Raus aus den Schubladen – und dem Schubladendenken! Louisa Dellert (32) hat sich weiterentwickelt: von der Fitness-Influencerin zur aktiven Feministin. Und über 430 000 Menschen folgen ihr auf ihrem Weg ...
Die Wohnung ist hell und weiß und mittendrin steht eine Frau in einem leuchtend gelben Pulli und lächelt. Louisa Dellert, genauso, wie man sie aus ihren Posts kennt: offen, ehrlich, energetisch. Wir fallen direkt ins Gespräch. Sie redet viel und schnell und sagt oft: "Weißte, was ich meine?" Erst mittendrin fällt mir auf, dass ich sie nie gefragt habe, ob ich sie duzen darf. Ich habe längst das Gefühl, sie zu kennen. Ich spreche es an, und wir kommen zu dem Schluss: Wenn Jens Spahn sie Lou nennt, dann kann ich das auch tun.
Lou, der Claim auf deiner Website ist: "Wenn nicht wir, wer dann? Wenn nicht meine Generation, welche dann?" Was möchtest du damit sagen?
Meine Generation und die nach uns hinterfragen so viel mehr, machen sich viele Gedanken über die Zukunft. Ich empfinde einen gesellschaftlichen Umbruch. Ich glaube, dass wir viel verändern können – und das auch wollen.
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Du bist als Influencerin für sinnstiftende Beiträge bekannt. Worin liegt für dich der Sinn deiner Arbeit?
Einerseits schmeichelt es mir, wenn man mich zur "Sinnfluencerin" macht. Aber es fühlt sich auch so an, als würden dadurch andere Influencer:innen abgewertet. Wenn ich Sinn stifte, was machen denn die anderen? Ich finde es schwierig, unser Dasein in Kategorien zu spalten.
Menschen wissen gern, woran sie sind. Du hast dich schon mehrmals öffentlich neu positioniert. Fiel dir das schwer?
Ich gelte als Fitness-Influencerin, Selbstliebe-Influencerin und jetzt offenbar als Feminismus-Influencerin – aber ich habe mich einfach weiterentwickelt! Mein Leben ist ein Auf und Ab, ich lerne dazu, mache Schritte zurück. Ich spreche einfach über das, was mich beschäftigt.
Kristina Lunz, Co-Founderin des Centre of Feminist Foreign Policy, hat sich für dich und andere „neue“ Stimmen im Feminismus starkgemacht. Wie lautete denn die Kritik?
Es gibt gewisse Gruppen, die sagen: "Wenn du, Louisa, mit deinen 400 000 Follower:innen jetzt auf Feministin machst, dann musst du auch die Accounts verlinken und mitnehmen, die das schon seit Jahren tun." Ich frage mich: Muss ich das wirklich? Oder helfe ich allen, wenn ich mich mit meiner großen Reichweite für das gemeinsame Thema starkmache?
Louisa Dellert (32) startete ihre Influencer-Karriere mit Fitness-Content. Mittlerweile begeistert sie mehr als 430.000 Menschen mit Nachhaltigkeits- und Feminismus-Themen. Für ihren Podcast "Lou" bekommt sie sogar politische Spitzengäste wie Jens Spahn oder Olaf Scholz ans Mikro.
Du bezeichnest dich noch nicht lange als Feministin. Was waren deine Vorurteile?
Ich war da sehr naiv. Ich habe lange nicht verstanden, dass es Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt. Aber dann saß ich eben immer öfter zwischen lauter Männern auf einem Panel und habe erlebt, wie sie dir die Welt erklären und keiner dich ausreden lässt. So habe ich angefangen, mich mit Sexismus zu beschäftigen. Außerdem fand ich – und das sollte sich meiner Meinung nach ändern! –, dass viele Feministinnen dazu neigen, Leute gleich an den Pranger zu stellen. So wie es jetzt auch bei mir passiert. Sie versuchen nicht, mir konstruktiv ihre Message näherzubringen. Aber wie sollen Leute den Mut entwickeln, sich gesellschaftspolitisch einzubringen, wenn ihnen ständig erzählt wird, was sie alles falsch machen? Das schreckt doch ab.
Dich offenbar nicht. Du glaubst an die Sache – und an die Quote und bist Teil der #Ichwill-Kampagne, die sich für den Zugang von Frauen zu Führungspositionen starkmacht. Welche Reaktionen erlebst du?
Ich muss sagen, dass ich viele Frauen in meinem Alter kenne, die sagen: "Nee, Lou – ich will keine Quotenfrau sein."
Ah, das altbekannte Totschlagargument.
Genau. Und ich denke mir einfach: Warum denn nicht ausprobieren? Wir haben ja ohne Quote fast nichts erreicht. Und die Quotengegner:innen haben ja auch keine besseren Lösungsansätze gebracht. Warum immer vorab schon meckern?
Welche feministischen Themen beschäftigen dich noch?
Ach, ganz alltägliche Dinge. Letztens habe ich mich aufgeregt, dass so viele Männertoiletten gratis nutzbar sind, die Damentoiletten aber kostenpflichtig sind. Können Frauen und Behinderte was dafür, dass sie nicht im Stehen pinkeln können?
I feel you.
Und Gendern, das nehme ich ernst, weil ich glaube, dass ich in einer guten Position bin, um ein Vorbild zu sein. Ich vermeide es zwar, Leute vor dem Mikrofon zu verbessern, aber es kam schon vor, dass ich meinen Gästen nachträglich vorgeschlagen habe, mit dem Gendern zu beginnen.
Nicht alle Diskurse verlaufen so konstruktiv. Du bekommst wirklich oft kritisches Feedback.
Ich kann es eigentlich nicht richtig machen. Die einen fanden, mein Gespräch mit Jens Spahn habe ihn endlich mal menschlich und nahbar gezeigt. Die anderen warfen mir vor, das sei unkritische Impfpropaganda gewesen. Früher hatte ich große Schwierigkeiten damit, andere Meinungen zuzulassen. Erst mit meinem Interesse am politischen Diskurs hat sich das verändert. Aber es ist sauschwer, und ich lerne immer noch dazu.
Passend zum Interview: Louisa Dellert im Podcast "Kasia trifft..."
Wie kann man andauernde, oft unsachliche Kritik von sich fernhalten? Geht das überhaupt?
Es wäre unmenschlich, darunter nicht zu leiden. Ende 2020 habe ich zwei Wochenenden durchgeheult, weil so viele Beleidigungen auf mich eingeprasselt sind. Ich kann nur sagen: Es ist wichtig, darüber zu sprechen! Deshalb habe ich mir jetzt eine Coachin an meine Seite geholt, die mir hilft, Dinge und Gefühle zu verstehen – sie nicht so nah an mich ranzulassen. Ohne ginge es bei mir nicht mehr.
Das Schönste, was ich mal gelesen habe, war: "Du bist wie eine digitale Schwester für mich." So sehe ich mich gern: als digitale Schwester oder Freundin.
Louisa DellertTweet
Du erhältst nicht nur Beleidigungen, sondern auch Morddrohungen, fast immer von Männern. Hast du Angst?
Ich gehe ein bisschen naiv damit um. Sagen jedenfalls meine Freundinnen. Und ja, ich muss das ernst nehmen. Ich darf es aber nicht so ernst nehmen, dass ich aufhöre, öffentlich meine Meinung zu sagen oder auf die Straße zu gehen. Ich habe mich jetzt mit HateAid zusammengetan (Anm. d. Red.: Mehr dazu in der Folge "Hass im Internet" in ihrem Podcast "Lou"). HateAid unterstützt mich, wenn ich Hass-Meldungen oder Morddrohungen abbekomme. Die verfolgen das juristisch und sorgen dafür, dass das auch Konsequenzen für die Täter:innen hat, wenn möglich.
Frauen werden selten inhaltlich kritisiert, sondern die Kritik kommt in Form von Objektifizierung und Sexualisierung. Teilst du solche Erfahrungen mit Kolleginnen?
Nicht nur mit Influencer:innen, sondern generell mit anderen Frauen. Das ist ein wichtiges und dringendes Thema! Umso erforderlicher ist es, dass wir darüber sprechen. Und: dass wir es zur Anzeige bringen. Denn diese Fälle müssen in die Statistik. Nur wenn das Problem für die Instanzen sichtbar gemacht wird, bekommt es die nötige Aufmerksamkeit. Ich möchte alle ermutigen: Auch, wenn ihr Angst habt, dass man euch bei der Polizei belächelt. Das muss in die Statistik!
Ist es das alles wert?
Das fragen mich meine Mädels auch. Sie sehen, wie krass müde ich dieses Jahr geworden bin und wie oft ich aus Selbstschutz abschalte. Aber ich glaube, es braucht Leute wie mich auf Instagram. Ich will mich nicht in den Himmel loben, aber stell dir mal vor, es würde keine Menschen mit meiner Reichweite geben, die über gesellschaftspolitische Themen reden? Niemanden, der sagt: "Das ist meine Mei- nung – und es ist wichtig, meine Meinung zu sagen, ande- ren zuzuhören und deren Meinungen zuzulassen." Und so- lange ich weiß, dass ich damit Gutes tun kann, mache ich auch weiter.
Noch vor ein paar Jahren hast du nie Nachrichten geschaut. Jetzt sagst du, es gebe kaum noch jemanden im Bundestag, der Nein zu einem Gespräch mit dir sagen würde.
Wow, das hört sich ganz schön eingebildet an. Die Kanzlerin würde wohl nicht zusagen. Aber es stimmt – Anfragen haben nur aus Zeitgründen nicht geklappt, Interesse war immer da. Ich weiß natürlich, dass die Zeit haben, weil sie meine Zielgruppe erreichen wollen. Aber es ist ja ein Zusammenspiel.
Wie empfindest du die Stimmung im Bundestag?
Da herrscht schon Spannung. Wenn Politiker:innen mir sagen, sie seien gedanklich noch nicht bei der Bundestagswahl, glaube ich ihnen kein Wort. Das stimmt einfach nicht. Bei allem, was sie tun und sagen, haben sie die Wahlen im Hinterkopf. Aber ich erinnere mich immer wieder daran: Corona war und ist eine Situation, die so noch keiner im Bundestag erlebt hat. Unsere Gesellschaft ist gespalten. Ich möchte momentan mit niemandem in der Politik tauschen.
Man spricht immer von der großen Politikverdrossenheit. Trotzdem erlebe ich gerade die Jüngeren als so viel politischer als meine Generation. Wie siehst du das?
Die jungen Leute sind viel wissbegieriger und zeigen mehr Empathie, was unseren Planeten angeht. Gleichzeitig spielen die sozialen Medien eine große Rolle. Wenn du dich über Länder und Kontinente hinweg mit anderen Menschen solidarisieren kannst – sei es beim Klimaschutz, bei Moria oder Bränden in Kalifornien –, dann macht es das leichter. Natürlich ist es einfach, auf einen Knopf zu drücken, aber trotzdem hat ein Post deine Gedanken angeregt. Ich finde dieses Zusammenspiel schön: Nur durch Social Media können sich Menschen innerhalb von Stunden solidarisieren, mobilisieren und dann demonstrieren 10 000 vor dem Brandenburger Tor.
Du hast 431 000 Follower:innen, empfindest du das als Verantwortung? Und wer ist dein Kompass, dein Korrektiv?
Wenn ich produziere, habe ich immer meine Follower:innen im Hinterkopf. Ich bekomme glücklicherweise auch konstruktive Kritik. So denke ich momentan viel darüber nach, wie ich meine Beiträge barrierefrei machen kann. Aber ich muss auch ab und zu sagen: Jetzt ist Schluss! Ab einem gewissen Punkt darf ich auch einfach Lou sein, meine Meinung sagen und Fehler machen. Ich vergesse mal eine Triggerwarnung. Ich vergesse auch mal meinen To-go-Becher zu Hause. Ich nehme mir das Recht, nicht perfekt zu sein.
Was ist dein großer Wunsch für 2021?
Dass die Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet. Dass wir die Zähne zusammenbeißen und weiter solidarisch sind und aufeinander aufpassen. Wir brauchen wirklich keine Querdenkerbewegung. Ich hoffe, dass sich das wieder legt. Und nur für mich? Ich will aufhören, am Wochenende zu arbeiten.
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