"Warum macht ihr es 2021 immer noch nicht besser?" fragt Charlotte Kuhrt, Model und Körper-Aktivistin, Medienschaffende – speziell die von Frauenmagazinen. Sie sieht noch viel Änderungsbedarf, was die mediale Repräsentation von verschiedenen Körpertypen angeht. Wir haben sie gefragt, wie wir es besser machen können.
Charlotte Kuhrt – Body Acceptance-Aktivistin und Model
Charlotte Kuhrt ist Model, Art Direktorin und Body-Acceptance-Aktivistin. Auf ihrem Instagramaccount, dem mittlerweile mehr als 180.000 Menschen folgen, und in ihrem Podcast "Fette Gedanken" beleuchtet die 29-jährige Berlinerin Themen wie Fettfeindlichkeit und die Fetischisierung von mehrgewichtigen Frauen und erklärt, warum Selbstliebe kein Vollzeitjob ist (Spoiler: Weil Selbstliebe nicht bedeutet, den eigenen Körper jeden Tag zu lieben und weil es auch mal schlechte Tage geben kann und darf).
"Warum macht ihr es im Jahr 2021 immer noch nicht besser?"
Als Gast im Podcast von Beauty-Bloggerin Hanna Schumi sprach Charlotte unter anderem darüber, dass schlanke Frauen in (Frauen)-Magazinen immer noch als Norm propagiert werden – und ab und an ein Model mit Größe 42 das höchste der Gefühle ist. Statistiken geben ihr recht: Laut der Plattform "The Fashion Spot" hatten im Jahr 2020 nur 2,65% der weiblichen Magazin-Cover-Models eine Kleidergröße ab 42. Sie wünsche sich einen selbstverständlicheren Umgang mit Plus-Size-Frauen, sagt Charlotte Kuhrt. "Ich würde gerne Medienmacher:innen, speziell von Frauenmagazinen, mal um einen Tisch versammeln und fragen: 'Warum macht ihr es 2021 immer noch nicht besser?'" Wir haben Charlotte gefragt, wie Frauenmagazine inklusiver sein können. Im Zoom-Gespräch sprechen wir über Fettfeindlichkeit, das Wort "kurvig" und wie es sich anfühlt, aus seiner woke-Instagram-Bubble rauszukommen und zu merken, dass die Welt doch nicht so tolerant ist, wie man dachte.
EMOTION: Charlotte, du verwendest in deiner Arbeit statt "Body Positivity", dem Buzzword der letzen Jahre, das Wort "Body Acceptance". Wieso?
Charlotte Kuhrt: Das hat zwei Gründe. Was mir lange nicht bewusst war, ist, dass der Begriff "Body Positivity" in den 60-ern von einer vorwiegend schwarzen, fettaktivistischen Bewegung geprägt wurde. Diese Frauen sind mehrfach marginalisiert, die Diskriminierung, die schwarze mehrgewichtige Personen erfahren, multipliziert sich. Diesen Raum wollte ich als privilegierte Person nicht für mich einnehmen. Der zweite Grund ist, dass der Begriff "Body Positivity" total inflationär gebraucht und verwässert wurde. Eine Frau mit Größe 38 und drei Cellulite-Dellen, die sich selbst trotz dieses vermeintlichen Makels liebt, stand plötzlich für "Body Positivity". Es geht nicht nur um diese "Self-Love"-Bubble, die ja total schön ist, sondern vor allem darum, Akzeptanz in der Gesellschaft zu fordern. Deshalb "Body Acceptance".
Was bedeutet Fettfeindlichkeit? Ist unsere Gesellschaft fettfeindlich?
Die kurze Antwort: Ja, wir sind alle fettfeindlich. Wir lernen das alle. Müsste ich Fettfeindlichkeit definieren, würde ich sagen: Egal, was ein dicker oder fetter Körper tut, er darf in unserer Gesellschaft beurteilt werden. Jede Entscheidung, die eine fette Person trifft, darf kritisiert werden: der Lebensstil, die Ernährung. Das ist eine fettfeindliche Grundlage, die wir so schaffen. Dicke Menschen erfahren berufliche und medizinische Diskriminierung, finden seltener Jobs und werden medizinisch nicht adäquat behandelt, sondern hören erstmal nur "Nehmen Sie doch erstmal ab."
Anm.: Laut einer Studie aus dem Jahr 2014, in der die Daten von 18.000 Personen ausgewertet wurden, verdienen mehrgewichtige Frauen bis zu 12% weniger als schlanke Frauen. Besonders in Berufen mit viel Kundenkontakt zeigt sich dieses Ungleichgewicht. Einer der Autoren der Studie, Forscher Marco Caliendo, merkte im Interview mit dem Spiegel an, dass das Risiko, arbeitslos zu sein, für mehrgewichtige Frauen höher sei als für schlanke.
Und was ist fettfeindliche Sprache?
Das Wort "Übergewicht" ist hier ein wichtiger Begriff. Ich fand den Begriff immer schon schlimm, weil er ausdrückt, dass ein Mensch zu viel von etwas ist. Es tut einfach weh, das zu hören. Ich benutze das Wort "Mehrgewicht". Es ist einfach neutraler und wertfrei. Es gibt viele Dinge, die wir sagen, die dicken Menschen im Raum das Gefühl geben, dass sie und ihr dicker Körper falsch sind.
Du benutzt auch das Wort "fett" oft. Ist das für dich ein wertfreies Wort?
Für meinen eigenen Körper verwende ich gerne die Begriffe "dick" und "fett". Es gibt ein Fettspektrum und mit einer Größe 48 habe ich immer noch eine kleine große Größe. Die Wörter "dick" und "fett", mit denen ich früher beleidigt wurde, habe ich für mich positiv belegt.
Unsere Generation ist es zumindest im Internet gewohnt, sich in Filterblasen zu bewegen, in der das eigene Weltbild geteilt wird. Ist es für dich frustrierend, wenn du aus deiner Bubble rauskommst und merkst, dass die Welt da draußen eine ganz andere ist?
Du merkst, während du die Frage gestellt hast, habe ich schon heftig genickt. Ja, es ist sehr frustrierend. Das war ein großer Grund dafür, dass ich letztes Jahr auf ein emotionales Burn-out zugesteuert bin. Da habe ich gemerkt, dass ich mich im Internet in einer sehr woken Bubble bewege, in der ich mich aufgehoben fühle. Sich dann aus dieser Bubble rauszubegeben und zu merken, da sind Menschen, die haben sich noch nie mit diesen Themen beschäftigt, denen ist es egal, wie ich mich fühle, wenn sie kommentieren, was ich esse – das trifft mich sehr. Am öftesten passiert mir das – ich muss es leider so sagen – mit Männern mittleren Alters. Nicht immer kann ich dann für mich selbst einstehen, obwohl ich im Internet eine sehr laute Stimme habe. Ich hoffe dann aber gleichzeitig, dass das die Menschen sind, die meine Botschaft auch irgendwann erreicht. Vielleicht auch über Umwege – über ihre Frauen, die mir folgen, oder über Medien.
Was können wir, also die Medien – speziell Frauenmagazine – tun, um inklusiver zu werden?
Sichtbarkeit schaffen. Das ist das Erste, was man machen muss, um dicken Menschen Raum zu geben. Und das sollte in allen möglichen Kontexten geschehen. Es ist total schön, dass wir jetzt zum Beispiel dieses Interview führen können, aber dicke Menschen möchten nicht immer über das Dicksein sprechen. Zu jedem Thema, egal ob Mode, Wissenschaft oder Business, gibt es eine dicke Person, die darüber sprechen kann. Zuhören ist so wichtig. Auf Missstände aufmerksam machen. Ein großes Problem ist vor allem im Modebereich, dass fast ausschließlich Produkte für schlanke Menschen gezeigt werden. Wenn die neuesten Wintermäntel der Saison gezeigt werden, ist fast keiner dabei, den es auch in großen Größen gibt. Das ist verletzend, denn in vielen Modemagazinen war ich auch schon, um dort die Diversitätsfahne hochzuhalten. Das suggeriert mir, dass ich toll bin für Selflove-Artikel, aber im Modekontext nichts verloren habe.
Wie würdest du dicke Menschen als Redakteurin auf selbstverständliche Art und Weise integrieren?
Zunächst ist es wichtig, dass in Redaktionen auch mehrgewichtige Personen sitzen. Damit wir dafür sorgen, dass wir in Unternehmensstrukturen durchgehend diverse Meinungen haben. Wenn man dann Artikel mit dicken Personen umsetzt, muss man sich auch nicht selbst jedes Mal dafür zelebrieren. So wird es ja auch nicht selbstverständlicher. Ein Wunsch von mir, der sicher noch länger unerfüllt bleibt, ist, dass ich in einer Zeitschrift nicht nach einer dicken Person suchen muss.
Wenn Artikel über dich erscheinen, wirst du lieber als "Plus-Size"-Model oder schlicht als Model bezeichnet?
Ich fände es schön, wenn ihr mich einfach als Model bezeichnet. Das ist sehr wertschätzend, wenn Redakteur:innen das fragen. Daran merkt man, dass jemand sich Gedanken macht. Ich habe mich sehr an die Bezeichnung „Plus Size“ gewöhnt, ich sag das auch sehr oft. Gar nicht so sehr für mich, sondern weil ich merke, dass das viele Menschen noch brauchen, um sich einzuordnen. Als ich noch mehr gemodelt habe, habe ich immer wieder gesagt, dass ich Model bin und wurde daraufhin oft sehr auffällig von oben nach unten gemustert. Das war für mich unangenehmer, als von vorne herein das Wort „Plus-Size-Model“ zu benutzen.
Bei meinen Recherchen über dich bin ich auf Artikel mit Überschriften wie „Echte Frauen haben Kurven“ gestoßen. Wie siehst du solche Aussagen?
Ich wünschte, die Leser:innen könnten mein lautes Seufzen gerade hören. Sowas zu lesen, ist ermüdend. Jeder, der sich irgendwie als feministisch betrachtet, fragt sich auch erst mal: "Wer sagt mir denn, was eine echte Frau ist?" Und journalistisch gesehen ist das doch das Einfallsloseste, was man machen kann. Ich bin auch sehr genervt von diesen ständigen Wortspielen um das Wort "kurvig". Lange Zeit habe ich diesen Begriff selbst verwendet, bis ich verstanden habe, dass er andere verletzt. "Kurvig" ist oft ein Begriff für ein Fettsein, das gesellschaftlich noch akzeptiert wird. Für einen noch größeren Körper als ich ihn zum Beispiel habe, gibt es keinen verschönernden Ausdruck. Kurvig ist noch schön, aber wenn du dann tatsächlich fett bist, dann nicht mehr – das drückt das Wort auch irgendwie aus. Aus diesem Grund bezeichne ich mich auch nicht mehr als kurvig. Ich muss meinen Körper nicht so umschreiben. Er ist fett und das ist okay.
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