Die Pandemie hat das Homeoffice salonfähig gemacht – dennoch zögern viele, dauerhaft remote zu arbeiten. EWD-Speakerin Harriet Minter sagt: Zu Hause zu arbeiten verbessert die Lebensqualität.
Harriet Minter, Journalistin und Homeoffice-Expertin
Harriet Minter hat ihr erstes Buch ihrem Zuhause gewidmet – so sehr liebt sie die Flexibilität von „Working from Home“. Präsenzarbeit? Käme für sie nie mehr in Frage, sagt sie. Die britische Autorin ist eine große Verfechterin von flexibler Arbeit. Sie arbeitet seit vielen Jahren selbstständig und von zu Hause aus. Dort hat sie auch ihr Buch „Working from home“ geschrieben. Es ist ein Plädoyer für mehr Flexibilität in der Arbeit, ein Argumentarium für Arbeitgeber und ein Arbeitsbuch für alle, die ihre Karriere von nun an von zu Hause aus gestalten möchten. (Greenfinch, ca. 17 €)
Harriet, du arbeitest seit Jahren von zu Hause aus – andere haben diese Erfahrung erst vergangenes Jahr gemacht. Siehst du da Unterschiede?
Eines muss man verstehen: Während einer Pandemie notgedrungen zu Hause zu arbeiten und Homeoffice als Grundidee sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Normalerweise beantragen Arbeitnehmer:innen aktiv Homeoffice, denn im Grunde ist es eine Frage des Lifestyles. Das sehen aber nicht alle Manager:innen so. Die Pandemie hat nun vielen die Chance gegeben, die Heimarbeit auszuprobieren. Angestellte können jetzt sagen: Ich genieße die Flexibilität und liebe die Ruhe außerhalb des Großraumbüros. Und Vorgesetzte wissen nun: Nichts bricht zusammen, nur weil Leute nicht vor Ort sind.
Was sind die großen Herausforderungen der Arbeit im Homeoffice?
Zu Hause haben wir kaum noch externe Strukturen: Niemand ruft mich in sein Büro oder kommt an meinen Tisch. Keiner nimmt wahr, wann ich morgens starte und abends aufhöre. So habe ich kein Korrektiv durch andere.
Es sieht auch niemand, wie viel ich tue, was ich tue und wie erfolgreich meine Prozesse sind ...
Richtig, das ist eine Gefahr. Die übrigens aber auch im Büro besteht. Wer von zu Hause arbeitet, ist gezwungen, seine Arbeit zu promoten. Pläne müssen proaktiv kommuniziert werden, genauso wie Erfolge.
Ist das besonders wichtig für arbeitende Mütter? Es wird ja gerne angenommen, dass sie ihren Kindern immer Priorität einräumen, oder?
Absolut, das wird es! Es herrscht eh schon das Vorurteil, Frauen seien weniger ehrgeizig. Ich hoffe, dass die vergangenen Monate die irre Annahme beseitigt haben, dass Mütter nur im Homeoffice arbeiten wollen, um sich besser um die Kinder kümmern zu können. Wir haben schnell gelernt, dass Homeoffice idealerweise ohne Kind stattfindet. Ansonsten muss man zwei Jobs gleichzeitig erledigen. Das sollte niemand tun müssen.
Ganz ehrlich: Kann ich wirklich Karriere von zu Hause aus machen?
Ja. Die Flexibilität, die wir im Homeoffice gewinnen, erlaubt uns so zu arbeiten, wie es zu unserem Biorhythmus und unserem Lebensentwurf passt. Und es hält uns davon ab, uns permanent zu vergleichen. Jemand aus dem Team bekommt ein neues Projekt – und völlig egal, ob man das überhaupt möchte, denkt man: Warum habe ich kein neues Projekt? Jemand wird befördert und man denkt: Müsste ich das auch anstreben? Homeoffice bringt Klarheit: Was mach ich gut, was gerne? Was wünsche ich mir, wohin will ich mich entwickeln?
Okay, dann arbeite ich vielleicht besser, aber mache noch keine Karriere.
Remote-Arbeit erfordert, dass wir Pläne machen. Eine Vision für seine Karriere zu haben ist also wichtig. Noch wichtiger ist es, eine Vision für sein Leben zu haben. Denn Arbeit ist ein Werkzeug, das hilft, unser Leben zu gestalten. Ich lebe in einer Wohnung in London, aber seit letztem Jahr sehne ich mich nach einem Haus auf dem Land, mit meinem Hund. Also sollte ich mich fragen, wie ich meine Arbeit umgestalten muss, um das zu ermöglichen. Ein Job in der Stadt mit Präsenzzwang ist dann nicht der Richtige. Andererseits kann mir so ein Job vielleicht die Beförderung und das Geld einbringen, die ich brauche, um mir das Haus auf dem Land leisten zu können. Vielleicht ist das der Ansporn, um die Beförderung zu bekommen. Ich predige diese Idee, weil ich glaube, dass die Art, wie und warum wir arbeiten, großen Einfluss auf unser Leben hat.
Selbst in der Pandemie haben viele Betriebe nicht auf Homeoffice umgestellt. Wovor haben die Verantwortlichen im Management Angst?
Es ist eine Frage des Vertrauens. Aber ich frage immer: Warum habt ihr überhaupt Angestellte, denen ihr nicht vertraut? Außerdem haben wir die seltsame Auffassung, dass Anwesenheit gleich Produktivität bedeutet. Dabei ist Produktivität nur an klar etablierten Zielen zu messen. Und die lassen sich von überall kontrollieren.
Wie sieht es denn mit Führen aus dem Homeoffice aus?
Remote-Management basiert auf guter Kommunikation. Organisation und proaktive, klare Kommunikation sind unabdingbar. Man kann nicht mal eben zur Tür rausrufen oder ein Gespräch in der Küche aufgreifen. Remote-Leadership ist die Probe aufs Exempel für gutes Management, und ich bin überzeugt, dass Menschen mit Remote-Erfahrung die besseren Manager:innen sind.
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Es kursieren noch andere Mythen über das Homeoffice. Zum Beispiel, dass Mitarbeitende keine Ambitionen mehr hätten, sobald sie von zu Hause aus arbeiten.
Die Antwort darauf ist simpel: Sag, dass es nicht so ist! Ich plädiere dafür, immer in zwei Sätzen sagen zu können, was man sich von seiner Arbeit verspricht. Es ist wichtig, seine Wünsche und Visionen jederzeit in Worte fassen zu können, wenn man danach gefragt wird. Noch besser ist es, das immer mal wieder in Gespräche einfließen zu las sen. Wir nehmen immer an, unsere Vorgesetzten wüssten, was wir wollen. Aber woher sollen sie es wissen, wenn wir es ihnen nicht sagen?
Es ist wirklich wichtig, dass das Gefühl entsteht, von zu Hause zu arbeiten und nicht, auf der Arbeit zu wohnen
Harriet MinterTweet
Viele tendieren im Homeoffice dazu, mehr zu arbeiten. Wie setze ich Grenzen und halte sie auch ein?
Es gibt einige strukturelle Hilfen, zum Beispiel, sich morgens wie fürs Büro anzuziehen und zu Dienstschluss in bequemere Kleidung zu wechseln. Ein designierter Arbeitsplatz hilft auch. Das ist natürlich nicht immer einfach – nicht jeder hat ein Arbeitszimmer. Aber es hilft schon, den Esstisch abends um zugestalten, etwa mit einer Tischdecke, damit er nicht mehr wie der Arbeitsplatz aussieht. Du arbeitet im Schlafzimmer? Vielleicht hilft es, einen Klapptisch und einen Klappstuhl zu nutzen, die man abends unter dem Bett verstauen kann. Es ist wirklich wichtig, dass das Gefühl entsteht, von zu Hause zu arbeiten und nicht, auf der Arbeit zu wohnen.
Wie distanziere ich mich innerlich?
Indem du dich fragst, warum du mit der Arbeit eigentlich nicht aufhören kannst oder willst. Mach dir immer wieder klar: Ja, du kannst 16 Stunden am Tag arbeiten – aber wann hört die Arbeit auf, wertvoll zu sein? Und wie kreativ gehst du dann in den nächsten Tag? Sei ehrlich und großzügig mit dir.
Nach Corona: Wie argumentiere ich für flexibleres Arbeiten?
Mit viel Offenheit, denke ich. Steh laut für diesen Wunsch ein. Pflege deinen Kalender und mache ihn für Kolleg:innen zugänglich. Aktualisiere deine E-Mail-Signatur regelmäßig, sodass Externe informiert bleiben. Und vor allem: Schäm dich nicht. Homeoffice hat nichts damit zu tun, dass man seiner Arbeit weniger Wert beimisst oder ihr weniger Hingabe entgegenbringt.
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