Ein bisschen Weltrettung könnten wir gerade alle gut gebrauchen, aber das hat Tim Bendzko nie als seinen Job angesehen. Überhaupt ist er kein Typ für "nur mal kurz", weder in der Liebe noch beim Songs schreiben, verrät er im Interview mit Bärbel Schäfer.
Endlich wieder raus, zurück ins Leben! Bei Tim Bendzko stehen alle Zeichen auf Aufbruch: Ende März erschien "April", sein neues Album, und gleich am 1. April ging’s auf Club-Tour. Doch ein Stückchen Zuhause hat er gern on tour dabei. Der Sänger ist unter die Camper gegangen. Ein Gespräch über Backstage-Camping, Songschreiben und Vaterwerden.
Tim, du bist in der Pandemie Vater geworden, mazel tov! Aber in einem deiner neuen Songs heißt es, "das Wasser steht uns bis zum Hals", hast du das Gefühl, dass es so um uns steht?
Das ist eine Antwort auf "Nur noch kurz die Welt retten". Alle geben gerade vor, die Welt zu retten, tun es aber nicht.
Wo versagen wir?
Ich bekomme jeden Tag zig Mails mit der Frage: "Tim, du wolltest doch die Welt retten, wann fängst du damit endlich an?" Ist witzig gemeint, impliziert aber, dass wir darauf warten, dass jemand anderes kommt und die Welt für uns rettet. Wir hoffen nur permanent. Aber, sorry, du musst schon selbst dein eigener Weltretter werden.
Wo setzt du an?
Mit kleinen Schritten. Elektroauto fahren, Solaranlage aufs Dach – ist kein riesiger Input, auch nicht immer perfekt, aber es geht eben darum, bei sich selbst anzufangen.
Blickst du denn als Vater eines Kleinkinds eher optimistisch oder sorgenvoll in die Zukunft?
Mit Blick auf die Zukunft unseres Planeten schwappt die Sorge immer wieder hoch. Aber das verdränge ich konsequent. Ich weiß ja nicht mal, was in den nächsten drei Stunden passieren wird. Nur angsterfüllt zu leben, diese Haltung ist mir fremd. Ich bin eher Optimist.
Fängt dein neues Album das ein?
Wenn ich anfange, neue Songs zu schreiben, quält mich meist erst mal die Frage: Was kann ich festhalten, das Bedeutung hat? In "Zu viel" geht es um die aktuelle Überforderung, die wir, glaube ich, alle kennen. Immer schneller wollen oder müssen wir unzählige globale Ereignisse verarbeiten. Wie sollen wir da hinterherkommen? Und trotzdem will ich gerade nach der Pandemie wieder voll ins Leben eintauchen, es intensiv spüren. Das ist so eine Überdosis Lebenslust, von der ich nicht genug bekommen kann.
Ist es nicht naiv, so zu tun, als könnten wir nahtlos wieder da anknüpfen, wo wir vor drei Jahren aufgehört haben?
Klar, Leichtigkeit stellt sich nicht auf Knopfdruck ein. Aber wir können nicht nur vorm Fernseher sitzen und auf die nächste Hiobsbotschaft warten. Es ist wichtig, nicht aus den zu Augen verlieren, dass auch positive Sachen passieren.
Was baut dich da auf?
Durch die Geburt unseres Sohns gibt es für mich ständig positive Erlebnisse. Die Pandemie war für mich auch unerwartete freie Zeit. Wir waren schwanger und hatten Zeit, diese besonderen Monate zu genießen. Ich weiß nicht, ob ich sonst nach der Geburt so lange zu Hause geblieben wäre. Mit Tour, Konzerten, Festivals hätte ich nie so viel fantastische Familienzeit gehabt. Ich war auch eine Weile nicht kreativ und dachte, dass das Nichtstun auch Vorteile hat. Das war eine unerwartete Luxussituation.
Älterwerden, Vatersein – sind das auch Themen in deiner Arbeit?
Meine Texte sollen keine fancy Metaphern sein, sondern etwas Handfestes über mich und meinen Blick auf das Leben aussagen. Mein kreativer Anspruch ist immer, den nächsten Schritt zu gehen, und dafür muss ich genau wissen, was ich schreiben will. Das klingt banal, ist es aber nicht.
Suchst du für neue Songs auch nach deinen inneren Dämonen?
Das gehört dazu, aber ich mache keine Liste mit Themen, die mich "belasten", um dann "persönlich aufzumachen". Meine Texte sind Eingebungen, Zeilen, Fetzen, nach denen ich greife und die ich musikalisch weiterentwickeln kann.
Kannst du gut vertrauen?
Ja, sonst würde ich auch komplett irre werden. Ein Grundvertrauen ins Leben ist die Voraussetzung dafür, morgens das Bett zu verlassen. Auch kreativ vertraue ich gemeinsam mit den Produzenten doch darauf, dass mit einem neuen Album etwas ganz Neues entstehen kann.
Du schreibst über die Liebe. Wonach sehnt sich der Mensch, wenn er sich nach Liebe sehnt?
Meistens erst mal nach dem Gefühl der Vollkommenheit. Ohne Liebe denken wir oft, uns fehlt etwas. Wir müssen aber erst mal selbst mit uns gut klarkommen, bevor wir lieben können. Liebe ist eine Entscheidung. Du musst dich entscheiden, nicht weiterzusuchen.
Hast du einen Tipp, was das Scheitern in der Liebe ein Stück unwahrscheinlicher werden lässt?
Sich eben nicht dem Glauben hinzugeben, um die Ecke könnte noch was Besseres lauern. Dennoch hat jede Beziehung doch Alltag und auch graue Tage. Der Trick ist, sich immer wieder Zeit füreinander zu nehmen. Es ist auch für uns schwer, jemanden zu suchen, der aufs Kind aufpasst, damit wir als Eltern bewusst etwas als Paar machen können.
Kannst du berufliche und private Beziehungen gut beenden?
Jein, ich denke vorab wochenlang darüber nach und schlage dann eher vor, mal im Miteinander zu pausieren. Wie und was ich dann kommuniziere, das fällt mir wirklich superschwer. Ich mache das aber selbst und schicke niemanden vor, der unangenehme Ansagen für mich machen muss.
Du wirkst so gechillt, gibt es nichts, was dich wütend macht?
Ich bin selten wütend und wenn, mache ich es eher mit mir aus. Am Anfang meiner Karriere bin ich innerlich oft an die Decke gegangen. Heute atme ich dann einmal durch, bevor ich eine Mail absende. Tatsächlich versuche ich eher, Ärger aus dem Weg zu gehen.
Das Album ist gerade fertig geworden. Wie geht es dir damit?
Ich bin jetzt in der Phase, in der ich dauernd denke: "Dieses Album ist unfassbar gut und muss gehört werden!"
Und ich habe gehört, du gehst mit deinem eigenen Van auf Tour.
Ja, ich hatte vor einem Jahr die glorreiche Idee, mir einen Camper umzubauen, weil ich in Hotels wahnsinnig schlecht schlafe. Wenn ich zu TV-Auftritten oder Konzerten fahre, reise ich gerne eine Nacht früher an, aber mich nervt das Kofferpacken, und ich habe immer davon geträumt, mein Schlafzimmer einfach dabeizuhaben.
Und du hast den Camper wirklich selbst umgebaut?
Also, selbst auszubauen ist zu Hause nicht so auf Gegenliebe gestoßen, weil ich schon so viele andere Projekte am Start habe. Also habe ich ihn umbauen lassen. Und im letzten Jahr war ich dann elf Tage unterwegs, als Test sozusagen.
Und wie war's?
Die erste Nacht war eine Katastrophe, aber danach lief es perfekt. Ich bin 4000 Kilometer gefahren und es hat sich trotzdem angefühlt wie Urlaub. Und bei Open-Air-Konzerten habe ich backstage jetzt einfach mein eigenes Wohnzimmer als Rückzugsort dabei, statt im nackten Stahlcontainer zu sitzen.
Was ist denn das wichtigste Gimmick in deinem Van?
Meine Siebträger-Espressomaschine.
Und schon Camper-Urlaube geplant?
Das stelle ich mir romantisch vor, aber, ob ich ihn privat nutzen werde, da lasse ich mich noch überraschen. Ich bin die ganze Zeit beruflich unterwegs, da komme ich nicht nach Hause und denke: Oh, wo fahre ich jetzt hin. Dann will ich lieber zu Hause sein.
Danke für das Gespräch, Tim.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 4/23.
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