Unser Job macht uns deutlich mehr Spaß, wenn wir gesehen, geschätzt und respektiert werden. Leider passiert das nicht immer und überall. Der Grund: schlechte Führung.
Professor Wolfgang Jenewein beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema Führung. Als Coach und Berater hat er bereits mit Hochleistungsteams wie dem Alinghi-Segelteam, der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft oder dem VfB Stuttgart gearbeitet. Für Jenewein spielt die "4-M-Regel" bei jeder Art von Führung eine große Rolle: Man muss Menschen mögen! Was für ihn außerdem einen guten von einem schlechten Chef unterscheidet, und welchen Einfluss die Digitalisierung auf Führung hat – darüber haben wir mit ihm gesprochen.
EMOTION.DE: Was unterscheidet einen guten von einem schlechten Chef?
Wolfgang Jenewein: Ein guter Chef mag Menschen – das ist das Wichtigste. Ein schlechter Chef mag eher Inhalte. Zum zweiten hat ein guter Chef Interesse an jedem einzelnen, weniger an der gesamten Gruppe. Ein schlechter Chef geht davon aus, er muss immer alle gleich behandeln und vor allem die Gruppe sehen. Das stimmt aber nicht. Klar muss eine Gruppe gleich fair und respektvoll behandelt werden, aber es ist entscheidend, dass jeder Einzelne gesehen wird. Ein Chef muss die Stärken, Leidenschaften und das Potenzial seiner Mitarbeiter erkennen. Nur so kann der Einzelne effizient arbeiten.
Ein guter Chef mag Menschen – das ist das Wichtigste.
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Also kann ein Chef, der Menschen nicht mag, nicht führen?
Doch, das kann er schon, aber eben nur inhaltlich und sachlich. Auch das kann ganz gut funktionieren, aber auf lange Sicht löst ein Chef so keine extra Performance oder Höchstleistungen aus, sondern nur Leistungen, die den Erwartungen entsprechen.
Warum gibt es immer noch gefühlt so viele schlechte Führungskräfte?
Ich glaube nicht, dass Chefs dumm sind oder nicht gern gut führen möchten. Es liegt vielmehr daran, dass in den 80er, 90er und auch in den 2000er Jahren Führung nicht wirklich gefördert und reflektiert wurde. Es war eine Zeit, die weniger intrinsische Motivation gebraucht hat. Die bis dahin gesammelten Erfahrungen und eine mechanische Führung reichten aus, um Unternehmen und Mitarbeiter zu steuern. Es war eine gute Zeit, aber wir stellen inzwischen ganz klar fest, dass man damals etwas vergessen hat.
Wodurch entstand dieser Wandel in Sachen Führung?
Zum einen durch die Generation Y, die anders erzogen wurde. Bei ihnen ging es Zuhause um Mitsprache und sie wurden sehr viel behüteter und fördernder aufgebaut. Genau diese Menschen verstehen jetzt nicht, warum das in Unternehmen anders sein soll und fordern Führung aktiv ein. Der zweite Katalysator ist die Disruption in unseren Geschäftsmodellen. Sie erfordert, dass alle Mitarbeiter auf allen Ebenen mitdenken müssen. Denn oft ist es der Ingenieur oder der Verkäufer, der die besten Antworten für die Lösungen der Zukunft hat und nicht mehr nur der Vorstand. Wenn der allerdings seine Mitarbeiter nie vorher aktiviert hat, auch mitzusprechen, dann muss er sich nicht wundern, wenn sich alle um ihn herum still verhalten.
Das wertvollste Kapital eines Unternehmens sind seine Mitarbeiter. Für manchen Chef eher eine Floskel als eine Tatsache. Wie kann das sein?
Ich glaube, dass viele Chefs solche Dinge nicht nur sagen, sondern auch meinen. Allerdings fehlen ihnen vielleicht die Mittel und Wege oder auch die Empathie und die Nähe zu ihren Mitarbeitern, um das, was sie sagen, auch umzusetzen.
Was ist der größte Fehler, den ein Chef Ihrer Meinung nach tun kann?
Den Menschen zu ignorieren! Wenn Sie einem Menschen etwas schlechtes wollen, ignorieren sie ihn. Und dieses Ignorieren findet leider in vielen Unternehmen statt. Wenn ein Chef noch ein bisschen was von seinem Mitarbeiter hält, gibt er ihm zumindest Feedback. Wobei ich ein taffes Feedback oder auch dominante Führung besser finde, als seinen Mitarbeitern gar keine Aufmerksamkeit zu geben.
Wenn Sie einem Menschen etwas schlechtes wollen, ignorieren sie ihn.
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Wertschätzung – ein riesiges Thema in Unternehmen, das aber oft unterschätzt wird. Warum?
Ob Präsident, Bundeskanzlerin oder CEO einer Firma – wir alle brauchen Wertschätzung. Das sehen aber leider viele Chefs nicht. Dabei kostet sie nichts und gibt dem einzelnen viel Kraft. Warum sie trotzdem so unterschätzt wird? Weil die meisten einfach so führen, wie sie Führung selbst erlebt haben. Und wenn man selbst keine Wertschätzung erfahren hat, kann man sie eben nur schwer weitergeben.
Je höher jemand in der Hierarchie steigt, umso wichtiger wird Führung und um so weniger sollte derjenige inhaltlich führen. Heißt: Ein guter Chef kann loslassen und muss in das Können seiner Mitarbeiter vertrauen?
Unbedingt! Das Entscheidende ist, dass ein Chef irgendwann in seiner Karriere verstehen muss, dass er nur dann in Erinnerung bleibt, wenn er etwas hinterlässt, das größer ist als er selbst. Und das ist nur möglich, wenn man aus Mitarbeitern, also aus seiner Gefolgschaft, Leader kreiert und nicht glaubt, immer selbst die Antwort auf alles zu haben.
Ob Präsident, Bundeskanzlerin oder CEO einer Firma – wir alle brauchen Wertschätzung.
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Warum fällt genau das vielen Führungskräften so schwer?
Zum einen war man ja mit diese Art der Führung und Kultur früher ja erfolgreich, das dürfen wir nicht vergessen. Also warum sollte man daran etwas ändern. Zum anderen hat der Führungsstil natürlich auch etwas mit dem eigenen Menschenbild zu tun. Wenn jemand das Gefühl hat, Menschen machen Probleme und Mitarbeiter im Speziellen, ist klar, dass derjenige eher kontrolliert und versucht, potenzielle Fehler abzustellen. Da ist beispielsweise Homeoffice erst einmal ein Störmoment.
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf das Umdenken bei Führungskräften?
Die Digitalisierung hat zwei Effekte auf Führung. Einerseite müssen sich viele Chefs überlegen, wo ein Mitarbeiter einen Mehrwert schaffen und sich so entwickeln kann, dass er wertvollen Input liefert. Denn früher oder später werden signifikant viele Jobs wegfallen und ein guter Chef versucht dem vorzubeugen. Dazu braucht es allerdings, wie bereits erwähnt, einen positiven Zugang zu den Menschen. Andererseits sind durch die Digitalisierung ganz andere Formen der Zusammenarbeit möglich. Wir können alle viel virtueller miteinander arbeiten, weshalb ein guter Chef in der Zukunft mehr moderieren und weniger dozieren sollte.
Was raten Sie Mitarbeitern, die sich weder gesehen noch geschätzt fühlen?
Zuerst einmal aktiv rausfinden, ob es wirklich stimmt. Wenn das der Fall ist, ist es ja vielleicht eine Option, Dinge einzufordern. Ein Mitarbeiter kann außerdem durch gute Initiativen auf sich aufmerksam machen. Wenn das alles nichts hilft und bevor man lange jammert, sollte er vielleicht über einen Jobwechsel nachdenken.
Prof. Dr. Wolfgang Jenewein ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, Direktor am Institut für Customer Insight (ICI-HSG) sowie akademischer Direktor des Executive MBA. Bevor er im Februar 2011 an die Universität St. Gallen berufen wurde, war er Ordinarius für Personalführung und Weiterbildung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen.Universität St. Gallen. Er hält Vorlesungen an der Universität St. Gallen, der Rotman School of Management (University of Toronto) sowie der RWTH Aachen und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet – zuletzt im Mai 2016 im Rahmen des "Credit Suisse Best Teaching Award" an der Universität St. Gallen.