überholten Frauenbilder reproduzieren. Wenn ich mir einen Superhelden vorstelle, sehe ich immer noch einen Mann. Mehr Filme von Superheld:innen würden das ändern. Deshalb ist die Debatte um #ActOut auch so gut (Anm. d. Red: die Aktion, bei der sich 185 Schauspieler:innen geoutet haben, act-out.org). Weil man schon durchs Casting die Möglichkeit hat, Seh- oder Denkgewohnheiten zu ändern. Das ist doch das Schönste, wenn der Film nicht im Film bleibt, sondern uns in der Realität streift.
Woher kommt deine Ernsthaftigkeit?
Ich habe einfach so eine alte Omi in mir sitzen (lacht), schon seit ich sehr klein war. Die nervt mich auch manchmal. Ich möchte auch mal allein sein oder ihr zumindest sagen: Könntest du mal ruhig sein! Aber ich lieb die schon auch.
Wie ist die Omi da hingekommen?
Meine Eltern haben mir gezeigt, dass sie mich ernst nehmen, schon als Kind. Ich wurde dazu angeregt, mir eine Meinung zu bilden. Dieser Tropfen Weltschmerz, den ich in mir trage, ist sicher auch Veranlagung. Aber ich mache auch gerne Quatsch.
Wie sieht das dann aus?
Ich kann mich sehr gut nicht ernst nehmen.
Denkt man jetzt nicht.
Ja, weil ich diesen starken Kiefer habe, und weil ich mir so viele Gedanken mache (lacht). Ich kann mich aber in voller Liebe über die Lächerlichkeit des Menschseins lustig machen und wie verzweifelt wir sind. Aber vor einem Jahr hätte ich wahrscheinlich noch anders geredet.
Es war ungewohnt, einfach nur Mala zu sein, nicht Schauspielerin Mala.
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Warum?
Im letzten Jahr habe ich ganz wenig gearbeitet. Ich habe mich schon sehr über die Schauspielerei definiert. Ich musste mich an die Leichtigkeit und dieses Jungsein wieder erinnern. Am Anfang war mir das total unangenehm, selbst vor meinen besten Freund:innen zu sagen: „Ich mache gerade nichts.“ Dabei meine ich mit nichts, nicht mal nichts. Langeweile kenn ich nicht. Aber es war ungewohnt, einfach nur Mala zu sein, nicht Schauspielerin Mala.
Was machst du denn den Tag so?
Das klingt jetzt schlimm: Ich habe Brot gebacken, gemalt, viel geschrieben, um meine Gedanken zu sortieren, aber ich habe mich auch an Kurzgeschichten und kleinen Drehbüchern versucht und übe mich in Lyrik. Und ich habe angefangen, Klavier zu spielen und Spanisch zu lernen.
Klingt nach Programm. Und nach Sinnsuche.
Ich habe einfach Lust, noch mehr zu lernen. Vielleicht sogar noch mal was studieren. Und die Frage nach dem Sinn stelle ich mir zum Glück nicht so viel. Die führt nur zu Verzweiflung. Ich kann halt versuchen, so viel wie es geht, das Gute in der Welt zu increasen.
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