Wenn wir Pläne schmieden, sind wir uns so nah wie selten. Und genau darauf kommt es an: den inneren Kompass zu justieren und sich selbst zu folgen. Jens Hollmann verrät, wie das gelingt.
EMOTION: Herr Hollmann, Sie selbst haben mehrmals die Spur gewechselt, waren in der Filmbranche tätig, als systemischer Familientherapeut, nun sind Sie Coach. Warum lohnt es sich, etwas Neues zu wagen?
Jens Hollmann: Ein Neustart ist unglaublich befreiend! Denn man traut sich, seine Komfortzone zu verlassen und einen Schritt in eine andere Richtung zu gehen. Ein Erfolg, auf den man stolz sein kann. Schließlich steckt dahinter viel Mut und auch Arbeit.
Ein Neustart ist unglaublich befreiend!
Jens Hollmann, CoachTweet
Welcher Moment in diesem Prozess verlangt uns am meisten ab?
Vor der Veränderung kommt die Selbsterkenntnis. Die zu erlangen, fällt schwer. Viele Menschen merken lange nicht, dass sie sich auf der falschen Spur befinden. Sie verlieren sich im Äußeren, stecken ihre gesamte Energie in den Job oder die Kindererziehung, statt sich auf ihre innere Stimme zu besinnen. Es gibt Menschen, die auf diese Art ihr ganzes Leben aufschieben.
Woher weiß ich, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Wende gekommen ist?
Eigentlich ist immer der richtige Zeitpunkt. Nicht umsonst merken wir unsere Unzufriedenheit selbst dann, wenn äußerlich alles stimmt: der Job, das Wohnviertel, die Ehe. Dann gilt es, in sich hineinzuhören und herauszufinden: Warum bin ich mir trotz all dem nicht mehr nah?
Wie können wir die Sensibilität für uns selbst schärfen?
Selbsterkenntnis beruht auf einem permanenten Prozess und lässt sich nicht bei Bedarf aufwärmen wie eine Fünf-Minuten-Terrine. Heißt: Auf mich selbst zu schauen, muss ein fester Bestandteil meiner Lebensgestaltung werden. Ich kann regelmäßig meditieren oder allein durch die Natur streifen. Entscheidend ist, dass ich einige Zeit offline bin. Kein Handy, keine Freunde, keine Ablenkung. Unser Gehirn muss die Flut von Eindrücken strukturieren, ohne dass etwas Neues dazukommt.
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Finde ich so auch heraus, was ich wirklich will?
Ja. Dafür muss ich aber ehrlich zu mir selbst sein: Habe ich meine Lebenszeit bisher gut investiert? Wie zufrieden bin ich gerade? Stimmt mein Lebensstil immer noch mit meinen Werten überein? Mit Achtsamkeit lassen sich all diese Fragen gut beantworten.
Trotzdem bleibt oft die Angst, sich falsch zu entscheiden.
Wir haben heute fast unendlich viele Optionen, unser Leben zu gestalten. Das erhöht den Druck, den richtigen Weg zu finden. Umso wichtiger ist es, mehr über sich selbst zu wissen. Nur so kann man Möglichkeiten eingrenzen, ohne zu befürchten, etwas viel Spannenderes zu verpassen. Wenn ich weiß, dass ich in meiner kleinen Heimatstadt am richtigen Platz bin, kann ich einer Freundin ihre Karriere in New York neidlos gönnen.
Realismus oder Fantasie: Wovon brauche ich am Wendepunkt mehr?
Aus beidem schöpfen wir Kraft. Aus der Vision entspringt der Mut. Aus dem Realismus der Wille, das Ziel trotz Hindernissen zu erreichen.
Kann ich wieder umdrehen, wenn der neue Weg zu steinig wird?
Der Schritt zurück ist nicht möglich. Dafür hat sich unsere Umgebung, der Blick auf uns selbst zu sehr geändert. Wir haben neue, interessante Seiten an uns entdeckt. Neue Ängste, aber auch neue Zuversicht. Was wir machen können: den Weg ändern oder justieren.
Wie klar sollte am Wendepunkt das Ziel sein?
Es muss nicht konkret sein und man kann es auch während des Wegs korrigieren. Verlasse ich alte Pfade, trete ich ein in etwas, das ich vorher nicht erspüren, nicht beurteilen konnte. Man kann das mit einer Menükarte vergleichen: Der Salat klingt gut, aber wie gut mir die Honig-Senf-Vinaigrette wirklich schmeckt, weiß ich erst, wenn ich sie probiert habe. Mag ich sie nicht, sollte ich mir etwas anderes aussuchen. Genauso offen sollte ich bei meinem Ziel sein.
Jens Hollmann, 46, ist Trainer und Coach für Führungskräfte. Sein Schwerpunkt: Karrierewechsel. Infos: www.kloster-seminare.de