Ninia "LaGrande" Binias hat als Slam-Poetin die Bühne erobert. Im EMOTION-Interview spricht sie über Fashion, Inklusion und Feminismus.
Ninia "LaGrande" Binias im Interview
Angestarrt zu werden, daran hat sich die 1,38 Meter große Ninia "LaGrande" gewöhnt. Also hat sie als Slam-Poetin die Bühne erobert. Bis sie sich selbst so cool fand, wie sie ist, hat es dennoch gedauert.
Sechs Stunden Fotos mit verschiedenen Stylings – das ist schon für Profimodels viel, aber Ninia „LaGrande“ Binias hat Spaß. Das ist vielleicht das „Rampensau-Gen“, von dem die 36-Jährige gleich erzählt, als wir sie beim EMOTION-Cover-Shooting für die April-Ausgabe in Hamburg treffen.
EMOTION: Ninia, du bist Feministin und bekennende Fashionliebhaberin. Was bedeutet dir Mode?
Ninia "LaGrande" Binias: Schon als Kinder haben meine Schwester und ich statt des üblichen Rosa und Tüllzeugs Leggings mit ganz weiten Pullovern getragen, Donald-Duck-Ketten und Chucks. Meine Mutter hat uns ziemlich cool angezogen. Mir macht es Spaß, mit Trends zu spielen und sie auf meine Art zu interpretieren. Bei einigen kann ich natürlich nicht mitmachen. Buffalo-Schuhe zum Beispiel. Die gibt’s gar nicht in meiner Größe.
Wie feministisch kann Mode sein?
Ich besitze natürlich ein paar Sachen mit feministischen Botschaften drauf und finde es gut, wenn Frauen diese Message in die Welt tragen. Aber Mode ist vor allem dann feministisch, wenn sie einen darin unterstützt, sich zu zeigen und sich selbst zu verwirklichen. Oder wenn sie einen in bestimmten Situationen stärker macht. So wie mich, wenn ich auf der Bühne stehe. Ich überlege mir immer vorher: „Was hilft mir dabei, Raum einzunehmen, mich gut zu fühlen und mich gut zu bewegen?“ Im Alltag ist Mode für mich aber vor allem eine Möglichkeit, um von meiner Kleinwüchsigkeit abzulenken. Wer wie ich aus der Norm fällt, zieht ja sowieso die Aufmerksamkeit auf sich. Und wenn die Leute eh schon gucken, gebe ich ihnen auch was zum Gucken. Ob sie dann wegen meiner Größe gucken oder wegen der Klamotte, kann ich in dem Moment nicht mehr unterscheiden. Zum Glück.
Lies auch: Wie dich die 10-10-10-Übung selbstbewusster macht
Was ziehst du an, wenn du mal einen schlechten Tag hast?
Dann trage ich meist schwarz. Und roten Lippenstift. Der rettet mich fast immer. Ansonsten liebe ich etwas weiter geschnittene Jeans, Kapuzenpulli plus Sneakers, das ist mein absolutes Wohlfühl-Outfit. Überhaupt: Alles, was an Schlafanzug erinnert, finde ich super.
Du bist nur 1,38 Meter groß. Wann ist dir zum ersten Mal bewusst geworden, dass du anders bist als andere?
Im Kindergarten, dort bin ich nie an meinen Haken gekommen. Aber ich hatte großes Glück, denn für die Kinder war ich damals im positiven Sinne etwas Besonderes und auch später, in meiner Schule, hatte ich ein eher bestärkendes Umfeld. Trotzdem habe ich natürlich Diskriminierung erlebt und erlebe sie auch heute noch, nur manchmal vielleicht etwas weniger offen. Dann starren mich die Menschen an, fangen an zu lachen oder machen dumme Sprüche. Der Klassiker als Teenie war „Standgebläse“ – ich könne blasen ohne bücken. Das hat mich natürlich total verunsichert. Pubertät ist ja für alle anstrengend, aber für mich war sie noch mal anstrengender, auch weil ich dachte, ich würde nie einen Freund haben und mich würde nie jemand cool finden.
Was hat dir geholfen?
Meine Eltern, vor allem meine Mutter. Immer wenn ich ihr von irgendeiner blöden Situation erzählt habe, hat sie gesagt: „Es gibt Große, Kleine, Dicke, Dünne, Schlaue und ganz, ganz viel Doofe.“ Und dann machte sie mir Vorschläge, wie ich beim nächsten Mal darauf reagieren könne. Mir hat aber auch mein Rampensau-Gen geholfen. Ich habe schon als ganz kleines Kind Modenschauen mit den Sachen meiner Mama veranstaltet oder mit den anderen Mädchen aus dem Haus zum Muttertag eine Choreografie einstudiert und dann allen gezeigt. Später, auf dem Gymnasium, war ich in der Theater-AG und habe ganz selbstverständlich auch die Hauptrollen gespielt, ohne dass etwas umgeschrieben wurde. Es wurde total inklusiv gearbeitet, nur hat das keiner so genannt. Ich habe auch ganz früh Schulbälle und Sommerfeste moderiert. Dort konnte ich wachsen. Privat bin ich auch heute niemand, der auf einer Party alle unterhält. Ich stehe lieber am Rand und trinke ein Bier. Aber auf der Bühne bin ich eine andere Person, da kann ich das. Die Bühne gibt mir das Selbstbewusstsein für den Alltag. Auch wenn’s blöd klingt, aber ich brauch’ den Applaus und die Anerkennung.
Zu deinen großen Themen als Poetry-Slammerin und Moderatorin von Veranstaltungen gehört die Inklusion ...
... und der Feminismus! Beides ist superwichtig, beides macht mich aus und ganz ehrlich: Man kann manchmal ziemlich gute Witze darüber machen. Dann hören die Leute auch zu und nehmen das, was ich an politischen Botschaften loswerden will, auch mit nach Hause. Jedenfalls eher, als wenn ich nur sagen würde, ich bin eine kleine Frau und ich brauche Rechte. Das haben sie schon hundertmal gehört.
Auch interessant: 10 Tipps für mehr Gleichberechtigung
Viele vermeiden das Wort „behindert“ und sprechen lieber von „Menschen mit besonderen Fähigkeiten“. Du nicht. Warum?
Es ist euphemistisch, besonders schlimm finde ich „Handicap“. Es gibt längst Studien, die nachweisen, dass diese Euphemismen nichts bringen, weil niemand versteht, was das Problem ist. Wenn aber jemand ein Problem hat, dann muss man das aussprechen, damit man es lösen kann. Ich zum Beispiel bin behindert durch bestimmte Gegebenheiten: weil die Straßenbahn extrem steile Treppen hat, weil der Einwurf fürs Altglas zu hoch ist, weil der Bildschirm beim Bankautomaten so gekippt ist, dass ich nicht sehe, was ich tue. Das behindert mich. Wieso sollte ich das anders nennen?
Bist du auf der Bühne auch Anwältin in eigener Sache?
Ja. Denn ob ich will oder nicht: Ich muss mich jeden Tag mit meiner Kleinwüchsigkeit auseinandersetzen. Mit den Blicken der Leute, die noch mehr starren, wenn mein dreijähriger Sohn bei mir ist oder mein 1,80 Meter großer Mann. Mit den Sprüchen, mit den Respektlosigkeiten, wenn Leute sich vordrängeln oder mich einfach duzen. Oder, was mir ganz oft passiert, wenn Leute, die ich nicht mal kenne, auf einem Festival meinen Kopf tätscheln. Das würde niemand mit mir machen, wenn ich 1,70 Meter wäre.
Wie hast du mit diesen Erfahrungen gelernt, deinen Körper zu akzeptieren?
Das hat gedauert. Ich war erst mit Anfang 30 so weit. Auch die Schwangerschaft hat dazu beigetragen. Mit meiner Körpergröße, die ja eine Laune der Natur ist, war ich zwar schon vorher irgendwie okay, aber nicht mit seinen Formen. Ich bin klein, aber eben nicht zierlich: Ich habe einen ziemlich großen Busen, Po, Bauch und viel Oberschenkel. Früher war das oft ein Problem für mich, weil ich so gar nicht dem Ideal entspreche. Aber inzwischen kann ich gut damit umgehen. Das Internet und die vielen Social-Media-Plattformen haben mir dabei sehr geholfen. Denn dort haben sich Menschen vor der Kamera inszeniert, die ganz anders aussahen als andere und sich trotzdem toll fanden. Heute bin ich selbst für viele ein Vorbild – so, wie ich mich anziehe, was ich auf der Bühne thematisiere und was ich sonst noch mache. Ich bin erfolgreich mit dem, was ich tue, und inzwischen völlig bei mir und in meinem Körper angekommen. Auch durch meine Tattoos.
Warum sind die so wichtig für dich?
Ich zeige damit: Ich finde alles gut, wie es ist. Ich fühle mich wohl mit dem, was mir gegeben wurde, und mache daraus das, was mir gefällt. Bis jetzt habe ich fünf Tattoos und die meisten finde ich einfach nur schön. Nur das Kleinste, die Zahlen 2 und 4 auf meinem linken Handgelenk, hat wirklich eine Bedeutung. Es ist der Apgar-Score meines Sohnes, eine Art Lebensfunktionstest, der eine Minute, fünf Minuten und zehn Minuten nach der Geburt gemessen wird. Drei Werte also, von denen zehn der beste ist. Mein Sohn aber hat zunächst gar nicht geatmet und musste wiederbelebt werden. Deshalb sind es nur zwei. Über seine Geburt habe ich auch einen Text geschrieben, den lese ich allerdings nie vor, weil im Publikum Schwangere sitzen könnten oder Frauen, die das Gleiche erlebt haben. Und ich möchte ja, dass die Leute lachen und sich gut unterhalten fühlen.
Was war das schönste Kompliment, das du in letzter Zeit bekommen hast?
Als mir jemand gesagt hat: „Ich hatte einen schönen Abend mit Ihnen.“ Oft kommt auch: „Ich habe mich total amüsiert.“ Das finde ich cool, dann weiß ich, dass die Leute nicht nur gedöst haben. Und vor ein paar Wochen hat Journelle, eine Bloggerin, eine Liste mit Frauen getwittert, die ihr aus den unterschiedlichsten Gründen gefallen. Über mich schrieb sie da: „Ninia LaGrande ist eine der wunderbarsten, innen wie außen schönsten Personen in unserer Online-Welt.“ Wie toll ist das denn?
Frau mit unzähligen Rollen: Slam-Poetin Ninia LaGrande kam 1983 in Hannover als Ninia Binias zur Welt, wo sie heute mit Mann und Sohn lebt. Sie hat zwei Bücher geschrieben, bloggt unter ninialagrande.de, ist Kulturorganisatorin, slammt sich durch Deutschland und hatte auf RTL ihre eigene Sendung: „Ninias Fashion Mag“. Mit der Schauspielerin Denise M’Baye macht sie den Podcast „Die kleine schwarze Chaospraxis“. Auf unserem April-Heft war sie Coverfrau.