Das Wort Netzwerken ist dir ein Graus? Dann ist dieser Text etwas für dich. Denn in jeder von uns steckt eine Netzwerkerin – sogar in den Introvertierten unter uns. Wenn wir eigene Konstellationen erschaffen, indem wir anderen zuhören und auf sie eingehen, werden schlichte Kontakte zu tiefen Verbindungen.
Wann bist du zuletzt gefragt worden, ob du gerade Unterstützung bei einer Sache brauchen kannst? Yep, ewig her. Und wie oft schickt dir dafür jemand eine Kontaktanfrage bei Xing oder LinkedIn ohne persönliche Nachricht? Exakt: ständig. Nach dem Motto: Ich will dich in meinem Netzwerk, aber ich will nichts dafür tun. So eine Haltung nervt nicht nur, sie bringt auch nicht weit. Die Essenz von Susan McPhersons Networking-Strategie lautet: Überleg, wem du wie behilflich sein kannst. Gib, bevor du nimmst. Die US-amerikanische Kommunikationsberaterin findet, dass wir es verlernt haben, tiefe Verbindungen zu schaffen. Im Privaten, aber vor allem auch im Business. Deshalb hat sie ihr Buch "The Lost Art of Connecting" geschrieben, in dem sie erklärt, wie man (wieder) ehrliche Kontakte knüpft.
Ein wertvolles Netzwerk in drei Schritten
McPherson ist bekannt als "Serial Connector" – ihr Job ist es, unentwegt Menschen zusammenzubringen, Informationen zu streuen, Wissen und Kontakte zu teilen. Es liegt ihr im Blut: Sie wuchs mit Eltern auf, die per Telefon, Brief und Get-Togethers stetig im Austausch mit all ihren Bekannten waren und das genossen. Bis heute ist genau das eine von McPhersons wichtigsten Anregungen, wenn’s um den Aufbau und Erhalt eines verlässlichen Netzwerks geht: "Invite to be invited" – "Lade ein, um eingeladen zu werden". Denn wenn du Menschen zusammenbringst, werden sie sich revanchieren wollen. Das liegt in unserer Natur. Es ist das Gesetz der Gegenseitigkeit.
Aber wie beginnen? McPherson bricht den Aufbau eines wertvollen Netzwerks auf drei Schritte runter: "Gather. Ask. Do.", also: Sammle, frage, handle.
Phase 1: Sammeln – Wer passt zu dir und deinen Plänen?
Vielleicht denkst du: "Ich kenne doch fast niemanden!" Nein, das stimmt nicht. Du kennst jede Menge Leute. Nicht alle mögen wichtige Kontakte für dich sein und nicht alle haben das Potenzial, zu tiefen Verbindungen zu werden – aber einige könnten es schon werden: "Du brauchst eine gute Konstellation", schreibt Susan McPherson in ihrem Buch. Dabei gehe es keinesfalls darum, möglichst viele wichtige Leute um sich zu scharen, sondern die bestmögliche Konstellation von Menschen (du denkst jetzt spontan an eine Sternenkonstellation? Genauso ist es auch gemeint). Es geht um Qualität, nicht um Quantität! Alles beginnt damit, dass du dich selbst fragst: Was macht mich aus, was sind meine Werte und Stärken? Und: Was genau brauche ich gerade? Egal, ob du in eine neue Stadt ziehst, einen neuen Job suchst, gründen oder ein drängendes gesellschaftliches Problem lösen willst: Es ist wichtig, in Sachen Netzwerk bei dir selbst zu starten, erklärt Susan McPherson. Denn nur so findest du schnell heraus, welche Menschen wirklich in deine Konstellation gehören.
"Take the meeting", heißt es oft in Networking-Guides. Und ja, dieses "im Zweifelsfall hingehen" ist eine Devise, die auch McPherson vertritt. Aber wir wissen alle, dass es im heutigen Arbeitsumfeld genauso wichtig ist, Nein sagen zu können, um sich selbst vorm Ausbrennen zu schützen. Nicht jede Konferenz, jedes Meeting und jede Party bringt uns weiter. Wie gut fühlte sich etwa die digitale Jubiläumsfeier wirklich an? Wenn die Antwort lautet: "sehr informativ" und "superlustig", dann hat sich jemand bei der Vorbereitung genau die richtigen Fragen gestellt. Nämlich: Warum kommen wir überhaupt zusammen? Was ist das Ziel? Was bringt jede:r Einzelne mit, um dieses Ziel zu erreichen? Und genau um diese Fragen geht es auch beim Aufbau deiner ganz persönlichen Konstellation.
Phase 2: Fragen – Lerne dein Gegenüber kennen!
McPherson schreibt, die besten Teams seien die, in denen sich die Mitglieder emotional sicher aufgehoben fühlen. Bei Freundschaften ist uns das bewusst, aber machen wir das auch bei Geschäftsbeziehungen geltend? Sollten wir! Susan McPherson fällt bei Zusammenkünften gern mal mit der Tür ins Haus. Sie fragt etwa "Was bewegt dich gerade?" oder auch "Was fällt dir gerade schwer? Benötigst du irgendwo Unterstützung?" So geht sie auch auf ihr völlig unbekannte Menschen zu. Auf diese Weise stellt sie sofort Augenhöhe her und damit die Chance auf eine tiefere Verbindung. Eines ist dabei zwingend notwendig: dem Gegenüber dann wirklich zuzuhören. Den meisten Menschen falle das schwer, schreibt die Expertin in ihrem Buch und zitiert Stephen R. Coveys berührenden Satz: "Das größte Kommunikationsproblem ist, dass wir nicht zuhören, um zu verstehen, sondern um zu antworten."
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Zum Zuhören gehört aber auch das interessierte Nachfragen. Wir sind schließlich immer noch in der "Frage"-Phase. "Wie meinst du das genau? Erzähl mal!" McPherson selbst ist so mutig, dass sie den neuen Kontakt auch gleich fragt, ob sie ihn mit Foto im Mobiltelefon abspeichern darf – das helfe ihr, sich in Zukunft an den Tag, die Zusammenhänge und die Person zu erinnern. Wem stellen sich beim bloßen Gedanken daran schon die Nackenhaare auf? We feel you – und es geht zum Glück auch anders.
McPherson trifft immer wieder Frauen, die trotz ihrer glänzenden Lebensläufe in Sachen Netzwerken befangen bis schüchtern sind. "Wir leben in einer Welt", schreibt sie, "in der wir extrovertiertes Verhalten belohnen und introvertiertes als pathologisch oder enttäuschend abkanzeln." Dabei seien gerade Introvertierte gut im Zuhören – die beste Eigenschaft, wenn man bedeutsame Beziehungen aufbauen will. Für ihr Buch sprach sie mit der Autorin Morra Aarons-Mele, die den Networking-Ratgeber "Hiding in the Bathroom: How to get out there when you’d rather stay in" geschrieben hat – für Introvertierte wie sie selbst. Das Ziel einer zurückhaltenden Person sollte sein: Finde in deinem Umfeld eine:n Superconnector und lass diese Person für dich arbeiten! Manchmal hilft es auch, sich selbst eine Aufgabe zu stellen, etwa McPhersons "Event-Triumvirat": Triff drei neue Kontakte, lerne drei neue Dinge von ihnen und teile deinerseits drei Dinge mit ihnen. Wer diese Challenge auf einer Party oder Konferenz gemeistert hat, kann sich danach entspannt in eine Ecke oder nach Hause zurückziehen.
Susan McPherson sagt: "Jeder Mensch hat seine eigene Währung." Denn jede Person bringt besondere Talente, Kontakte und Ansichten mit. Nur wenn wir uns für die Menschen und nicht nur ihren Job interessieren, haben zufällige Kontakte das Potenzial, zu bedeutsamen Beziehungen und sogar Freundschaften zu werden. Aus so einer vertrauensvollen Konstellation entstehen nicht nur Synergien, sondern auch Geschäftsideen und Kooperationen. Ob eine Gruppe für die Hausaufgabenbetreuung der Kinder daraus erwächst, eine Laufgruppe im Unternehmen oder ein Jobangebot bei der Traumfirma: Deine Konstellation hat unendliches Potenzial. Sie ist dein Rückenwind.
Phase 3: Handeln – Mach was draus!
Was stellst du jetzt also mit deinen gesammelten Kontakten an? Mit den Antworten, die du bekommen hast, und den Dingen, die du gelernt hast? Du nutzt sie aktiv! Aber natürlich nicht alle. Deine Ressourcen sind schließlich limitiert. Wer hat schon Zeit, sämtliche neuen Kontakte aufrechtzuerhalten? Mach dir jetzt noch einmal klar, welche Menschen du für deine wertvolle Konstellation wirklich benötigst. Beziehungen fordern Investitionen: soziale, emotionale und oft auch materielle. Und damit alle Beteiligten etwas davon haben, stellt man sich am besten wieder die Fragen: Wen könnte ich wie unterstützen? Was braucht welche Person gerade dringend? Dabei muss es niemand der versierten Netzwerkerin McPherson nachmachen und diese Fragen neuen Bekanntschaften direkt beim Händeschütteln stellen. Man kann sich auch am Tag nach einem Meeting oder einer Party melden. Wohl jede:r freut sich über eine Nachricht mit dem Inhalt "Wie schön, dich gestern kennengelernt zu haben! Lass uns in Kontakt bleiben." Damit das kein Lippenbekenntnis bleibt, solltest du am besten gleich etwas investieren, das diese Beziehung stärkt – etwa so: "Dieser Artikel ist mir zu unserem Gespräch eingefallen", "Hier ist die Playlist mit der Künstlerin, über die wir gesprochen haben" oder "Ich habe meiner Kollegin von deinem Projekt erzählt. Hier ist ihre Telefonnummer."
Verbindungen wachsen, wenn man sie pflegt. Wer mehr Distanz liebt, nutzt dafür Social Media. Ein Podcast hat dir gefallen? Teile ihn mit den Kontakten, die das interessieren könnte. Eine Bekannte postet Bilder aus Paris? Schick ihr den Link zu deinem Lieblingsrestaurant. Susan McPherson nennt das "circling back": Halte den Kommunikationskreislauf in Schwung und vergiss nicht, Feedback zu geben, wenn dir jemand eine Empfehlung gegeben hat. Bedanke dich, wenn jemand etwas für dich getan hat. Lass Menschen wissen, dass du an sie denkst. Deine Konstellation besteht aus lauter Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Zeig ihnen, dass du sie wertschätzt. Spiegele ihnen ihre Fähigkeiten und sie fühlen sich gesehen. Wer sich von dir gesehen fühlt, so McPherson, wird sich immer an dich erinnern. Sei dankbar, sei neugierig und werde aktiv. Weil du etwas für andere getan hast, werden sie etwas für dich tun. Es ist das Prinzip der Gegenseitigkeit. Und darauf bauen die besten Banden auf.
Dieser Text erschien zuerst in EMOTION 10/21.
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