Als verheirateter schwuler Mann mit einem Sohn fällt unser Autor oft auf. "Wo ist denn die Mutter?" wird er dann zum Beispiel gefragt. Er findet: Das zeigt nicht nur, wie klischeehaft viele sich Familien immer noch vorstellen, sondern auch, dass Hetero-Mamas die wahren Verliererinnen in diesen traditionellen Modellen sind.
Als verheirateter schwuler Mann mit einem Sohn fällt unser Autor oft auf. Dabei sieht er in hetero Mamas die wahren Verliererinnen im traditionellen Familienmodell, erklärt er in diesem Text.
Nach Jahren mit Lockdowns, Quarantäneregelungen und Coronabeschränkungen durften wir dieses Jahr zu Ostern endlich wieder zu meiner Familie nach England fliegen. An der Passkontrolle in Berlin schaute ein junger Polizist unsere Pässe genau an, studierte mich, meinen Ehemann und unseren gemeinsamen Sohn prüfend und fragte: "Wo ist die Mutter?" Als wir sagten: "Unser Sohn hat zwei Papas", entschuldigte er sich und winkte uns hastig durch die Kontrolle. Es war eine fast beiläufige Erinnerung, dass wir nicht in das Bild der "gängigen" Familie passten, dass wir immer wieder gegen die offiziellen und gesellschaftlichen Strukturen krachen, die die Vorstellung davon, was Familie ist, definieren.
Eine ganz normale Familie – oder nicht?
Es hätte aufgrund unserer Pässe eigentlich klar sein müssen, dass zumindest ich Theos Vater bin, da wir den gleichen Nachnamen haben. Ich glaube, dass der junge Polizist nicht stutzte, weil zwei Männer mit einem Kind ins Ausland reisen wollten, sondern eher, weil er einen Vater sah, der mit Kind, aber ohne Mutter verreisen wollte. Ich frage mich, ob der Polizist schon mal eine Frau, die mit einem Kind verreist, gefragt hat: "Wo ist der Vater?" Ich vermute nicht. Aber ein Vater, der allein mit seinem Kind verreist, wirkt scheinbar einfach schon dadurch verdächtig, dass die Mutter nicht dabei ist.
Wenn es um die Frage geht, was die Probleme sind, die man erlebt, wenn man ein Kind ohne Mutter großzieht, ist die Erfahrung bei der Passkontrolle im Grunde die Antwort. Seit wir vor drei Jahren unseren Sohn nach Hause gebracht haben, bin ich immer wieder überrascht wie sehr unsere Familie "normalen" Familien ähnelt: die schlaflosen Nächte. Die Wutanfälle des Kindes im Supermarkt. Der schnelle Wechsel von tiefer Freude und Sorge um die Unversehrtheit des Kindes.
"Mutti hat frei" – Warum ist es so ungewöhnlich, einen Vater allein mit seinem Kind zu sehen?
Die Momente, in denen wir uns anders fühlen, entstehen durch kleine Komplikationen mit Institutionen und durch Kommentare von Menschen, die sich eine Familie mit zwei Vätern, ohne Mutter, nicht vorstellen können: Da ist das elektronische Anmeldeformular für die Kita, das ohne das Ausfüllen der Felder "Mutter" und "Vater" nicht abgeschickt werden kann. Da ist der es gut meinende Mann in einem Berliner Café, der heiter vom Nebentisch rüberruft: "Mutti hat frei, wa?" Da ist die Maklerin, die uns den Abstellraum für Kinderwagen in einem Wohnblock zeigt und sagt: "Und das ist der Raum für die Mütter", während wir mit unserem Sohn im Kinderwagen vor ihr stehen.
Was mich dabei vielleicht am meisten überrascht: Andere Familienkonstellationen als Papa, Mama, Kind sind keineswegs neu. Ja, es ist erst seit 2018 möglich, dass zwei verheiratete Männer ein Kind adoptieren, aber was ist mit den 180.000 alleinerziehenden Vätern in Deutschland? Was mit den 20.000 Witwern? Es gibt zahllose Gründe, warum ein Vater an der Passkontrolle mit seinem Kind, aber ohne Mutter, erscheinen könnte. Mir ist klar, dass sich der junge Polizist einfach auf seine Erfahrungen stützt. Doch dass es so selten ist, dass Väter allein mit ihren Kindern reisen, sagt viel darüber aus, was für einen großen Unterschied es zwischen den Geschlechtern bei der Verteilung der Elternrollen immer noch gibt.
Funktioniert die gleichberechtigte Aufgabenaufteilung unter Eltern wirklich?
Bevor ich selbst Vater wurde, hatte ich natürlich erwartet, dass mir im Alltag viel öfter Mütter mit Kindern begegnen würden, obwohl viele Eltern, die ich kenne, überzeugt sind, dass sie die elterlichen Aufgaben gleichmäßig aufteilen. Tatsächlich sehe ich in Berlin oft Väter auf dem Spielplatz oder Männer, die ihre Kinder regelmäßig von der Kita abholen. Aber guckt man etwas genauer, verändert sich dieser erste Eindruck: Beim Kinderarzt, zum Beispiel, sehe ich fast nie Väter. Bei Krabbelgruppen und Elternabenden bin ich in der Regel der einzige Mann. Das Gleiche gilt eben auch für Reisen.
Was mich beim Thema Reisen am meisten fasziniert, ist die Zahl der Mütter, die wir allein mit ihren Kindern in den Kinderabteilen des ICE kennengelernt haben. Unser Sohn wird dieses Jahr vier Jahre alt, und weder mein Mann noch ich haben jemals eine Fernreise mit ihm allein unternommen. Sicherlich ist das machbar, aber, sind wir mal ehrlich, das Reisen mit kleinen Kindern ist anstrengend und selbst zu zweit oft eine Herausforderung. Die Vorstellung, sich mit Kleinkind oder sogar mehreren Kindern, Gepäck, Windeln, Essen und ohne jegliche Unterstützung für viele Stunden in einen Zug oder in ein Flugzeug zu setzen, kam für keinen von uns beiden infrage. Für viele Mütter scheint das aber ganz normal zu sein. Sind Väter weniger widerstandsfähig? Neulich kamen wir mit einer jungen Mutter im Zug ins Gespräch, die mit ihrer kleinen Tochter seit sechs Stunden auf dem Weg zu ihrer Mutter war, damit ihr Partner und Vater des Kindes eine Woche "frei" hat, um an seiner Doktorarbeit zu schreiben. "Er braucht einfach die Ruhe", erklärte sie uns voller Verständnis. Und ich habe mich gefragt: Was ist denn mit ihrem Bedürfnis nach Ruhe? Ich promoviere derzeit auch und kann sagen: Forschen und Schreiben mit ein bisschen Kinderkrach im Hintergrund ist viel weniger anstrengend, als allein mit einem Zweijährigen quer durch Deutschland zu reisen.
Die Last liegt noch immer auf (hetero) Müttern
Das Gespräch erinnerte mich an einen Autor, den ich vor einigen Jahre auf einer Konferenz kennengelernt hatte. "Du solltest dich für das Writers’ Retreat in Yaddo in den USA bewerben", riet er mir. "Es ist wirklich der Hammer." "Würde ich total gerne machen," antwortete ich ihm, "aber wir haben ein Baby zu Hause." "Ach, wir auch!" rief der Autor, "Aber es dauert nur vier Wochen lang. Man ist kaum weg." Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, für vier Wochen wegzufahren, als unser Sohn noch ein Baby war. Nicht nur weil ich meine Familie vermisst hätte, sondern auch, weil mir klar gewesen wäre, welche Mehrbelastung dies für meinen Mann dargestellt hätte.
Sicherlich kann man jetzt sagen: Na ja, Fernreisen sind ja nicht so häufig, dass man behaupten könnte, sie stellen die größte Herausforderung ans Muttersein dar! Das stimmt natürlich. Aber diese alleinreisenden Mütter, bepackt mit Kindern und Koffern, im ICE, sind für mich auch ein Sinnbild für die Last, die Mütter immer noch meistens alleine tragen.
Keine Frage, mein Mann und ich sind als Eltern immer noch mit Herausforderungen konfrontiert, denen sich heterosexuelle Eltern nicht stellen müssen. Aber auf Reisen merke ich, dass die echten Verlierer:innen in unseren aktuellen Familienstrukturen nicht wir gleichgeschlechtlichen Papas sind, sondern – leider immer noch – die Mütter in heterosexuellen Beziehungen.
Selbstverständlich ist die Situation für Frauen (und damit auch für Kinder) deutlich besser und gleichberechtigter geworden. Mein Opa hatte nichts mit der Betreuung und der Erziehung seiner Kinder zu tun. Mein Papa konnte für uns Abendessen kochen, wenn meine Mutter krank war, aber im normalen Alltag hat er das nicht gemacht. Mein Bruder kocht für seine Familie viel öfter als seine Frau. Und trotzdem höre ich viele Geschichten, egal ob in Berlin oder London, die mich daran erinnern, wie viel es trotz aller Fortschritte noch zu tun gibt.
Es gibt noch einiges zu tun!
Ich denke auch an die Mutter, die während der Elternzeit kaum allein die Wohnung verlassen hat, weil sie sich nicht sicher war, ob Papa es schafft, sich ums Baby zu kümmern. Mir fallen aber auch die "lustigen" Erzählungen von einigen Müttern ein, die ihre Kinder mit ihren Männern über Nacht allein gelassen haben und am nächsten Nachmittag wieder nach Hause kamen, nur um zu sehen, dass die Kinder immer noch im Schlafanzug waren und noch die Nachtwindeln trugen. Die zahllosen Väter, die ihren, oft für zwei Monate geplanten, Anteil an der Elternzeit nicht dazu nutzen, um sich um das Kind zu kümmern, sondern stattdessen lieber mit der Familie verreisen (natürlich mit Mutti an der Passkontrolle!).
Seit Jahren argumentieren schwule Männer und lesbische Frauen dagegen an, dass eine Familie mit gleichgeschlechtlichen Eltern die traditionelle, heterosexuelle Familie untergräbt. Aber ich muss gestehen, etwas davon würde ich doch gern untergraben: nämlich dieses anhaltende Ungleichgewicht in der Kinderbetreuung. Ich würde gern mehr Väter mit ihren Kindern beim Arzt sehen; mehr Väter, die bei den Krabbelgruppen mitsingen und mitklatschen; mehr Väter, die die Elternzeit mit ihren Partnerinnen gleichberechtigt aufteilen, Väter, die ab und zu allein mit ihren Kindern im ICE sitzen oder an der Passkontrolle am Flughafen BER ihre Pässe vorzeigen. Bis das ganz normal ist.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 07/22.
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