Franka Potentes Langfilm-Regiedebüt "Home" startet in den Kinos – ein guter Anlass, sie zu fragen, was für sie eigentlich Zuhause bedeutet! Mit welchen Gefühlen sie das verbindet und wie viel Westfalen in ihrem Film steckt, hat sie uns im Video-Interview verraten.
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EMOTION: Franka, dein Film "Home" hat es in die Vorauswahl des Deutschen Filmpreises geschafft, herzlichen Glückwunsch!
Franka Potente: Danke schön!
Du hast sowohl das Drehbuch geschrieben als auch Regie geführt, und es ist das erste Mal, dass du bei einem Langfilm Regie geführt hast. Warum genau jetzt und warum genau dieser Film?
Ich glaube, es gibt nicht immer nur einen Grund dafür, und ein Film wählt sich auch nur bedingt den Zeitpunkt selber. Da kommen Förderung, Besetzung und andere Umstände hinzu. Also mir ging das überhaupt alles gar nicht schnell genug! Ich bin ein total ungeduldiger Mensch, ich hätte gerne schon ein Jahr früher gedreht.
Ich habe vor zwölf Jahren mal bei einem Kurzfilm Regie gemacht und eigentlich verstehe ich im Nachhinein gar nicht, dass ich damit nicht gleich weitergemacht habe, weil mir das damals schon total viel Spaß gemacht hat. Ich hatte einfach als Schauspielerin viel zu tun, ich war jünger. Mittlerweile schreibe ich viele Drehbücher, auch in der Pandemie habe ich viel geschrieben, und ich habe Kids, das Leben ist ein bisschen anders und es hat da so reingepasst. Wir haben 2019 gedreht und dann ist der Film direkt zur Pandemie fertig geworden. Ich weiß noch, ich bin hin- und hergeflogen zwischen Berlin und Los Angeles und es ging schon los mit diesem Virus. Wir hatten da im Schneideraum die Zeitung liegen und dachten: Was ist das denn? Und plötzlich war dann alles vorbei. Du willst natürlich nicht, dass dein Film gerade dann fertig ist, wenn die Welt zumacht. Wir liefen in Rom auf dem Filmfestival, in San Francisco, wir laufen in Shanghai... Und da wäre ich gerne auch persönlich anwesend. Aber das ist jetzt alles virtuell und das ist schon schade.
Toller Aufhänger! Da muss man zu Hause bleiben – der Film heißt "Home". Dein Zuhause ist seit Jahren Kalifornien und auch der Film spielt dort. Worauf bezieht sich der Filmtitel, was ist "Home" in diesem Fall?
Die Hauptfigur Marvin Hacks war 17 Jahre im Gefängnis, er hat als Jugendlicher eine alte Frau umgebracht bei sich im kleinen Ort. Und dann kehrt er dahin zurück und der Film fängt genau dort an. Er versucht, anzuknüpfen, wo er aufgehört hat, und merkt: Es geht eigentlich gar nicht. Obwohl er ja offiziell seine Sühne getan hat, gibt es noch mal eine andere Schuldfrage, die in der Gemeinde geklärt wird. Es gibt die Verwandten des Opfers, alte Freunde, seine Mutter, die alle irgendwie verwoben sind mit dem Mord. Und das ist nicht so einfach. So ein Ort ist "Home".
Marvins Zuhause hat sich in der Zeit, in der er weg war, verändert – er selbst weniger, hat vieles von der Außenwelt nicht mitbekommen. Insofern ist "Home" für ihn vielleicht nicht nur ein konkreter Ort, sondern auch dieser Sehnsuchtsort von früher und dieses Gefühl, das er von damals hat. Denkst du das auch?
Klar! Und das wird teilweise auch bestätigt. Er trifft seinen alten Freund Wade wieder, der damals dabei war, als der Mord passiert ist, und der ist mittlerweile ein Schatten seiner selbst. Da kann Marvin aber ganz gut anknüpfen – bis es dann irgendwann nicht mehr funktioniert. Er versucht das mit seiner Mutter auch. Man kennt das ja – vielleicht geht dir das auch so – man ist weggezogen von zu Hause, wegen der Uni, und dann fährt man Weihnachten nach Hause und sieht alte Freunde in der einen Kneipe oder es gibt ein 20-jähriges Jubiläum. Da ist man doch oft überrascht, nicht nur, wie viel gleichgeblieben ist, sondern auch wie schnell man eigentlich doch an früher anknüpfen kann, weil es eine intensive Zeit war. Das ist schon irre! Es ist dieses Heiß-Kalte, das ich auch versucht habe, in dem Film zu treffen, und was sich auch in Marvin widerspiegelt. Er hat etwas ganz Junges, aber dann ist er natürlich auch ein totaler Mann. Er ist die Definition einer Männlichkeit, die gleichzeitig aber auch etwas ganz Verletzliches hat, weil man ihn da ja gar nicht haben will.
Was ist "Home" für dich?
Für mich ist es so, dass es eigentlich zwei "Homes" gibt. Es gibt einmal Deutschland als Ort, der mich und meine Arbeit geprägt hat und der ein emotionales Zuhause ist. Und dann gibt es den Ort hier, wo jetzt meine Familie, meine Kinder sind. "Home" ist, ähnlich wie in meinem Film, idealerweise der Ort, wo man man selbst sein kann, wo man wachsen, seine Ziele erreichen und Fehler machen kann. Und so ist das auch für Marvin. Ich fand es interessant, einem Antihelden, der Schuld auf sich geladen hat, der ein Mörder ist, zuzugestehen, dass er sagen darf: Das ist aber trotzdem mein Zuhause und ich will da jetzt wieder hin zurück.
In der deutschen Sprache gibt es zwei Begriffe: Zuhause und Heimat. In der englischen Sprache gibt es nur den einen: "Home". Vereint das Wort für dich diese beiden Begriffe oder wie definierst du das?
Das ist für jeden ganz subjektiv, glaube ich, und für mich gibt es beide Komponenten. Wo ich jetzt lebe, ist für mich sowohl Zuhause als auch Heimat. Aber es gibt eine Vergangenheit, es gibt Wurzeln, ich würde es meine nostalgische Heimat nennen, die mich sehr geprägt hat. Wenn ich heute einen Film mache, als 46-Jährige, dann ist da ein ganzer Teil Deutschland mit drin – obwohl das auch hoffentlich eine sehr authentisch amerikanische Geschichte ist. Da ist man wieder an diesem Totschlagargument: Hesse hat "Siddhartha" geschrieben und war nie in Indien. Das kann funktionieren, denn bestimmte Orte lassen sich nicht darüber definieren, wie sie aussehen, sondern über Gefühle. Und weil es auch Universalitäten gibt, hier und dort.
Egal wo man herkommt, man kann ein Gefühl treffen, das auch woanders wahr ist in dem Moment.
Franke Potente im EMOTION-InterVIEWTweet
Du sprachst gerade davon, dass ein ganzer Teil deiner nostalgischen Heimat im Film ist. Ein Teil des Soundtracks kommt von den Donots, einer Band aus Ibbenbüren in Nordrhein-Westfalen. Du kommst ursprünglich auch aus der Ecke, ne?
Ja!
Hast du das bewusst da reingesteckt?
Wir haben noch nach zwei, drei Musikstücken gesucht, die ein bisschen dieses Skatermäßige wiedergeben, und meine Ausstatterin ist befreundet mit den Donots. Sie sagte: "Kennst du die Donots eigentlich?" Und ich dachte, das könnte ganz gut hinhauen! Ich fand es ganz schön, so einen Hybrid, so wie ich auch einer bin, in den Film reinzubringen. Da ist ein Feeling entstanden, in Westfalen bei dieser Band – und das funktioniert. Ich kann das so implementieren in meinen Film und das ist wie aus einem Guss. Das ist genau das, worüber wir gerade gesprochen haben: dass, egal wo man herkommt, man ein Gefühl treffen kann, das auch woanders wahr ist in dem Moment.
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Der Protagonist war 17 Jahre im Gefängnis, es geht also auch viel um den Verlauf des Lebens, um Vergangenheit, Erwartungen, Stillstand und Veränderung. Hättest du noch vor 17 Jahren gedacht, dass du mal da sein würdest, wo du jetzt bist?
Ich muss mal gerade kurz überlegen, wie alt ich war vor 17 Jahren! Nee, ich glaube, ich hatte gar nicht so Erwartungen, ehrlich gesagt. Ich war da 29 und da hatte ich schon mehr erreicht als ich gedacht hätte. Ich hatte Filme gedreht. Eigentlich hatte ich gedacht: Wenn ich es jemals auf die Schauspielschule schaffe, kann ich vielleicht an einem kleinen Theater spielen. Das wäre auch super gewesen. Von daher, wenn mir mit 29 jemand gesagt hätte, du hast zwei Kinder und lebst in Kalifornien, hätte ich gedacht: Ah ja, gut.
Ich finde es spannend, mal über so eine Zeitspanne zurückzuschauen und zu gucken, was dachte man eigentlich, wo man stehen würde...
Ich beneide immer Leute, die sagen können: "Mensch, 1986, da war ich im Juli…" Und die genau wissen, was dann los war. Ich kann das überhaupt nicht und finde das bewundernswert. Man sagt immer, wenn man Kinder hat, verschwimmt alles davor, weil das so anstrengend ist und man so wenig schläft… Da hat man wirklich so Jason-Bourne-mäßig Amnesie. Das stimmt auch, aber ich bin da ganz komisch, ich habe zwar auch lustige Erinnerungen und die erzähle ich auch gerne, aber eigentlich interessiert mich immer mehr das Hier und Jetzt, und so das Nächstliegende finde ich am spannendsten. Wenn ich zum Beispiel einen Film gemacht oder ein Drehbuch geschrieben habe, dann ist das fertig, dann interessiert mich das ein Stück weit nicht mehr. Dann wende ich mich dem Nächsten zu, ganz pragmatisch.
Was für einem Projekt wendest du dich denn jetzt zu?
Ich habe schon das nächste Drehbuch angefangen und es gibt ein paar Sachen für Regie, wo ich mal gucke, was daraus wird. Das geht alles nicht so schnell wie ich es gern hätte. Wir kommen ja auch erst ganz langsam aus der Pandemie heraus. Und im Moment fühlt es sich so an, als wenn man erst so ganz langsam aus einem Loch herauskrabbelt.
Dir ganz viel Erfolg für den Film und für deine weiteren Projekte. Alles Gute und vielen, vielen Dank für das Gespräch!
Ich bedanke mich auch, vielen Dank!
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