Not-to-do-Liste: Seit Coach Doris Ehrhardt Zeitfresser aus ihrem Alltag eliminiert hat, ist sie seltener gestresst. Hier teilt sie ihre Methode der Not-to-do-Liste.
Not-to-do-Liste: endlich das schaffen, was man möchte
Mein Wasserkocher hat eine klare Grenze. „Max. 1.0 Liter“ steht neben dem Eichstrich. Fülle ich mehr ein, blubbert das Wasser zum Ausguss raus. Ist mir frisch nach dem Kauf mehrfach passiert. Als ich zum dritten Mal eine Pfütze wegzuwischen hatte, fiel mir ein, dass ich auch an anderer Stelle das Maximum nicht ernst nahm: bei meiner Zeitplanung. Als hätte der Tag mehr als 24 Stunden, machte ich meine To-do-Listen dermaßen voll, dass ständig Vorhaben überschwappten – in den nächsten Tag, in die nächste Liste.
„Stress vermeiden oder abbauen“ ist seit 2014 der häufigste Vorsatz der Deutschen fürs neue Jahr (laut repräsentativen Umfragen der DAK). Wir ächzen unter Zeitknappheit, im Job und im Privatleben. Wenn wir abends das Licht ausmachen, ist klar: wieder nicht alles geschafft. Wir gehen mit dem Gefühl ins Bett, Schuld(en) zu haben. Woran liegt es, dass Menschen wie mir die Zeit partout nicht reicht? Sind wir zu blöd, uns selbst zu organisieren?
„Wir haben nicht zu wenig Zeit, sondern zu viel zu tun.“
Karlheinz Geißler, Professor für WirtschaftspädagogikTweet
Leistungsbereitschaft - gehört heute zum Leben dazu
„Wir haben nicht zu wenig Zeit, sondern zu viel zu tun“, sagt Karlheinz Geißler, Zeitforscher und emeritierter Professor für Wirtschaftspädagogik. Stimmt natürlich. Können wir nicht anders, weil das System es so verlangt? Oder schütten wir uns auch selbst mit To-dos zu? „Bin im Stress“, der Halbsatz gehört fast zum Lifestyle – wer viel um die Ohren hat, gilt als leistungsbereit, gefragt und irgendwie wichtig. So zu denken, ist auch nicht völlig absurd. Der Soziologie-Professor und Sachbuchautor Hartmut Rosa sagt: „Wir wollen erfolgreich sein, weil wir erfolgreich sein müssen: weil wir es für richtig halten, erfolgreich zu sein, und die Privilegien haben wollen, die mit Erfolg einhergehen.“ Die wesentliche Triebfeder ist Hartmut Rosa zufolge nicht Gier nach mehr, sondern Angst. Wir seien getrieben „von der Angst, nicht mehr mitzukommen, abzurutschen, zurückzufallen“. Hartmut Rosa sieht eine hohe Gefahr, dass wir vor lauter Wettrennen vergessen, ein gutes Leben zu führen.
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Vor lauter Wettrennen vergessen wir, ein gutes Leben zu führen
Dieses Wettrennen hat keinen Zieleinlauf. Wir haben nie alles abgearbeitet, weil ja laufend Neues auf den Zettel kommt. Zusätzlich zu all den Aufgaben, um deren Erledigung wir wirklich nicht herumkommen, gibt es noch so viele Dinge, die wir tun sollten (täglich 10 000 Schritte gehen, selbst kochen), tun könnten (Netzwerk-Event besuchen, Portugiesisch lernen) oder gern tun würden (ausschlafen, mit Freunden einen draufmachen). Man müsste mal... zur Besinnung kommen. Zeit ist unwiederbringlich. Lebenszeit.
Ich bin der Typ, der Erwartungen riecht und meint, sie erfüllen zu müssen. Könnte ja sein, dass mal jemand sagt, ich hätte mich gedrückt. Nein sagen fiel mir schwerer, als an Tempo zuzulegen. Schneller mehr schaffen wäre vielleicht ein Weg – würde der Rest der Welt nicht auch beschleunigen.
Mehr Zeit für das haben, was einem wichtig ist
Ändern wollte ich die Überlastung spätestens, seit ich den Bestseller „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ von Bronnie Ware gelesen hatte. Am Ende ihres Lebens bedauern viele Menschen vor allem Folgendes: Ich bin nicht meinem Traum gefolgt, sondern den Erwartungen anderer. Ich habe immer zu hart gearbeitet. Ich wäre gern mehr für meine Freunde und Familie da gewesen. Ich habe mir nicht zugestanden, glücklich zu sein.
Darüber dachte ich nach, als ich am Wasserkocher rumwischte. Es musste doch hinzukriegen sein, nicht zu viele Vorhaben in den Tag zu kippen! Meine Schränke habe ich längst von Zeug befreit, jetzt ist mein Kalender dran. Mehr Purismus wagen. Verzichten. Ja, und worauf konkret? Ich warf den Lappen in die Ecke und schrieb meine erste Not-to-do-Liste.
Weniger im Kalender - Mehr an Zufriedenheit
Das war vor vier Jahren und sehr hilfreich. Mittlerweile erarbeite ich mir jedes Jahr eine solche Not-to-do-Liste. Seitdem fallen mir Entscheidungen viel leichter als zuvor. Ich lasse mich nicht mehr auf überflüssige Termine ein und meine nicht mehr, etwas zu verpassen. Ich habe mehr Freiräume und mache mehr von dem, was mir wichtig ist. Ich fühle mich menschlicher und verhalte mich mitmenschlicher. Unterm Strich kann ich sagen: Das Weniger im Kalender bedeutet für mich ein großes Mehr an Zufriedenheit.
Die eigene Not-to-do-Liste schreiben - so geht's
Mit Hilfe der folgenden Schritte kann deine ganz eigene Not-to-do-Liste entstehen. Du brauchst für jeden Schritt je ein Blatt Papier, einen Stift, einen roten und einen grünen Marker.
1. Das ist mir wichtig
Oft hält man das für wichtig, was Druck macht – dabei ist das meist bloß das Dringende.
Viel wichtiger ist, was eine Bedeutung hat. Um sich das bewusst zu machen, helfen Fragen wie: Worauf kommt es mir im Leben an (z. B. auf Status, Nähe, Unabhängigkeit, Hilfsbereitschaft)? Was hat mich im vergangenen Jahr tief berührt? Was gibt mir Energie (z. B. ein tiefes Gespräch, Yoga, Wandern)?
Schreibe die Antworten auf das erste Blatt Papier und markiere dann die sieben allerwichtigsten Punkte mit einem grünen Marker.
2. Dafür möchte ich mehr Zeit haben
Im zweiten Schritt geht es um deine persönlichen Bedürfnisse und Wünsche. Schreib sie auf, denn sie sind deine Belohnung für den Verzicht an anderen Stellen. Wenn du dir z.B. mehr Bewegung wünschst und dir „Dabeisein“ nicht wichtig ist, lass ein Event einfach sausen und gehe stattdessen schwimmen – und zwar mit gutem Gefühl und ohne schlechtes Gewissen.
Markiere die wichtigsten Wünsche grün - drei sind ein guter Anfang
3. Das will ich in den nächsten zwölf Monaten erreichen
Wer seine Ziele kennt, hat Klarheit. Entscheidungen fallen dadurch leichter. Warum das so ist? Wenn du dich bei deiner Not-to-do-Liste bloß GEGEN etwas entscheidest, sind noch verwirrend viele Optionen offen. Sprichst du dich aber FÜR ein (möglichst konkretes) Ziel aus, kommen all die anderen Optionen automatisch nicht mehr infrage. Mach also, was zielführend ist, und verzichte auf den Rest.
Markiere die drei wichtigsten Ziele mit grünem Stift.
4. Das mache ich nur, weil es angeblich erwartet wird
Jetzt wird es Zeit, sich mit Erwartungen ausein-anderzusetzen – mit eigenen und fremden, mit gefühlten und tatsächlichen. Keine leichte Aufgabe, weil du hier womöglich auf eigene Ängste und Widerstände von anderen triffst. Auf das Blatt Papier kommen die Antworten auf die Frage: Was sind typische Tätigkeiten, die ich nur mache, weil ich dazu nicht Nein sage – obwohl ich ablehnen könnte und eigentlich auch möchte?
Identifiziere Energieräuber. Markiere die Antworten mit rotem Stift.
5. Damit halte ich mich unnötig auf
Nun geht es darum, unbequeme Wahrheiten ans Licht zu holen – mit der Frage: Wie kommt es, dass ich oft länger für eine Sache brauche als geplant? Vielleicht unterschätze ich den Aufwand? Schweife ab? Halte mich mit unnötigen Details auf? Oder regeneriere mich zu kurz? Aus den Antworten kannst du ableiten, womit du dich selbst ausbremst. In diesem Fall heißen die Punkte „Aufwand unterschätzen“, „Abschweifen“, „In Details verlieren“, „Pausenbedarf ignorieren“.
Markiere diese Stichworte mit rotem Stift.
6. Das lasse ich ab sofort sein
Bis hierher hast du nur Ideen aufgeschrieben, jetzt wird’s verbindlich. Alles, was du nun aufs Blatt schreibst, wirst du ab sofort auch nicht mehr machen. Schau dir zunächst also noch einmal die grünen Stellen an – das Wichtige, die Bedürfnisse, die Ziele. Geh dann die rot markierten Stellen durch – das sind die Punkte, auf die du verzichten könntest. Frag dich noch mal: Will und kann ich das wirklich? Beim Entscheiden hilft eine radikale Vorstellung: Was würdest du nicht mehr tun, wenn du nur noch sechs Monate zu leben hättest? Beim Loslassen hilft dann ein würdevolles Verabschieden, etwa in der Art: „Danke, bis hierher war meine Detailverliebtheit okay, aber jetzt wird es Zeit für mehr Freiheit.“
Schreib in Grün und guter Stimmung auf, was du ab sofort bleiben lässt.
So kannst du es im Alltag anwenden:
Häng die Listen mit den grünen Punkten – also Nummer 1, 2, 3 und 6 – so auf, dass du sie bei der Wochenplanung im Blick hast. So erinnerst du dich, was du durchs Verzichten alles gewinnen kannst. Dank dieser Erinnerungsstütze verdunsten die Orientierungspunkte im Alltag nicht so schnell.
Doris Ehrhardt arbeitet als Business Coach in München, gibt Impuls-Vorträge und Workshops zum Thema Kommunikationscoaching.
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