Heike Kleen setzt sich für Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ein. Wo in unserem System die Fehler liegen und warum Kinderbetreuung geteilt werden muss, muss die Autorin am eigenen Leib erfahren.
Ich bin Teilzeit-Feministin: Vormittags schreibe ich Texte über Gleichberechtigung, nachmittags kümmere ich mich um die Kinder und den Haushalt. Oft sage ich mir: Mein Mann ist selbstständig, er kann sich nicht soviel kümmern. Ich dagegen bin selbstständig, damit ich mich zuhause mehr kümmern kann. Ich empöre mich über die Rentenlücke von Frauen, aber seit ich Kinder habe, arbeite ich weniger und steuere so selbst auf die Alltagsarmut zu. Feministin bin ich offensichtlich nur halbtags, spätestens am Nachmittag finde ich mich in der traditionellen Frauenrolle wieder.
Nie hätte ich gedacht, dass mir das passieren würde. Früher arbeiteten mein Partner und ich in Vollzeit, am Wochenende kauften wir gemeinsam ein und putzten zusammen, doch mit dem positiven Schwangerschaftstest änderte sich unser perfekt austariertes Modell. Ich nahm die längere Elternzeit, war dadurch mehr zuhause und wurde zur Haushalts- und Aufzuchtsexpertin.
Fast 3/4 aller deutschen Mütter arbeitet in Teilzeit
Nach der Elternzeit ging ich wie 72,6 Prozent der deutschen Frauen in Teilzeit. Zunächst klingt Teilzeit nach einer genialen Lösung, bei der Frau alles haben kann: Sie kehrt in ihren Beruf zurück und verdient eigenes Geld, hat aber trotzdem Zeit für ihre eigenen Kinder. Perfekt, dachte ich, denn ich sehnte mich schon während der Elternzeit nach dem Redaktionsalltag, wollte aber auch eine "gute Mutter" sein.
Der Begriff hatte sich in mir eingenistet, denn ich wurde mit dem westdeutschen Familienbild der 70er- und 80-erJahre sozialisiert. Bei uns hieß es: "Mama muss zum Glück nicht arbeiten!" Als Anfang der 80er-Jahre die Mutter einer Klassenkameradin nach der Scheidung plötzlich wieder "arbeiten" musste, munkelte man im Dorf: Die armen Kinder, was soll aus denen werden?
Wenn ich es nicht mache, macht es keiner
30 Jahre später reduzierte ich als Mutter meine Stunden. Den Kindern zuliebe. Ich will sie ja auch aufwachsen sehen – und irgendwann wird dann alles wieder wie früher. Soweit die Theorie, doch ich hatte etwas übersehen: Die unbezahlten "Ehrenämter" rund um Haushalt und Kinder, vom Obst-Igel fürs Kita-Fest bis zur Mitarbeit im Turnverein, die einem in der Elternzeit zufliegen, wird man nur schwer wieder los. Und wer in Teilzeit arbeitet, macht weiter den Großteil dieser Care-Arbeit. Schließlich hat man mehr Zeit, oder? In meinem Kopf rappelt eine nie enden wollende To-do-Liste, und von den meisten Aufgaben weiß ich: Wenn ich sie nicht mehr mache, macht sie keiner – und dann leiden die Kinder.
Plötzlich hatte ich zwei Jobs: einen bezahlten und einen unbezahlten. Ist das die Gleichberechtigung, die uns in jungen Jahren versprochen wurde? Ist es wirklich der freie Wille von uns Frauen, dass wir uns im Spagat zwischen Arbeit und Familienorganisation aufreiben und dafür auf finanzielle Unabhängigkeit verzichten, während die gut bezahlten Jobs weiterhin unter Männern aufgeteilt werden, die sich weniger für ihren Nachwuchs verantwortlich fühlen? Wohl kaum.
Aber wer macht es, dieses Aufteilen? Die Männer? Nein, es ist ein gemeinsamer Prozess. Wir haben das so gelernt und denken zu Beginn unseres Familienlebens nicht über die Konsequenzen nach. Ich bin wie viele Frauen meiner Generation nichts ahnend in die zeitlich begrenzte Elternzeit gegangen - doch manchmal fühlt es sich an, als hätte ich "lebenslänglich" bekommen. Den wir haben verpasst, unsere Rollen am Ende der ersten Elternzeit neu aufzuteilen. Ich bin nicht auf die Idee gekommen. Und mein Mann erst recht nicht.
Jede:r sollte selbst entscheiden, wie Gleichberechtigung aussieht
Inzwischen klappt es besser mit der Arbeitsteilung, aber noch immer bin ich diejenige, die die Arbeit verteilt. Bin ich schuld? Oder er? Nicht nur, wir sind beide Teile unseres verkrusteten Systems. Es wird von den politischen und gesellschaftlichen Strukturen gefördert und gelegentlich bleibt dabei einer auf der Strecke. Doch was ist die Lösung? Wer zu Hause oder in Teilzeit zufrieden ist, darf es natürlich bleiben – sollte aber einen finanziellen Ausgleich von denjenigen fordern, dessen Familienalltag unentgeltlich mitorganisiert wird. Für mehr Gerechtigkeit brauchen wir die Unterstützung von Politik und Arbeitgebern, wir müssen die männlich geprägte Arbeitswelt mit ihrer Präsenzkultur und der 40-Stunden-Woche hinterfragen. Der Grundstein für eine faire Arbeitsteilung wird gelegt, wenn beide Eltern die gleiche Elternzeit- und Teilzeiterfahrung machen und es beiden möglich ist, gerade in den ersten Jahren mit Kind, weniger zu arbeiten.
Ich habe nicht die gleiche Wahl getroffen wie die meisten Männer, aber das heißt nicht, dass ich keine Ziele habe, dass ich nicht gerne arbeite, sondern am liebsten neben meinen Kindern hocke. Es bedeutet, dass es zu wenig Wahlmöglichkeiten für Mütter gibt. Ich suche noch nach meinem Platz zwischen Kindern, Küche und Karriere. Sobald ich meine Prägung hinterfrage, erschrecke ich über Rollenklischees, die ich fest verinnerlicht habe. Aber eins weiß ich sicher: Gleichberechtigung haben wir erst, wenn Frauen ohne Nachteile Mütter sein können und nicht länger unbezahlt den Dreck der gesamten Menschheit wegmachen müssen. Dafür müssen wir gemeinsam kämpfen: zu Hause, bei der Arbeit, in der Politik.
Denn Kinder sind keine Privatsache und die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie ist kein Frauenproblem.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 02/2022.
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