Eine lückenlose Vita, der Studienabschluss und die langjährige Berufserfahrung? So 2010! Der veränderte Arbeitsmarkt macht es Quereinsteiger:innen leicht wie nie, sagt Autorin Ronja Ebeling. Das wollten wir genauer wissen...
Wir leben in einer Umbruchphase. Schon jetzt spüren wir, wie sich unsere Arbeitswelt durch die Digitalisierung und den demografischen Wandel verändert. Ganze Berufe verschwinden, neue entstehen und bereits heute werden für viele Stellen händeringend Leute gesucht. Gleichzeitig haben immer mehr Menschen die Sehnsucht, Arbeit und Leben besser miteinander zu verbinden – was auch bedeuten kann, sie stärker voneinander zu trennen. Eine, die das ganz genau im Blick hat, ist Ronja Ebeling. Die 26-Jährige berät Unternehmen, mit besonderem Fokus auf einem Miteinander der Generationen. Um den Anforderungen der Unternehmen und den Forderungen der Gen Z gerecht zu werden, ist sie überzeugt: Der lückenlose Lebenslauf ist als Auswahlinstrument überholt. Es braucht mehr Flexibilität und Chancen, quer einzusteigen.
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Kein Studium = kein passender Job?
Das zeigt auch Ebelings eigene Biografie: Nach einem abgebrochenen Studium entschied sie sich für ein journalistisches Volontariat. Danach blieb sie ein Jahr als Projektleiterin im Verlag und machte sich dann selbstständig. Heute nutzt sie ihre journalistischen Skills und berät Unternehmen zu den Wünschen und Bedürfnissen der Gen Z.
Das Gefühl, Stelleninserate zu lesen, deren Anforderungen der eigene Lebenslauf nicht erfüllt, kennt sie gut: "99 Prozent der Ausschreibungen fordern einen Studienabschluss. Ich habe keinen" – das Dilemma, in dem sich Bewerber:innen dann befinden, beschreibt sie so: "Durch diese Ansprache werde ich konsequent ausgeschlossen, und das bereitet mir und vielen Bauchschmerzen, denn das kratzt erst mal an einem, auch wenn man weiß: Alle anderen Skills bringe ich mit." Interessent:innen rät sie, sich zu fragen: Bin ich die richtige Person für den Job, Stichwort: Skills. Unternehmen rät sie, offener zu denken, Stichwort: offene Stellen.
Mehr Forderungen für ein besseres Miteinander
Auf dem Arbeitsmarkt findet ein Wertewandel statt. So hat besonders für jüngere Bewerber:innen das Thema mentale Gesundheit im Karrierekontext an Bedeutung gewonnen. Und der Fachkräftemangel ermöglicht Arbeitnehmenden neue Freiheiten. Das Machtverhältnis verschiebt sich. Eine Chance für alle, findet die Expertin. "Wir können gemeinsam Forderungen stellen, wie wir zusammenarbeiten wollen – etwa hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn das branchenübergreifend gefordert und umgesetzt wird, fördert das unser soziales Miteinander sehr!"
Vertritt mein Arbeitsplatz dieselben Werte wie ich?
Für Bewerber:innen wird es immer wichtiger, einer Arbeit nachzugehen, die im Einklang mit den eigenen Werten steht. Aber auch auf der Seite der Unternehmen gewinnt die Frage nach dem Antrieb der Mitarbeitenden an Bedeutung.
"Je mehr das Wertesystem der Bewerbenden und des Unternehmens deckungsgleich sind, umso motivierter sind sie auch und umso mehr tragen sie Entscheidungen mit", sagt Ebeling, die darüber in ihrem neuen Buch "Work reloaded. Führungskräfte im Vorstellungsgespräch" (Eden Books, 17,95 €) auch mit der Digitalisierungsexpertin Tijen Onaran spricht. Ebeling geht noch einen Schritt weiter: "Was ein Unternehmen der jungen Generation bieten kann, ist heute eine genauso wichtige Frage" – die stellt sie in ihrem Buch Führungskräften unterschiedlicher Branchen.
Ebeling sieht besonders im Mittelstand Raum für Entwicklung, denn da halten sich die konservativen Ansprüche hartnäckiger. Der klassische Weg wird dort vor allem monetär belohnt: Ein Studienabschluss führt traditionell zu einem besseren Gehalt. Das benachteiligt Mitarbeiter:innen, die sich Job-relevante Kompetenzen im Rahmen von Fortbildungen aneignen. "Weiterbildungen sollten einem Studium nicht grundsätzlich monetär nachstehen", sagt Ebeling.
Der Vorreiter: die IT-Branche
Eine Branche, die bereits zeigt, wie es geht, ist die IT-Branche. Sie sucht explizit nach Quereinsteiger:innen und wirbt mögliche Talente aus anderen Branchen ab. Vereinbarkeit von Familie und Beruf werde hier oft bereits großgeschrieben. "Die haben das Game verstanden", sagt Ebeling. Kein Wunder: Da ist der Fachkräftemangel besonders groß.
Eine neue Ära der Arbeit
Das Fazit der Expertin: Soft Skills gewinnen an Bedeutung. Wissbegierde, empathische Kommunikation, aber auch die Offenheit, darüber zu sprechen, wie man sich bei Aufgaben fühlt. "Den eigenen Kompetenzrahmen zu kennen und zu wissen, wo er endet, ist wichtig", sagt Ebeling. "Die Ich-kann-alles-Zeiten sind vorbei! Wenn jemand mit einer Aufgabe auf einen zukommt, die eben nicht zu den bisherigen Fähigkeiten passt, rate ich dazu zu sagen: Da habe ich noch keine herausragenden Kompetenzen entwickelt. Ich mache das gern, wenn es ein Lernprojekt ist. Wenn es aber unter Zeitdruck steht, wäre es mir lieber, wenn das jemand anderes übernimmt – oder wir im Tandem." Unternehmen rät sie, in Stellenausschreibungen nicht nur die Anforderungen aufzuführen, sondern auch darzulegen, was Bewerber:innen bei ihnen lernen können. Hier schließt sich der Kreis: Wichtiger als ein lückenloser Lebenslauf ist der Wille, weiter zu lernen – das gilt für beide Seiten: Bewerbende und einstellende Unternehmen!
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 4/23.
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