Ben Melzer kam mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt. Heute ist er ein Mann und arbeitet als Model, Fitnesscoach und Influencer.
Ben Melzer im Interview: "Als Mann bin ich endlich ich"
Schon als Kind wollte Yvonne ein Junge sein. Mehr als zwanzig Jahre und mehr als zwanzig Operationen später ist aus dem wilden Mädchen Ben geworden. Der Mann, der er dem Gefühl nach immer war. Ein Gespräch darüber, wie man man selbst wird.
Bärbel Schäfer trifft Ben Melzer
"Als Benjamin Ryan Melzer und ich uns treffen, hat er gerade eine Operation hinter sich und hofft, dass es damit jetzt mal gut ist. Es ist zehn Jahre her, seit er beschlossen hat, sein Geschlecht seinem Gefühl anzupassen," schreibt sie.
Lies auch: #stayhome - Unsere Themen zu Corona
Bärbel Schäfer: Über deine Erfahrungen hast du jetzt das Buch "Endlich Ben" geschrieben. Für wen ist es gedacht?
Ben Melzer: Für alle, denen es so geht wie mir früher. Ich wusste als Teenager einfach nicht, was mit mir los war. Keiner konnte mir Fragen zu einer Geschlechtsumwandlung beantworten.
Was sind denn die drängendsten Fragen der Betroffenen?
Wie laufen solche Operationen ab? Wird es natürlich aussehen zwischen den Beinen? Werde ich am Glied was fühlen? Kann ich mir die Größe aussuchen? Welche Komplikationen gibt es? Und wie schnell wächst ein Bart?
Und, fühlst du was am Glied?
Ja, es ist sehr empfindsam.
Bis dahin war es ein langer Weg mit vielen Eingriffen. Wie geht es dir?
Ich bin endlich ich. Glücklicher, empathischer, zufriedener. Ich habe innere Ruhe gefunden. Ich habe mein Äußeres und Inneres zusammengeführt.
Wer trägt die Kosten der OPs?
Die Krankenkasse. Dafür muss man Hunderte von Anträgen ausfüllen, es gibt feste Fristen, in denen alles passiert, und die psychologische Beratung läuft oft über Monate. Als ich mit der Hormontherapie begonnen habe, wuchs mein Bart, aber im Ausweis stand noch Yvonne. Damals kam ich in eine Polizeikontrolle, der nette Polizist kannte das Thema und hat mich nicht gedemütigt. Zum Glück. Es müsste wirklich schneller gehen, dass man seinen Namen und Personenstand ändern kann.
Deine Brüste und Eierstöcke wurden entfernt, Hoden und Glied aufgebaut, um nur ein paar der Eingriffe zu nennen – ein OP-Marathon. Wusstest du immer genau, was passiert?
Gespräche mit Anästhesisten kann ich heute im Schlaf führen. Ich habe trotz der Risiken nie gezögert, diese OPs zu machen, und nie das Vertrauen in meine Ärzte verloren, auch nicht, als es bei der Erektionsprothese große Probleme gab.
Welche?
Beim Einsetzen hat es eine Entzündung gegeben, eine Sepsis. Medizin ist am Ende ja auch nur ein Handwerk. Ich komme aus dem Handwerk. Daher weiß ich, es kann immer etwas schiefgehen, und bin ein verständnisvoller Patient. Leider führte dieser Zwischenfall zu sieben weiteren Operationen in den letzten 15 Monaten. Jetzt ist der Prothesen-TÜV durch und alles hält hoffentlich für die nächsten zehn Jahre.
Wie gehst du mit deinen Narben um?
Ich hasse meine Narben. An der Brust habe ich zum Glück nur feine Narben um die Brustwarze herum, aber am linken Unterarm habe ich eine sehr große. Die finde ich so hässlich und möchte sie kaschieren. Weglasern geht leider nicht bei transplantierter Haut. Narben sind für mich kein Zeichen dafür, welchen Kampf ich durchlebt habe. Ich weiß auch so, wie krass mein Körper ist.
Das klingt wütend.
Es wäre fantastisch, wenn man Haut im Labor neu züchten könnte! Noch muss für die Operation der Unterarm von uns Betroffenen zerschnitten werden. Noch besser wäre es natürlich, man könnte gleich das Glied eines verunfallten Mannes transplantieren. So, wie wir das schon mit anderen Organen machen.
Wann hast du den Sand im Getriebe deines Lebens bemerkt und gedacht, etwas ist anders mit mir?
Schon als Kindergartenkind habe ich mich nur Max genannt und nie Yvonne. Meine Oma hat gesagt, das Mädchen ist nur burschikos, das ist eine Phase und wird sich legen. Mit sechzehn habe ich mich gefragt, ob ich lesbisch bin. Denn ich stehe ja auf Frauen.
Bist du aber nicht. Was hat dir schließlich die Augen geöffnet über Transgender und Transidentität?
Ein Fernsehbericht über Chaz Bono, den Sohn von Cher. Da habe ich gesehen, dass es ihm so ging wie mir. Damals war ich 18 und noch zu schwach, das Thema bei meiner Familie anzusprechen. Und ich hatte Angst, dass mich Gleichaltrige auslachen würden.
Beim Thema Transgender wünsche ich mir mehr Offenheit.
Ben MelzerTweet
Warst du einsam als Teenager?
Ich bin ein Meister im Verdrängen. Ich war der Klassenclown, unglaublich laut, offensiv, beliebt, sehr sportlich und dauernd unterwegs. Alles vielleicht, um von meinem Problem abzulenken. Ich habe Leistungssport betrieben und war trotzdem extrem unzufrieden mit meinem Körper.
Warum?
Es war ein wunderschöner Körper. Aber eben für eine Frau, nicht für mich. Ich konnte mich nie mit ihm identifizieren. Nur meine Bauchmuskeln, die mochte ich. Ich wollte mich kaum im Spiegel betrachten, obwohl ich mich berühren konnte, ich war sexuell sehr frühreif.
Wie war das für deine Eltern?
Mein Vater, der Obermacho, wollte mich damals unbedingt in die weibliche Rolle drängen. Ich war in der Pubertät sehr basketballaffin. Aber bevor er mir einen neuen Ball kaufte, musste ich mit ihm ins Einkaufszentrum. Im Schlabberlook lief ich mit ihm durch die Shopping-Mall, er ging mit mir in Boutiquen mit sehr attraktiven Verkäuferinnen, und zwang mich, mich von ihnen stylen zu lassen. Im engen Top und knallengen Hosen verließ ich die Mall, erst danach gab es einen neuen Basketball. Das war eine extrem demütigende Erfahrung.
Und heute?
Heute muss ich nicht mehr gegen meinen Vater ankämpfen. Seine Tochter Yvonne existiert nicht mehr, dafür sein Sohn Ben. Damals habe ich gesagt: „Papa, ich werde meinen Weg gehen, entweder du bist an meiner Seite oder nicht. Ich habe nur ein Leben. Ich habe mich entschieden, glücklich zu sein.“ Bei den letzten OPs hat er mich begleitet und sogar bei mir in der Klinik übernachtet. Das war schön. Mein Vater ist auch einen langen Weg gegangen.
Und deine Mutter?
Sie hat mich sein lassen, wie ich war. Sie zieht sich feminin an, hat mich aber nie gedrängt, es ihr gleichzutun. Sie war einfach da. Hat zugehört, mich aufgefangen und mich nicht zerstört, was damals ein Leichtes gewesen wäre. Sie war proaktiv, hat die schwierigen Gespräche mit meiner Oma und meinem Vater geführt. Mama hat meine Launen ertragen, nichts persönlich genommen. Uns hat dieser Weg richtig zusammengeschweißt, sie ist heute meine beste Freundin.
Hast du Fehler gemacht?
Ich würde mich heute viel mehr zurücknehmen. Damals bin ich durch jede Begegnung wie ein Bulldozer durch. Ich habe meinem Gegenüber gar keine Zeit gelassen, sich ebenfalls an die neue Situation zu akklimatisieren. Damals war ich extrem egoistisch.
War dir wirklich immer egal, was die Leute sagen?
Ja, ich bin ein harter Hund. Und ich habe eine fantastische Clique, die mich immer verteidigt hat.
Und was rätst du denen, die viel schüchterner sind als du, in so einem Transformationsprozess?
Für sie versuche ich, das Eis zu brechen. Was immer hilft ist: reden.
Hat das denn alles keine Spuren bei dir hinterlassen?
Doch. Meine Freundin nennt mich den Eiskönig. Ich weine nicht, bin sehr sachlich in Diskussionen, und es dauert, bis ich richtig losschreie. Erst das Schreiben von „Endlich Ben“ hat mich an meine emotionalen Grenzen geführt.
Was war denn deine größte Angst?
Ich hatte Angst, nicht mehr aufzuwachen. Ich hatte Angst, kein lebhaftes Sexualleben mehr führen zu können.
Hättest du das alles auch ohne befriedigendes Sexleben in Kauf genommen?
Ja, ich hätte den Preis bezahlt. Ich habe zu Gott gebetet, ein Mann zu werden, denn ich konnte als Frau nicht weiterleben. Jeder, der im falschen Körper ist, weiß das und kennt keinen Zweifel.
Warst du selbstmordgefährdet?
Nein.
Was würde der heutige Ben der Yvonne von damals raten?
Öffne dich! Rede! Beginn deinen physischen Veränderungsprozess früher. Mit Hormonblockern hätte sich meine Brust vielleicht gar nicht erst entwickelt, meine Pubertät wäre ganz anders verlaufen und es wären viel weniger Operationen nötig gewesen.
Hat dich denn davor nie jemand darauf angesprochen?
Meine ehemalige Leichtathletiktrainerin hat mich in der Schule mal gefragt, ob ich lesbisch sei. Damals habe ich mich zutiefst geschämt, ich hätte ihr entgegenschreien sollen: „Nein, aber ich bin ...“ – nur leider hatte ich noch keine Worte für das, was ich war. Heute wünsche ich mir Offenheit beim Thema Transgender, noch mehr Toleranz und Akzeptanz für alle Betroffenen.
Wer ist Yvonne, dein altes Ich, heute für dich?
Yvonne ist wie eine tote Schwester für mich. Es gibt sie einfach nicht mehr.
Klingt nicht, als wärst du über ihr Ableben sehr traurig.
Nein (lacht). Es ist die Schwester, die ich immer mit dem Kissen ersticken und ganz tief vergraben wollte.
Redest du mit neuen Partnerinnen offen über deinen Transgender-Weg?
Ich war sieben Jahre in einer festen Beziehung und noch als Frau mit meiner Ex zusammen. Wir kannten uns aus der Schule und sie hat sich in mich als Mensch verliebt. Wer mich heute bei Instagram unter @benjaminryanmelzer sucht, kennt doch sofort meine Story, da muss ich nicht viel erklären.
Frauen wissen, was es bei Menstruation, Schwangerschaft und danach für den Körper bedeutet, wenn Hormone arbeiten. Was heißt das für dich?
Mein erster Shot Testosteron war super schmerzhaft. Eine zähe Flüssigkeit, die mir intramuskulär in den Arsch gespritzt wurde. Es fühlt sich an, als ob dich ein Pferd tritt. Alle zehn Wochen unterziehe ich mich dieser Prozedur, weil meine Eierstöcke und Gebärmutter ja raus sind. Daher müssen mir lebenslang Hormone zugeführt werden. Anfangs hatte ich ja noch meine Eierstöcke, also haben sich Östrogen und Testosteron in meinem Körper heftig gebattled und meine Haare fielen plötzlich aus.
Hatten deine Mutter und deine damalige Freundin Verständnis für das Auf und Ab der Hormone?
Meine Mutter war damals in den Wechseljahren und wir fingen zeitgleich an zu schwitzen, haben beide dauernd Fenster aufgerissen. Ich hatte ständig einen roten Kopf und war wahnsinnig aggro. Die Fliege an der Wand hat mich irre gemacht, ich konnte es nicht kontrollieren. Heute tut es mir leid, dass ich meiner Ex-Freundin gegenüber oft ungeduldig war. Aber meine Hormone waren einfach noch nicht richtig eingepegelt.
Engagierst du dich politisch für das Thema Transgender?
Ich sehe mich nicht als Aktivist, mache eher mein Ding und bin kein Speaker der Community. Es muss international noch einiges passieren, denn Transgender steht in vielen Ländern noch unter Strafe. Ich bin auch kein Feminist, nur weil ich mal eine Frau war. Ich weiß nicht immer, was Frauen wollen. Vielleicht kann ich ab und zu Frauen eher verstehen als andere Männer. Am Ende sind wir doch alle Menschen.
Ben Melzer kam 1987 in Recklinghausen mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt. Heute ist er ein Mann und arbeitet als Model, Fitnesscoach und Influencer. In seinem Buch "Endlich Ben" beschreibt er seinen Transgender-Weg und wie er als Teenager in die Weiblichkeit gedrängt wurde.