Mist, mal wieder "Kein Problem, mach ich!" gesagt, als im Job ein zeitraubendes To-Do verteilt wurde? Und damit jegliche Selfcare über Bord geworfen. Wie du es schaffst, Nein zu anderen und Ja zu dir zu sagen, erklärt Entscheidungs-Coach Sarah Momoh.
Frau Momoh, ist es eigentlich ein typisch weibliches Problem, nicht Nein sagen zu können?
Ja, ich nenne es das Good-Girl-Syndrom. Dabei spielt ganz oft das Bedürfnis eine Rolle, es allen anderen recht zu machen, die Erwartung Dritter zu erfüllen. Aber es ist wichtig, sich klarzumachen: Ein Ja zum Außen bedeutet oft ein Nein zu uns selbst.
Inwiefern?
Wir sollten mehr in uns hineinhorchen: Was will ich eigentlich? Wir müssen lernen, uns selbst in den Mittelpunkt zu stellen, uns für uns selbst zu entscheiden. Das bedeutet, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, nicht zu reagieren, sondern selbstbestimmt zu agieren. Oft mangelt es dafür an Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Wer weiß, was er sich wert ist, setzt mit einem Nein klare Grenzen.
Was hindert uns daran, Nein (oder auch Ja) zu jemandem oder etwas zu sagen?
Wenn wir eine Entscheidung treffen müssen, kreisen wir in Gedanken um unsere Optionen und wägen ab: Soll ich dies machen oder das oder vielleicht doch besser jenes? Dadurch geraten wir in ein Gedankenkarussell. Die Gedanken kreisen immer wieder um die gleichen Fragen. Es ist, wie an einer unbekannten Wegkreuzung zu stehen und darüber nachzudenken, welcher Weg der richtige ist. Da kommt schnell Unsicherheit auf. Es ist unklar, was mich auf dem jeweiligen Weg erwartet, also fange ich an zu konstruieren, welche Hindernisse mich erwarten könnten. Das Problem: Es hemmt, überhaupt loszugehen.
Was brauchen wir, um uns entscheiden zu können?
Um eine gute Entscheidung zu treffen, ist das Entscheidende, sich erst mal über das Ziel bewusst zu werden: Wer bin ich heute, wer möchte ich morgen sein? Wofür stehe ich? Was möchte ich eigentlich er reichen, wo will ich hin? Denn wenn das Ziel klar ist, ist auch viel deutlicher, welche Option die richtige ist. Nach diesem inneren Klärungsprozess können wir bessere Entscheidungen treffen.
Wir haben die Qual der Wahl …
Konzentriere ich mich auf die möglichen negativen Aspekte einer Entscheidung, macht mir das Angst und löst Blockaden in mir aus. Aber die Wahl zu haben, ist Ausdruck der Freiheit, die wir haben. Diese Freiheit anzunehmen, schafft ganz viele Möglichkeiten. Ja oder Nein sagen zu können, ist eine Form der Selbstbestimmung, ein Geschenk. Ich sage immer: Entscheidungen können unser Leben drastisch verändern. Und richtige Entscheidungen verbessern das Leben. Als Theologin glaube ich an die Schöpferkraft jedes Einzelnen. Wir alle können in unserem Leben etwas bewirken – Entscheidungen sind genau der Hebel dafür.
Braucht es Mut, um sich für ein Nein zu entscheiden?
Unbedingt! Weil wir dadurch mitunter Menschen enttäuschen, ihre Erwartungen nicht erfüllen. Deswegen ist es so wichtig, genau zu wissen, warum wir das tun – umso leichter fällt es uns, standhaft ein Nein auszusprechen.
Wie formuliert man denn ein Nein?
Ein Nein ist ein Nein. Die Königsklasse ist es, das Nein einfach stehen zu lassen. Haben wir uns für ein Nein entschieden, fangen wir in der Regel an, uns zu erklären und zu rechtfertigen. Am effektivsten ist: Nein. Punkt. Ende. Im zweiten Schritt, in der Auseinandersetzung, kann ich meine Gründe dafür erläutern. Aber es ist wichtig, das Nein damit nicht abzuschwächen, sondern argumentativ eine klare Position zu beziehen. Entscheidungen sind Positionierungen, man entscheidet sich für etwas und damit gegen etwas.
Wie können wir das mithilfe unserer Körpersprache unterstützen?
Im Coaching erlebe ich oft, dass Menschen sich verbiegen. Sie versuchen, den Erwartungen Dritter gerecht zu werden. Mein Rat: Mach dich im wahrsten Sinne des Wortes gerade! Denn es geht nicht darum, die Ziele und Bedürfnisse der anderen zu erfüllen. Es geht vielmehr darum, den eigenen Bedürfnissen Raum zu geben und die eigenen Ziele zu erreichen. Gib dir selbst Raum, stelle dich selbst wortwörtlich in den Mittelpunkt und mach dich gerade. Sowohl im Innen als auch im Außen. Vor einer Entscheidung hilft es, tief und ruhig zu atmen. Beim Verkünden der Entscheidung ist es wichtig, auf eine klare Aussprache zu achten.
In welchen Situationen können wir das am besten üben?
Das ist das Schöne: eigentlich jederzeit. Vielleicht fällt es uns während eines anstrengenden Arbeitstages schwerer, aber wenn wir nach Hause kommen, können wir das Neinsagen in einem kleinen, sicheren Rahmen üben. Mit Dingen, bei denen es um nichts geht. Ich kann abends ganz bewusst sagen: Nein, ich räume jetzt nicht die Spülmaschine aus, nein, ich mache jetzt nicht noch die Wäsche, auch wenn es sich für uns selbst und unsere Umgebung zunächst einmal fremd anfühlen mag. Kindern kommt ein Nein ganz leicht über die Lippen, für uns Erwachsene ist das schwieriger, weil man seine eigenen Interessen immer abgleicht mit den Erwartungen anderer. Das Nein ist in unserer Ge sellschaft nicht so beliebt. Das merkt man spätestens, wenn die Chefin oder der Chef einen um etwas bittet und man ablehnt. Das löst Irritationen aus, hat aber auch eine enorme Wirkmacht. Ich rate allen: unbedingt mal Nein sagen – das ist spannend. Und ein tolles Gefühl, denn es ist ein Ja zu uns selbst!
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 4/23.
Mehr Themen: