Eigentlich ist unsere Autorin, wie so viele, oft genervt von belanglosem Geplauder. Bis sie feststellte: In einer Zeit, in denen nur von Krisen und schlimmen Schlagzeilen gesprochen wird, kann Small Talk ein völlig unterschätzter Alltags-Eskapismus sein.
Die aktuelle Zeit ist – das kann man leider nicht euphemistisch ausdrücken – ziemlich beschissen. Das merkt man nicht nur an den Schlagzeilen, sondern oft auch daran, wie sehr man die kleinen schönen Dinge des Alltags plötzlich braucht. Zumindest ist das bei mir so.
Als ich also festgestellt habe, dass ich den eigentlich so verhassten Plausch mit dem Besitzer meines Stammkiosks oder mit der fremden Frau an der U-Bahn-Haltestelle plötzlich statt beinahe unerträglich aufrichtig schön fand, wurde mir auf ganz banale Art und Weise klar: Ja, die Welt hat sich verändert. Und ich mich mit ihr. Denn eigentlich – und ich bin mir sicher, so geht es vielen – finde ich Small Talk im besten Fall langweilig. Unter normalen Umständen bin ich froh, der Situation so schnell wie möglich entkommen zu können. Das liegt natürlich nicht daran, dass ich andere Menschen oder Gespräche mit ihnen nicht mag, im Gegenteil – aber wenn die Gesprächsthemen sich über unpünktliche Busse oder das Wetter hinaus nicht so recht vertiefen, hält sich meine Freude über die Unterhaltung dementsprechend in Grenzen.
Krise ist eben nicht normal
Aber die Umstände sind eben nicht normal. In einer Krise werden die Grenzen der Normalität so weit strapaziert, dass man sich selbst eben manchmal bei Dingen ertappt, die so gar nicht zu einem passen wollen. Spendierfreudige bewachen das Heizungsthermostat plötzlich mit Argusaugen, Optimist:innen können auf einmal so gar nichts Positives an der Krise sehen – und aus einer Anti-Small-Talkerin wird plötzlich jemand, der sich gemeinsam mit der Kassiererin über den ersten Schnee freut.
Laut Wissenschaft hätte ich damit ruhig schon früher anfangen können: Denn Small Talk soll nicht nur unangenehme Stille unterbrechen, sondern sogar unsere Produktivität fördern. Die schwedische Kommunikationsexpertin Hanna Söderlund ist außerdem der Meinung, dass man auch karrieretechnisch von guten Small Talk-Kenntnissen profitieren könne: "Studien zeigen, dass guter Small Talk dazu führen kann, dass jemand leichter einen bestimmten Job bekommt. Das hat vielleicht damit zu tun, dass wir lieber mit Personen zu tun haben, die eine soziale Kompetenz haben und die die sozialen Spielregeln beherrschen."
Small Talk als mentaler Eskapismus
Natürlich habe ich mich, nachdem der erste Schock über die plötzlich dazugewonnenen Plauderkenntnisse vorüber war, auch gefragt: Warum bereitet Small Talk mir auf einmal Freude? Und bin schnell zu der Erkenntnis gekommen: Weil die Belanglosigkeit, die Small Talk nun mal ausmacht, mir in so vielen anderen Bereichen meines Lebens abhanden gekommen ist. Weil ich mir, wie die meisten, aktuell eben mehr Sorgen mache als gewohnt. Diese Sorgen haben in Gesprächen mit Quasi-Fremden aber keinen Platz – man kennt sich ja nicht gut genug dafür. Was sonst für emotionale Distanz sorgt, empfinde ich gerade als wohltuend. Lappalien als Kampf gegen die gedrückte Stimmung sozusagen.
Die Krise wird vorübergehen, da bin ich mir sicher. Vielleicht ist dann nicht mehr alles so, wie wir es kennen – vielleicht sind wir uns dann aber alle auch ein Stück näher. Man darf ja noch träumen. Das ist immerhin umsonst.
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